Still und starr ruht die See

Laue Brisen sind Seglern lästig, aber Flauten können ihnen zum Alptraum werden. Die windlosen Rossbreiten sind Gegenstück und Nachbarn zu den voranbringenden Passaten. Die Frage, woher ihr seltsamer Name rührt, ist ein amüsanter Streit unter Seefahrern

Der Passat starb wie am Herzschlag: Statt des Südost setzte mit einem Ruck ein Wind aus Norden ein, sodass ordentlich eine Kabbelung in der See entstand. Schon hoffte man ohne Flaute durch die Übergangszone hindurchzukommen, da legte mit der Dunkelheit dieser Wind sich schlafen. ‚Notre Dame‘ dümpelte in der Dünung, ein lebloser Körper, bergeschwer mit schlaffen Segeln und knarrenden Blöcken. Kein Leben im Schiff – kein Leben in den Menschen; so ist das bei Flaute. ‚Pferdebreiten‘ nannte Andersson die Gegend mit einer Gebärde des Abscheus.“ (Heinrich Hauser, „Notre Dame von den Wogen“, 1937)

Die Meeresgebiete zwischen dem 25. und dem 35. Grad nördlicher wie südlicher Breite, Rossbreiten genannt, haben auf Segelschiffen einen schlechten Ruf. Vielleicht einen noch schlechteren als die Tiefdruckrinne entlang des Äquators, die Zone der Kalmen.

Dort, am Äquator, wo die Sonne fast senkrecht steht und die Luft aufheizt, treffen die Passatwinde von Norden und Süden aufeinander und heben sich auf, sie konvergieren – die innertropische Konvergenzzone entsteht. Aus einer horizontalen Luftbewegung wird dann eine vertikale, die erhitzte Luft strömt nach oben. Folge: Windstille unten und tropische Regenschauer von oben, weil die Luft sich beim Aufsteigen abkühlt und das Wasser kondensiert. Dieser Korridor der Konvergenzzone – der Kalmengürtel –, der Segelschiffe zur Ohnmacht zwingt, ist unter- schiedlich breit, maximal einige hundert Seemeilen. Aber er ist ziemlich vorhersehbar und einigermaßen überwindbar. Und das warme Frischwasser vom Himmel war auf den alten Windjammern durchaus willkommen.

Die Kalmen sind lästig. Die Rossbreiten aber sind lausig.

Die über dem Äquator aufsteigende Luft strömt in 15 bis 18 Kilometer Höhe nach Süden und Norden, kühlt dabei ab, sinkt folglich und erreicht zwischen dem 25. und 35. Breitengrad wieder den Boden. Da sich die Luft beim Absinken wieder erwärmt, staffeln sich mehrere Luftschichten übereinander, und es entsteht ein Hochdruckgebiet. Das ist regional sehr standfest und zeitlich ziemlich stabil. Das Azorenhoch gehört zu diesem Gürtel von Hochdruckgebieten, die in einer Entfernung von rund 2000 Seemeilen parallel zum Äquator liegen. Schönes Wetter für Strandurlauber, schlechtes Wetter für Segler. Die Zone ist windstill.

Die Luftdruckunterschiede zwischen Hochdruck in den Rossbreiten, auch Mallungen genannt, und Tiefdruck in den Kalmen müssen sich wieder ausgleichen, es kommt also zur Bildung eines Luftstroms, der stetig Luft von den Meereszonen um den 30. Grad nördlicher und südlicher Breite hin zum Äquator befördert – die Passatwinde. Die Erdrotation lenkt sie leicht nach Osten ab, sodass der Passat der Nordhalbkugel aus nordöstlicher, der Passat der Südhalbkugel aus südöstlicher Richtung weht. Beide sind – bis sie am Äquator aufeinandertreffen, konvergieren und die Zirkulation von Neuem beginnt – mäßig stark, beständig und berechenbar. Der Himmel für Segler. Davor und dahinter aber liegt ihr Fegefeuer.

„29. Tag – Montag, 11. September 2000. Die stete Ozeandünung lässt das Boot torkeln. Es plätschert weiter so dahin. Zupfe an der Genuaschot, fiere und hole das Groß. Versuche, jeden äquatorialen Lufthauch zu nutzen. Doch: Es bleibt bei um die zwei Knoten Fahrt. Nachts, mittags, abends.

32. Tag – Donnerstag, 14. September. Schlecht drauf. Kopf besetzt. Arm schmerzt, überhaupt durchweg Gliederschmerzen. In der Koje halte ich es nicht aus. Kopfkissen und Laken kleben am Körper. Schon wieder ist es viel zu heiß. Und: zwei Stunden Sturm. Natürlich gleich nach Mitternacht – wie so oft auf See. Davor und danach Flaute.“ (Wilfried Erdmann, „Allein gegen den Wind. Nonstop in 343 Tagen um die Welt“, 2002)

Nur Stürme gebären Helden, schreibt der segelnde Autor Klaus Hympendahl. Nicht umsonst trage das weltweit meistverkaufte Segelbuch den Titel „Schwerwettersegeln“. „Aber über Flauten“, so der Autor, „gibt es kein Buch.“ Das ist nicht ganz richtig, denn Joseph Conrad hat einen berühmten Roman geschrieben, der das Schicksal eines jungen Kapitäns und seiner fieberkranken Mannschaft erzählt, die in einer Flaute treiben, irgendwo im Südchinesischen Meer. Sie scheint nicht enden zu wollen und mit den Menschen zu spielen wie mit Marionetten.

„In der Nacht hatten wir uns einmal um die Kompassrose gedreht und die Rahen immer und immer wieder gebrasst, um Lüfte aufzufangen, welche meistenteils, fürchte ich, nur eingebildet waren. Dann, ungefähr bei Sonnenaufgang, bekamen wir eine Stunde lang eine unerwartet beständige Brise, die uns voll entgegenwehte. Unverständlich! Nur etwas wirklich Abgefeimtes konnte dahinterstecken. Eine windige Brise! Ehe wir uns dessen versahen, hatte sie uns mit ziemlicher Fahrt meilenweit vorangebracht. Doch in einer Richtung, die kaum noch etwas zu tun hatte mit unserem eigentlichen Kurs.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 98. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 98

No. 98Juni / Juli 2013

Von Peter Sandmeyer

Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, Autor in Hamburg, die jüngsten Meldungen über Pferdefleischskandale las, kam er ins Grübeln. Warum sollten die Spanier in den windstillen Zonen des Atlantiks ihre Pferde über Bord geworfen haben, wenn man daraus eine Lasagne machen konnte? Anlass genug, dem Ursprung des Begriffs „Rossbreiten“ nachzugehen.

Mehr Informationen
Vita Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, Autor in Hamburg, die jüngsten Meldungen über Pferdefleischskandale las, kam er ins Grübeln. Warum sollten die Spanier in den windstillen Zonen des Atlantiks ihre Pferde über Bord geworfen haben, wenn man daraus eine Lasagne machen konnte? Anlass genug, dem Ursprung des Begriffs „Rossbreiten“ nachzugehen.
Person Von Peter Sandmeyer
Vita Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, Autor in Hamburg, die jüngsten Meldungen über Pferdefleischskandale las, kam er ins Grübeln. Warum sollten die Spanier in den windstillen Zonen des Atlantiks ihre Pferde über Bord geworfen haben, wenn man daraus eine Lasagne machen konnte? Anlass genug, dem Ursprung des Begriffs „Rossbreiten“ nachzugehen.
Person Von Peter Sandmeyer