Spaceshuttle nach Spiekeroog

Wie bekommt man die Post fixer zu den Friesischen Inseln? Ein deutscher Ingenieur wollte sie per Rakete schicken

Sein Glückstag war der 15. April 1931. Raketenpionier Reinhold Tiling hatte 150 Honoratioren der Stadt Osnabrück ins Hotel „Schaumburg“ geladen, um ihnen ein historisches Ereignis anzukündigen: den Start der ersten deutschen Postrakete am Nachmittag des gleichen Tages. Das Ochsenmoor am Dümmer, einem kleinen See in der Nähe von Osnabrück, war als Startplatz für den spektakulären Raketenflug vorgesehen.

Alte Fotos zeigen Tilings Konstruktionen, es sind schlanke Raketenkörper auf großen Leitflossen. Manche dieser „Hochleistungs-Dauerbrand-Pulverraketen“ sind gut drei Meter hoch. Daneben steht ein untersetzter, 38 Jahre alter Mann mit Hut und tätschelt seine Erfindungen wie einen treuen Hund. Er blickt ehrfürchtig zur Spitze dieser Fluggeräte, die ein wenig an überdimensionierte Silvesterraketen erinnern. Und tatsächlich hatte Tiling 1928 seine Experimente mit Feuerwerkskörpern begonnen.

Aber er meint es ernst. Tiling will schon bald die Nordseeinseln mit fliegenden Briefen und Medikamenten versorgen. Wenn die Schiffe bei rauer See nicht auslaufen können, werden seine Raketen starten. Von Norddeich aus sollen Norderney, Juist und Borkum angeflogen werden, von Esens aus die Inseln Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge. Die Flugzeit wird je nach Insel zwischen 1,8 und 5,4 Minuten betragen. Später sollen auch Menschen transportiert werden, der bemannte Raketenflug ist das Fernziel. An diesem 15. April 1931 will Tiling der Welt beweisen, dass seine Pläne mehr sind als die wilden Träume eines Fantasten.

Der Himmel hat den Pfarrerssohn und gelernten Ingenieur aus dem fränkischen Abtsberg schon immer fasziniert, zuerst als Pilot, dann als Kunstflieger, jetzt als Raketenbauer. 1915 hatte er sich freiwillig als Jagdflieger bei der neu aufgebauten Luftwaffe gemeldet. Nach Kriegsende wurde er Kunstflieger, später Flugleiter auf dem Osnabrücker Flughafen Netter Heide. Hermann Oberths Buch „Die Rakete zu den Planetenräumen“ hat ihn zum Raketenbau inspiriert.

Und heute ist sein großer Tag. Exakt 190 Postkarten hat er im Beisein eines Postbeamten im Bauch der Rakete verstaut. Auf der Rückseite tragen die Karten einen Stempel: „Tiling / Raketenflugzeug FTL 3 / 15. IV. 1931“. Jetzt ist es so weit, die Zuschauer müssen zurücktreten, der Konstrukteur gibt das Startkommando: „Fertig! Einschalten! Achtung! Los!“ Mit einem scharfen Zischen rast „ein silberner Pfeil mit feuerdurchstrudeltem Schweif“ zum Firmament, „höher und höher geht der Flug“, so der entrückte Reporter des „Neuen Tageblatts Osnabrück“.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 64. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 64

No. 64Oktober / November 2007

Von Manfred Kriener

Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist freier Journalist in Berlin. Er leidet seit 20 Jahren an panischer Flugangst und verfolgt Raketen- und Flugzeugbewegungen mit größter Faszination und tiefem inneren Gruseln.

Mehr Informationen
Vita Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist freier Journalist in Berlin. Er leidet seit 20 Jahren an panischer Flugangst und verfolgt Raketen- und Flugzeugbewegungen mit größter Faszination und tiefem inneren Gruseln.
Person Von Manfred Kriener
Vita Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist freier Journalist in Berlin. Er leidet seit 20 Jahren an panischer Flugangst und verfolgt Raketen- und Flugzeugbewegungen mit größter Faszination und tiefem inneren Gruseln.
Person Von Manfred Kriener