Sex am Mittelmeer

An der Côte d’Azur erfanden die Schönen und Reichen der Zwanziger Jahre das sündige Strandleben

Ihr Blick ist verschleiert, die Lippen sind feucht, sehr rot und natürlich leicht geöffnet. Hinter ihr steht ein Bär von einem Mann, der ihre nackte Schulter küsst. Das Meer rauscht, die Zitronenbäume blühen. Auf den Granitplatten der Terrasse halb volle Sektgläser, der Pool schimmert, und das Abendlicht streicht ihr übers Haar. Ein letzter Blick auf den Sonnenuntergang, ein bezaubernder Ort. Im Inneren der Villa alles, was man sich wünscht: geschmackvolle Kunst an den Wänden, diverse Sofas, am besten aus Leder und abwaschbar.

Pornoproduzenten schätzen gediegene Villen an der Riviera mit Blick aufs Meer. Kein Regen, keine Zuschauer, genügend Platz, ein Schwimmbad für die Darsteller während der Drehpausen. Und vor allem ein Ambiente, das in den Fantasien der Konsumenten bereits besteht - die Côte d'Azur ist ohne Erotik kaum denkbar.

Die Geschichten variieren, aber nicht sehr: Masochistischer Bankier mit Limousine vor dem Haus lässt sich im Weinkeller knebeln; junge Frauen befummeln einander gegenseitig am Pool, der Chauffeur zeigt anschließend einer nach der anderen, was ein richtiger Mann ist, und so weiter. Ein Tag Vorbereitung für die Technik, fünf Tage Drehzeit, zwanzig Leute am Set. Ergebnis: zehn Pornofilme, die weltweit vertrieben werden, dazu noch mehrere Foto-Storys für einschlägige Magazine. Mietpreis für die Villa pro Drehtag: 8000 Mark, Strom und Endreinigung exklusive.

Geeignete Objekte finden sich - für viele Hausbesitzer bieten solche Mieter eine recht einfache Möglichkeit, einen Teil der Kosten für die gebaute Pracht einzuspielen. Gleichzeitig mit den Filmfestspielen in Cannes findet auch das Internationale Pornofestival statt. Sex an der Riviera hat Tradition.

Dabei begann alles so zart. Ein Herr aus England, ein Lord, soll es angeblich gewesen sein, der diesen Landstrich von seinem Fischerortdasein erlöste und zu dem machte, was er wurde, bevor er verkam: dem mondänsten Küstenstreifen der Welt. Lord Brougham war 1834 auf einer Bildungsreise nach Rom. Widrige Umstände zwangen ihn, in einem Gasthaus kurz vor der italienischen Grenze Halt zu machen. Bei einem Spaziergang fiel ihm, dem eigentlich Durchreisenden, die Schönheit der Gegend auf, und er beschloss, in dem Gasthaus nahe der Küste zu bleiben. Er genoss die Einfachheit der Fischer, die milde Sonne und entschied, im nächsten Jahr zurückzukehren.

Viele reiche Freunde besuchten ihn in Cannes, wie das beschauliche Örtchen hieß. So will es die Legende. Aristokraten aus Bayern, Württemberg, Neapel und England reisten an, erste Hotels und Casinos wurden errichtet. 1880 hatte die Riviera bereits ihre Rolle als Küste der „Prominenz" gefunden. Es war ein Dichter, Stephen Liégeard, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts der französischen Riviera ihren unvergesslichen Namen „Côte d'Azur" gab, um sie von ihrer italienischen Schwester zu unterscheiden.

Das Blau des Himmels und des Wassers wurde zum Markenzeichen. Pariser Künstler zogen nach, russischer Geldadel flüchtete hierher und trug zur internationalen Atmosphäre bei. Autoren wie Francis Scott Fitzgerald arbeiteten an dem Ruf der Riviera als Hort der Dekadenz, und Frauen wie Coco Chanel flanierten in den 20er Jahren mit wechselnden Liebhabern die Promenaden entlang. Als das frühe Kino seinen Weg hierher fand, wurde diese Küste zum Synonym für ein geglücktes Leben. Die Schönheit der Landschaft schien direkt an die Schönheit der Menschen gekoppelt, das Sehnsuchtspotenzial war unermesslich.

Das südliche Ambiente verzauberte die Reisenden, die sich bislang in den Seebädern der Ost- und Nordsee in windgeschützten Strandkörben verkrochen hatten. Das gnädige Klima trug zu einer entscheidenden Neuerung bei, die bald Selbstzweck wurde: den eigenen Körper zu zeigen und fremde Körper zu betrachten. Einen schamvollen Blick auf eine halb entblößte Brust zu werfen, ein Frauenbein unter dem Rock hervorblitzen zu sehen, einen nackten Männeroberkörper anzuschauen: nicht nur Pubertierenden verursachte das ein dauerndes Herzklopfen. Die Riviera wurde zu einem Ort, der frei ließ, was immer verborgen gewesen war. Leise Erotik pulsierte in den Straßen von Cannes und Saint-Tropez. Begnadete Fotografen hielten diese Szenen in Schwarz-Weiß-Bildern fest und verankerten sie in den Köpfen auf beiden Seiten des Atlantiks.


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mare No. 25

No. 25April / Mai 2001

Von Zora del Buono und Jacques Henri Lartigue

Zora del Buono, Jahrgang 1962, ist mare-Kulturredakteurin und lebt in Berlin. In Heft 22 schrieb sie über den tödlichen Gesang der Sirenen

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Vita Zora del Buono, Jahrgang 1962, ist mare-Kulturredakteurin und lebt in Berlin. In Heft 22 schrieb sie über den tödlichen Gesang der Sirenen
Person Von Zora del Buono und Jacques Henri Lartigue
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