Sterben für Waschpulver

Verdrängt, vergessen: Deutschland war einmal drittgrößte Walfangnation der Welt. Das ist noch nicht so lange her, wie es klingt

Es war das Jahr 1858, als der letzte Hamburger Walfänger unter Segeln ins nördliche Eismeer auslief. Deutschland verabschiedete sich vom Walfang – nach vielen Jahrzehnten, in denen das Geschäft glänzend lief. Nun aber gab es nichts mehr zu holen. Die Menschheit hatte die Grönlandwale und Nordkaper im Nordmeer fast ausgerottet. Selbst die Amerikaner wandten sich vom Walfang ab, weil die Erschließung der neu entdeckten Erdölfelder und die Verwendung von Petroleum das Walöl als klassischen Lampenbrennstoff verdrängten.

Doch was wie das Ende des Walfangs aussah, war in Wahrheit nur eine Atempause. Ausgerechnet zwei Deutsche besiegelten mit ihren Erfindungen das Schicksal der Meeressäuger. Der Bremerhavener Büchsenmacher Hermann Gerhard Cordes ersann eine schwenkbare Kanone, aus der eine Harpune verschossen werden konnte. Mit modernem Schussgerät und schnellen Fangdampfern, die nun eingesetzt wurden, konnten sogar Finnwale und Blauwale, die Könige aller Wale, erfolgreich gejagt werden. Auch die Reichweiten der Schiffe wurden größer, sie erschlossen die Antarktis als neues Jagdrevier.

Und 1901 erfand dann der Herforder Chemiker Wilhelm Normann das erste Verfahren zur Fetthärtung. Das flüssige Walöl konnte jetzt in festes Fett umgewandelt werden, das bessere Verarbeitungseigenschaften besaß, länger gelagert werden konnte, ohne ranzig zu werden, und somit neue Absatzmöglichkeiten erschloss. Walöl wurde zum wichtigsten Grundstoff für die Herstellung von Margarine, sein Wert stieg sprunghaft an, und die Aktien norwegischer, englischer, amerikanischer und argentinischer Walfangunternehmen warfen in manchen Jahren 100 Prozent Dividende ab.

Doch Deutschland nahm am neuen Boom nicht teil. Zuerst fehlte es an Kapital und Know-how, um Walfangflotten wie der des mächtigen britischen Unilever-Konzerns Konkurrenz machen zu können. Dann verhinderte der Erste Weltkrieg den Einstieg ins Geschäft. Auch der unterstrich aber noch einmal die Bedeutung des Walöls, denn es war auch für die Herstellung von Glyzerin, dem Ausgangsmaterial für die Herstellung des kriegswichtigen Sprengstoffs Nitroglyzerin, der wichtigste Grundstoff. Bombenbauer, Margarinehersteller, Seifenproduzenten, Viehfutterfabrikanten – alle brauchten Walöl. Deutschland war der größte Aufkäufer.

„Der Fetthunger der Welt“, schrieb Wolfgang Frank, ein Chronist des deutschen Walfangs, „war nach dem Krieg noch größer, sodass die Preise für Walöl schwindelnde Höhen erreichten.“ Doch jetzt verhinderten Wirtschaftskrisen und Inflation einen Einstieg deutscher Unternehmer in das lukrative Geschäft. Und dann brach – vorübergehend – der Markt zusammen, weil die Fangflotten im Südpolarmeer so gewütet hatten, dass die gewonnenen Mengen an Walöl nicht mehr abgesetzt werden konnten. 1930/31 waren nicht weniger als 30 000 Blauwale erlegt und der Markt mit mehr als 500 000 Tonnen Öl geflutet worden.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 veränderte sich die Lage. Der Einkauf von Walöl auf dem Weltmarkt wurde jetzt erschwert, weil Devisen bewirtschaftet und zugunsten rüstungswichtiger Importe eingespart wurden. Das machten sich zwei Männer zunutze: Der Margarinefabrikant Walter Rau („Deli Reform“) und der Seifen- und Waschmittelhersteller Hugo Henkel („Persil“) entwickelten den Plan für eine eigene deutsche Walfangflotte. Anfangs stießen sie im Reichsernährungsministerium noch auf Bedenken. Man sah wegen der Dezimierung der Wale keine Zukunft für die deutsche Walfängerei und prophezeite eine Übermacht der erfahreneren norwegischen und britischen Konkurrenz. Es gab in Deutschland ja niemanden, der Fachwissen in der antarktischen Hochseejagd besaß – bis auf einen: Carl Kircheiß, einen Kapitän mit angestaubten Erfahrungen, die er einst als Leichtmatrose auf einem Walfänger gesammelt hatte.

Doch Kircheiß war auch ein Mythos. Er hatte nämlich Kriegsheld Felix Graf von Luckner auf dessen legendärer Kaperfahrt mit der „Seeadler“ im Weltkrieg als Erster Offizier gedient. Also wurde der populäre Seemann als Propagandist gewonnen, um mit Filmvorträgen Reklame für den „Walfanggedanken“ zu machen. Auch Adolf Hitler empfing Kircheiß und schaute sich seinen Film mit Wohlwollen an. Parallel dazu zogen die Lobbyisten der Margarine- und Seifenindustrie hinter den Kulissen der NS-Hierarchie geschickt ihre Fäden. Am Ende gab das Ernährungsministerium nach und bewilligte am 26. Juni 1936 den Bau von deutschen Walfangflotten.


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mare No. 124

No.124Oktober / November 2017

Von Peter Sandmeyer

Die Wäsche von Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, Autor in Hamburg, wurde schon in seiner Kindheit mit Persil gewaschen. Seine Mutter schwor auf das „Wunderwaschpulver“. Erst bei dieser Recherche wurde ihm klar, dass die Seifenanteile des Waschmittels aus dem Öl geschlachteter Wale gewonnen worden waren.

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Vita Die Wäsche von Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, Autor in Hamburg, wurde schon in seiner Kindheit mit Persil gewaschen. Seine Mutter schwor auf das „Wunderwaschpulver“. Erst bei dieser Recherche wurde ihm klar, dass die Seifenanteile des Waschmittels aus dem Öl geschlachteter Wale gewonnen worden waren.
Person Von Peter Sandmeyer
Vita Die Wäsche von Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, Autor in Hamburg, wurde schon in seiner Kindheit mit Persil gewaschen. Seine Mutter schwor auf das „Wunderwaschpulver“. Erst bei dieser Recherche wurde ihm klar, dass die Seifenanteile des Waschmittels aus dem Öl geschlachteter Wale gewonnen worden waren.
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