Steuerklasse Eins A

Kapital ist scheu und versteckt sich gern auf kleinen Inseln. Auch Jersey im Ärmelkanal ist eine solche Zuflucht für die Habe der Superreichen. Was macht das sauer verdiente Geld hier? Und wie lebt es sich im Steuerparadies auf Erden?

Kapital ist scheu. Fürchtet so sehr wie den Zugriff öffentlicher Hände, flieht vor den Beutegreifern der Finanzbehörden und rettet sich gern auf eine Insel. Dort fühlt es sich sicher. Weltweit locken 42 Steueroasen mit klangvollen Namen wie Nauru, Tonga oder Vanuatu. Ein Geheimnis umweht all die Schatzinseln dieser Welt. Warum lagert die Deutsche Bundesbank ihr Gold auf einer Felseninsel auf einem fernen Kontinent? Ist die Insel Manhattan wirklich sicherer als Helgoland oder Hiddensee? Was macht das ganze sauer verdiente oder ergaunerte Geld auf den Bahamas oder den Caymans? Welche Lockstoffe senden die Kanalinseln aus, wie Jersey, das Steuerparadies vor der französischen Küste?

Die Insel Jersey liegt im Atlantik. 15 Kilometer lang, acht Kilometer breit, erreicht sie nicht einmal die Größe der Ostseeinsel Fehmarn, ist aber dank 2000 Sonnenstunden im Jahr wesentlich wärmer. Jersey liegt am Golfstrom, ist berühmt für die mediterrane Vegetation, den rekordverdächtigen Tidenhub von 13 Metern und das außerordentlich milde Geschäftsklima.

Es ist kein Steuergeheimnis, dass Jersey seinen Bürgern kaum Steuern abverlangt. Die Einkommenssteuer ist eine Flatrate von höchstens 20 Prozent, eine Kapitalertragssteuer, Schaumweinsteuer, Ökosteuer, Luxus- oder Erbschaftssteuer gibt es nicht, dafür Steuerfreiheit auf sämtliche Unternehmensgewinne. Anders als Helgoland oder Fehmarn ist Jersey einer der sichersten Häfen für scheues Kapital, Sitz von 48 Banken, 1311 Investmentfonds, 187 Treuhandgesellschaften.

Der Finanzsektor des Kleinstaats erwirtschaftet 42 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die Bankdepots türmen sich auf 212 Milliarden Pfund Sterling, die Fonds bunkern einen Buchwert von 246,1 Milliarden Pfund und die Investmentfonds 78,8 Milliarden. Zusammen sind das knapp 537 Milliarden Pfund, umgerechnet über 600 Milliarden Euro, mehr als das Doppelte des deutschen Bundeshaushalts, Riesensummen, die der Sturmwind der Steuervermeidungsindustrie in die Bilanzen der Insel hineinbläst, unsichtbar, unfassbar, verborgen hinter dezenten Messingschildern und passwortgesicherten Dateien. Absolut diskret. Briefkastenfirmen? Nie gehört. Hier verläuft alles seriös. Deshalb redet auch kein Banker mit Journalisten.

Als hätten sie etwas zu verbergen. Die ganze Insel eine Tarnorganisation. Nichts ist zu sehen, was die Finanzwelt so hässlich macht, keine gläsernen Türme mit blickdichten Fassaden; die Inselhauptstadt Saint Helier wirkt mit ihren 28 000 Einwohnern eher beschaulich, auch wenn Banker und Anwälte in der King Street mit wehenden Krawatten in die minutengenau bemessene Mittagspause eilen.

Vor ungefähr 5000 Jahren löste sich Jersey vom europäischen Festland. Frankreich befindet sich in Sichtweite, ist gerade 28 Kilometer entfernt, bis zur englischen Küste sind es 160 Kilometer. Politisch ist Jersey ein Restposten des Angevinischen Reiches, das Englands König Heinrich II. aus dem Haus Plantagenet einst auf dem Festland gründete.

Englands normannisches Reich umfasste im Mittelalter die halbe Fläche des heutigen Frankreichs und reichte von der Normandie bis zu den Pyrenäen. 1204 verlor Heinrichs Sohn Johann Ohneland alle französischen Besitzungen. Weil die normannischen Einwohner von Jersey ihm trotzdem den Treueid leisteten, durfte er den Titel „Herzog der Normandie“ behalten. Deshalb weht heute noch die weiße Fahne mit dem roten Kreuz des alten Englands über der Insel, geschmückt mit drei Leoparden und der Krone des Hauses Plantagenet.

Der Trinkspruch „To the Queen, our Duke of Normandy“ („Auf die Königin, unsere Herzogin der Normandie“) erinnert an die große Zeit. Gelegentlich ist auch noch das Patois Jèrriais, ein alter galloromanischer Dialekt, zu hören, das bis zum Zweiten Weltkrieg noch Alltagssprache war. Französisch inspiriert ist auch das Savoir-vivre, sind Straßen- und Ortsnamen und die Küche. Nirgendwo im britischen Einflussgebiet wird besser gegessen. Aber gefahren wird links und gesprochen wird Englisch.

Als globales Finanzdienstleistungszentrum ist Jersey ein exzentrischer Sonderfall. Der Kleinstaat gehört nicht zur Europäischen Union, hat aber die EU-Regeln für Einreisen übernommen und erhebt – auf Druck aus Brüssel – eine anonyme Quellensteuer von derzeit 20 Prozent auf Zinserträge von Anlegern aus EU-Mitgliedsländern. Dafür wird das Bankgeheimnis eisern gewahrt. Die Außen- und Sicherheitspolitik übernimmt das Vereinigte Königreich, trotzdem hat Jersey sein eigenes Recht, sein eigenes Parlament und seine eigene Währung. Die entspricht dem Britischen Pfund, doch auf den Noten trägt die Queen keine Krone.


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mare No. 74

No. 74Juni / Juli 2009

Emanuel Eckardt Stefan Pielow

In der persönlichen Inselbestenliste von Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, ist Jersey auf Platz eins aufgestiegen. Rang zwei und drei belegen jetzt Bornholm und Manhattan. „In Bornholm kann man einfach nicht gut essen. Und in Manhattan gibt es keine schönen Kühe.“

Den Starnberger Stefan Pielow, geboren 1961, zieht es neuerdings zu den Kanalinseln. Erst in mare No. 72 porträtierte er einen Guernseyer Muscheltaucher. Wir danken Jersey Tourism, Condor Ferries und TUI Wolters für die freundliche Unterstützung.

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Vita In der persönlichen Inselbestenliste von Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, ist Jersey auf Platz eins aufgestiegen. Rang zwei und drei belegen jetzt Bornholm und Manhattan. „In Bornholm kann man einfach nicht gut essen. Und in Manhattan gibt es keine schönen Kühe.“

Den Starnberger Stefan Pielow, geboren 1961, zieht es neuerdings zu den Kanalinseln. Erst in mare No. 72 porträtierte er einen Guernseyer Muscheltaucher. Wir danken Jersey Tourism, Condor Ferries und TUI Wolters für die freundliche Unterstützung.
Person Emanuel Eckardt Stefan Pielow
Vita In der persönlichen Inselbestenliste von Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, ist Jersey auf Platz eins aufgestiegen. Rang zwei und drei belegen jetzt Bornholm und Manhattan. „In Bornholm kann man einfach nicht gut essen. Und in Manhattan gibt es keine schönen Kühe.“

Den Starnberger Stefan Pielow, geboren 1961, zieht es neuerdings zu den Kanalinseln. Erst in mare No. 72 porträtierte er einen Guernseyer Muscheltaucher. Wir danken Jersey Tourism, Condor Ferries und TUI Wolters für die freundliche Unterstützung.
Person Emanuel Eckardt Stefan Pielow