Sinkendes Schiff, laufende Bilder

Der US-Karikaturist Winsor McCay präsentierte 1918 einen der ersten Zeichentrickfilme: über die Katastrophe des Luxusliners „ Lusitania“ nach dem Beschuss durch ein deutsches U-Boot

Winsor MCCay kann es nicht fassen. Normalerweise lässt sich der prominente Cartoonist der Tageszeitung „New York American“ nicht aus der Ruhe bringen. Auch nicht, wenn er kurz vor Redaktionsschluss noch Striche seiner Karikaturen, mit denen er Leitartikel illustriert, nachzieht. Doch die welterschütternde Nachricht, die die Kollegen jetzt über den Telegrafen erhalten haben, versetzt ihn in Rage. Einige Stunden vorher, am 7. Mai 1915 gegen 14 Uhr Ortszeit, hat ein deutsches U-Boot das unter britischer Flagge fahrende Passagierschiff RMS „Lusitania“, unterwegs von New York nach Liverpool, vor der irischen Südküste mit einem Torpedo beschossen. Binnen Minuten sinkt der Luxusliner. 1198 Menschen, darunter 128 Amerikaner, kommen auf grausame Weise im ­Atlantik um. Nur 764 Reisende und Besatzungsmitglieder überleben.

Wochen später steht McCay, von der skrupellos herbeigeführten Schiffskatastrophe noch immer aufgewühlt, im mahagonigetäfelten Büro seines Chefs, des allmächtigen Zeitungszaren William Randolph Hearst. McCay will ihm die Realisierung eines Zeichentrickfilms, der dokumentarisch den Angriff der Kaiserlichen Marine auf die „Lusitania“ schildert, schmackhaft machen. Doch Hearst winkt ab. Anders als viele amerikanische Politiker und Unternehmer, die die kriegerische Provokation der Deutschen als einen der Gründe für den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg nehmen, will der Medienmogul sein Land von der Front fernhalten. McCay überlegt nicht lange. Er wird das kühne, antideutsche Propagandawerk halt ohne Hearsts Unterstützung verwirklichen, mit eigenen Mitteln.

Als einem der erfolgreichsten amerikanischen Karikaturisten und Comiczeichner, der sich vom Porträtisten von Freak-Show-Besuchern zum angesehenen Künstler hochgearbeitet hat, fehlt es ihm nicht an Selbstvertrauen. Mit seinen Comics „Dream of the Rarebit Fiend“, im Mittelpunkt ein Käsetoastverschlinger, und „Little Nemo in Slumberland“ hat er Popularität bei Groß und Klein erlangt. Erfahrung mit der jungen Technik bewegter Bilder hat er ebenfalls. So bringt er 1914 mit „Gertie the Dinosaur“ eine der ersten animierten Comicfiguren in die Projektionssäle. In bester Vaudevilletradition spielt McCay auf der Bühne vor der Leinwand den Dompteur der Dinosaurierdame, dirigiert sie mit der Peitsche und wirft ihr Äpfel zu. Das Publikum ist entzückt und feiert das umtriebige Zeichengenie wie einen Broadwaystar.


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mare No. 117

No. 117August / September 2016

Von Rob Kieffer

Rob Kieffer, Jahrgang 1957, lebt in Luxemburg und schreibt Reisereportagen, vorwiegend für die FAZ. Bei der Recherche griff er auf die Unterstützung seines Sohnes Cédric zurück, der an der Internationalen Filmschule Köln studiert, sowie auf Willi Jaspers Buch Lusitania – Kulturgeschichte einer Katastrophe. Der Film selbst ist auf YouTube zu sehen.

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Vita Rob Kieffer, Jahrgang 1957, lebt in Luxemburg und schreibt Reisereportagen, vorwiegend für die FAZ. Bei der Recherche griff er auf die Unterstützung seines Sohnes Cédric zurück, der an der Internationalen Filmschule Köln studiert, sowie auf Willi Jaspers Buch Lusitania – Kulturgeschichte einer Katastrophe. Der Film selbst ist auf YouTube zu sehen.
Person Von Rob Kieffer
Vita Rob Kieffer, Jahrgang 1957, lebt in Luxemburg und schreibt Reisereportagen, vorwiegend für die FAZ. Bei der Recherche griff er auf die Unterstützung seines Sohnes Cédric zurück, der an der Internationalen Filmschule Köln studiert, sowie auf Willi Jaspers Buch Lusitania – Kulturgeschichte einer Katastrophe. Der Film selbst ist auf YouTube zu sehen.
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