Seelenschau auf See

Der schwimmende Lebensraum eines Kreuzfahrtschiffs ver­­eint gegensätzliche Sehnsüchte: Anonymität und Intimität

Sie sind das, was man gemeinhin eine „Ehrliche HAUT“ nennt? Ehrlich auch gegenüber sich selbst? Gar gewillt, den eigenen Charakter zu inspizieren, das Innerste nach außen zu kehren? Sie sind bereit für eine Selbstbetrachtung? Sehr löblich. Dann buchen Sie eine Kreuzfahrt, schauen Sie auf den Horizont, und nach 9,6 Tagen auf See wissen Sie alles über sich, oder zumindest fast alles. Und dies zu einem Preis von 1913 Euro. Eine Psychoanalyse kann nicht günstiger sein.

Aber bevor wir uns Ihrer Seele zuwenden, wollen wir uns ein wenig den schönen Künsten widmen und einer Arie lauschen: Leb wohl, o Erde, o du Tal der Tränen, verwandelt ward der Freudentraum in Leid; es schließt der Himmel seine Pforten auf, und unser Sehnen schwinget sich empor zum Licht der Ewigkeit. Die da singen, sind das Liebespaar Aida und Radames aus Giuseppe Verdis Oper, und was klingt, als ob sie an der Reling eines Schiffes stünden, das gleich in See sticht, ist das Sterbelied des eingekerkerten Paares. Was der Abschied vom Leben einer versklavten Prinzessin namens Aida im Land der Pharaonen mit moderner Kreuzfahrt zu tun hat? Nicht viel. Und doch sehr viel.

Mit dem Clubschiff „Aida“ hatte in Deutschland eine neue Phase der Kreuzfahrt begonnen, eine andere Klientel als die bislang vorhandene wurde angesprochen. Reichtum und Alter waren nicht mehr unabdingbare Voraussetzungen für diese Art des Reisens, wie man sie traditionell zum Beispiel auf Schiffen von Reedereien wie Hapag-Lloyd oder Cunard zu schätzen weiß. Unser Sehnen schwinget sich empor zum Licht der Ewigkeit könnte ein Slogan sein, nicht für den Tod, aber doch für eine Fahrt bei strahlendem Wetter zu glänzenden Orten, beispielsweise nach Ägypten. Mittlerweile gibt es nicht nur eine „Aida“, gleich fünf Schiffe sind es, die mit dem aufgemalten stilisierten Frauengesicht (ist es die nubische Prinzessin, die ihre roten Lippen da schürzt?) am Bug über die Meere ziehen.

Das Kreuzfahrtgeschäft boomt wie kein zweites Segment der Tourismusindustrie, die Zahlen sind beeindruckend. In Deutschland haben im vergangenen Jahr 965000 Menschen eine Reise auf einem Schiff gebucht, die Zuwachsrate lag gegenüber dem Vorjahr bei 8,5 Prozent. Allein Aida lässt jährlich ein weiteres Schiff bauen, die Werft in Papenburg ist gut ausgelastet; weltweit übertrumpfen einander schwimmende Riesen, die immer mehr Passagiere fassen. Auch die britische Cunard Line bringt 2008 einen neuen Cruiser auf den Markt. Nach der monumentalen „Queen Mary 2“ soll nun auch eine „Queen Victoria“ die Meere bereichern.

Der deutschsprachige Markt sei enorm ausbaufähig, meinen die Prognostiker, in England und den USA ist die Kreuzfahrerei seit Langem weitaus akzeptierter – Seefahrernation die einen, vergnügungssüchtig die anderen. Doch eben, die Tendenz ist hierzulande dieselbe: 9,6 Tage dauert die durchschnittliche Fahrt, bei 1913 Euro liegt der durchschnittliche Preis (die Zahlen kennen Sie? Ein wenig Geduld, zum Psychischen kommen wir später noch) – was ist es, das immer mehr Menschen auf Kreuzfahrtschiffe treibt?

„Ohne Sicherheit ist keine Freiheit“, sagte einst Wilhelm von Humboldt, dessen Bruder die Weltmeere bereiste wie nur wenige. Es könnte das Motto der Kreuzfahrer sein. Kaum zwei Gegensätze werden auf einem Liner so vollständig vereint. Behütetes Dasein, das es ist. Es wird gewärmt, gekocht, in schwerer See fachmännisch navigiert, informiert, und immer steht der Doktor parat. Die Freiheit, an Land zu gehen, durch fremde Länder zu stöbern, Nächte in Port Said oder Reykjavík zu erleben, nur mit dem Nötigsten in der Handtasche unterwegs sein, kein Hotel suchen müssen, einfach loslaufen können, von der Gangway runter und rein in die Stadt, weg von den vielen, abtauchen für ein paar Stunden in den Irrsinn einer anderen Gesellschaft, egal, welche es ist.

Überhaupt sind die Polaritäten das Entscheidende, das ganz und gar Verlockende an solch einer Reise. Extreme, die ohne einander nicht denkbar wären und erst im Miteinander ihren ganzen Glanz abwerfen: fahren und an Land liegen; stille Momente allein auf dem obersten Deck, dem Himmel ganz nah, das Wasser vor, hinter und unter sich, im Einklang mit den Gewalten, und dann, nur einen Moment später, durch das Fenster der Einblick in den Tanzsaal, Musik, lachende Menschen im Takt ihrer Körper. Es gibt Fremdes und Vertrautes, jeden Tag aufs Neue, eine Stadt mit verlockendem Namen, wie Mukalla oder Aden. Es lässt sich imaginieren, wie es wäre, hier zu leben, kleine Fragmente fremder Kulturen erhaschen, zwischen Weihrauchständen und friedlich grasenden Ziegen, eine halbe Stunde später zurück auf das heimatlich anmutende Schiff, Bekannte sprechen, die vor-gestern noch Unbekannte waren, das Zimmermädchen grüßen, dessen asiatisches Gesicht vertraut geworden ist, der Geruch der Kabine, das frisch aufgeschlagene Bett, eine kleine Welt, die inner-halb weniger Tage begreifbar geworden ist, mit überschaubaren sozialen Zusammenhängen – Polaritäten, die glücklich machen.


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mare No. 60

No. 60Februar / März 2007

Von Zora del Buono

Zora del Buono, Jahrgang 1962 und stellvertretende Chefredakteurin von mare, kam qua Amt zu ihrer ersten Kreuzfahrt: einer Reise mit 1600 schwulen Männern an Bord. Es sollte ihre vergnüglichste, aber nicht letzte Kreuzfahrt bleiben; unter anderem fuhr sie mit der „Queen Elizabeth 2“ über den Atlantik. Am meisten sagen ihr Schiffe zu, die noch wie Schiffe aussehen, mit höchstens 200 Passagieren.

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Vita Zora del Buono, Jahrgang 1962 und stellvertretende Chefredakteurin von mare, kam qua Amt zu ihrer ersten Kreuzfahrt: einer Reise mit 1600 schwulen Männern an Bord. Es sollte ihre vergnüglichste, aber nicht letzte Kreuzfahrt bleiben; unter anderem fuhr sie mit der „Queen Elizabeth 2“ über den Atlantik. Am meisten sagen ihr Schiffe zu, die noch wie Schiffe aussehen, mit höchstens 200 Passagieren.
Person Von Zora del Buono
Vita Zora del Buono, Jahrgang 1962 und stellvertretende Chefredakteurin von mare, kam qua Amt zu ihrer ersten Kreuzfahrt: einer Reise mit 1600 schwulen Männern an Bord. Es sollte ihre vergnüglichste, aber nicht letzte Kreuzfahrt bleiben; unter anderem fuhr sie mit der „Queen Elizabeth 2“ über den Atlantik. Am meisten sagen ihr Schiffe zu, die noch wie Schiffe aussehen, mit höchstens 200 Passagieren.
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