Seeweg zum Schlachthof

Der globale Viehhandel ist ein hässliches Geschäft. Wochenlang müssen die Tiere auf Schiffen ausharren, bevor sie zum Sterben an Land gehen – notfalls auf gebrochenen Beinen

Es ist der zwanzigste Tag ihrer Jungfernfahrt, als die Geschehnisse an Bord der MV „Becrux“ außer Kontrolle geraten. Auf dem italienischen Tiertransportschiff, das im Auftrag des australischen Viehexporteurs Wellard Rural Exports unterwegs von Portland nach Saudi-Arabien ist, sind in den vergangenen zwei Tagen mehr als 150 Rinder an Hitzestress verendet. Die extreme Witterung ist für das Massensterben verantwortlich, gegen 40 Grad Hitze und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit kommen auch die Ventilatoren nicht an. Einen technischen Defekt an Bord des Schiffes hat es nicht gegeben. Dutzende Tiere siechen in den Boxen in ihrem eigenen Kot dahin, zu schwach zum Aufstehen, Fressen und Trinken. Auch sie werden sterben. In manchen Boxen kommen die Tiere nicht an die Wassertröge, weil Kadaver davorliegen.

Der Kapitän befiehlt: „Schafft die Kadaver von Bord!“ Rund um die Uhr sind die „Entsorgungsteams“ in beißendem Güllegestank im Einsatz, doch mehr als zwei bis drei Kadaver in der Stunde können sie mit der Seilwinde nicht über Bord hieven. Stündlich sterben aber jetzt vier bis fünf Tiere. Die MV „Becrux“ verwandelt sich in ein Leichenschiff. „Die Bedingungen auf dem Schiff waren äußerst unangenehm“, wird es später im offiziellen Untersuchungsbericht der für Viehtransporte zuständigen Aufsichtsbehörde Australian Quarantine and Inspection Service (Aqis) zurückhaltend heißen, „überall roch es nach Verwesung.“ Aus dem Bericht geht auch die Todesbilanz jener Fahrt im Juni/Juli 2002 hervor. 614 von 1977 Rindern an Bord überlebten den fast vierwöchigen Transport nicht, weitere 200 Tiere starben in den Tagen nach der Entladung.

Die Tragödie auf der MV „Becrux“ blieb kein Einzelfall. Zehntausende Rinder und Schafe verendeten zwischen Mitte 2002 und Ende 2003 auf ihrem Weg von Australien in den Mittleren Osten. Vor allem die Odyssee der „Cormo Express“ im Sommer 2003 erregte weltweit öffentlichen Protest. Mehr als zwei Monate lang kreuzte das Schiff mit fast 58000 Schafen an Bord im Arabischen und im Roten Meer, weil zunächst Saudi-Arabien und dann nacheinander alle Staaten des Mittleren Ostens wegen angeblichen Krätzebefalls die Anlandung verweigert hatten. Normalerweise sind die Tiere während des Transports nur wenige Tage den hohen Temperaturen in der Golfregion ausgesetzt, im Fall der „Cormo Express“ waren es neun Wochen. Mehr als 5600 Tiere verendeten in der Gluthitze. Die überlebenden Schafe gingen schließlich in Eritrea an Land.

Die an Bord erstickten, verdursteten oder zerquetschten Tiere finden als „Mortalitätsrate“ Eingang in die Kalkulation der Schlachtviehexporteure. Aus ihrer Sicht sind Viehtransporte vorrangig ein logistisches Problem. Das Transportgut Tier, je Kilo Lebendgewicht abgerechnet, muss in möglichst gutem Zustand am Bestimmungsort ankommen. Am besten ohne Gewichtsverlust, auf vier Beinen laufend, ohne Knochenbrüche und offene Wunden. Zumindest aber lebend. Jedes Rind, das an Bord eines Viehtransporters verendet, bedeutet für den Exporteur einen Einnahmeausfall von rund 200 US-Dollar, ein totes Schaf kostet etwa 75 US-Dollar.

Der Transport von Rindern, Schafen, Pferden und Ziegen ist Teil des weltumspannenden Geschäfts mit Lebendvieh. Gezüchtet und gemästet werden die Tiere dort, wo die Produktion zu den geringsten Kosten möglich ist. Anschließend müssen sie transportiert werden – damit sie in ihren Bestimmungsländern von der „Produktphase Tier“ in die „Produktphase Fleisch“ übergehen, also geschlachtet, verarbeitet und gegessen werden. Der größte Teil des weltweiten Viehexports wird kostengünstig per Schiff abgewickelt.

Nicht selten sind die Tiere, Rinder zu Tausenden, Schafe zu Zehntausenden, drei Wochen und mehr an Bord zusammengepfercht. Von Australien aus werden Schlachtrinder vor allem nach Indonesien, auf die Philippinen und nach Malaysia verschifft; die Schaftransporter nehmen fast ausnahmslos Kurs auf die Staaten des Mittleren Ostens: an erster Stelle Saudi-Arabien, gefolgt von Kuwait und Jordanien. Brasilien wiederum, mittlerweile der weltweit größte Rinderexporteur, hat sich auf die Ausfuhr von Schlacht- und Zuchtrindern vorrangig in den Libanon spezialisiert.

Insbesondere die große Nachfrage der Staaten des Mittleren Ostens nach lebendem Schlachtvieh nährt die Exportbranche. Dort ist das rituelle Schlachten, das sogenannte Schächten, nach wie vor weitverbreitet. Tiefgefrorenes Fleisch von Tieren, die in ihren Herkunftsländern nach anderen Methoden geschlachtet wurden, akzeptieren weder die Importeure noch die Verbraucher. Darüber hinaus fehlt es an Kühlkapazitäten. Der Großteil des Fleisches von eingeführten Rindern und Schafen wird gleich auf Märkten im Mittleren Osten verkauft, also in der gesamten Kette von Schlachtung bis Verzehr kein einziges Mal gekühlt.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 66. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 66

No. 66Februar / März 2008

Von Andreas Molitor

Andreas Molitor, Jahrgang 1963, lebt in Berlin und schreibt vor allem für das Wirtschaftsmagazin brand eins. Seine Recherche machte ihm klar, wie hoch der Preis der weltweiten Verfügbarkeit von preiswertem Frischfleisch ist.

Mehr Informationen
Vita Andreas Molitor, Jahrgang 1963, lebt in Berlin und schreibt vor allem für das Wirtschaftsmagazin brand eins. Seine Recherche machte ihm klar, wie hoch der Preis der weltweiten Verfügbarkeit von preiswertem Frischfleisch ist.
Person Von Andreas Molitor
Vita Andreas Molitor, Jahrgang 1963, lebt in Berlin und schreibt vor allem für das Wirtschaftsmagazin brand eins. Seine Recherche machte ihm klar, wie hoch der Preis der weltweiten Verfügbarkeit von preiswertem Frischfleisch ist.
Person Von Andreas Molitor