See jung Frauen

Eine Tradition Lateinamerikas, postmodern auf glitzernde Kreuzfahrtschiffe in der Karibik verfrachtet: Bei der Quince­añera, dem Fest 15-jähriger Mädchen im Übergang zur Frau, feiern Latinas aus Florida die Teenieparty ihres Lebens

Es kann am Ende scheusslich viel schiefgehen bei einem Ereignis, das es nur einmal im Leben gibt. Vor allem, wenn dessen Ablauf mehrere Tänze in exponierter Position, eine vorgeschriebene Schrittfolge und die Überwindung einiger Treppenstufen vorsieht. Der Weg von den hinteren Sitzreihen durchs Auditorium ist lang, es geht außerdem abwärts. Wenn er am Ende wieder hoch führt, auf die Bühne, muss der richtige Fuß auf die erste Stufe treten, damit er auf der dritten wieder stehenbleibt, und der Mann, der im Ernstfall die Führung übernehmen soll, hört vielleicht gerade auch nicht richtig zu. Olga Nieves blickt auf ihre Füße, sie stecken in klobigen Turnschuhen. Das wäre nichts Ungewöhnliches, würden die Mädchen, die links und rechts von ihr in den roten Samtsitzen des „Platinum Theatre“ lümmeln, nicht schlanke Beine in silbernen High Heels von sich strecken. Amanda Hanono etwa, die öfter mal denkt, ihre Brüste seien zu klein. Oder Lauren Linares, sie hat Angst, dass ihr Vater herumalbern wird, weil er das eigentlich immer tut. Dyanne Ariza macht sich keine Sorgen wegen ihres Vaters, er ist gar nicht da, der von Lauren Cayón ebensowenig, aber das scheint sie nicht zu kümmern, solange ihr Freund Liebesbotschaften per SMS auf ihr iPhone schickt. 20 Mädchen sind es, manche tragen ein Diadem auf ihrem langen braunen Haar.

Ganz nah, aber für sie gerade unerreichbar, strahlt die Sonne an einem Samstag im Juni auf das haushohe Schiff im Hafen von Miami, sie haben es schon von fern gesehen. Doch je näher man dem Ungetüm kommt, umso mehr verliert sich der Überblick. Eine Wartehalle, ein paar Formalitäten, eine Lautsprecherdurchsage: „The Cordoba Travel Quinceañera group, please!“ Und schon hatte die „Liberty of the Seas“ sie verschluckt, mit ihren Familien, ihrem Gefolge, ihren bauschigen Kleidersäcken. Jetzt sitzen sie im Bauch des Schiffes, Deck 3, im Theater. Dort, wo in den kommenden Tagen allabendlich zweimal eine Musicalshow gegeben wird, proben sie den Ernstfall.

Die Mädchen kennen sich kaum, auf einem Vorbereitungstreffen an Land sind sie sich einmal begegnet, doch sie haben einiges gemeinsam. Sie sind im selben Alter, und sie sind Sprösslinge hispanischer Familien in den USA. Ihre Eltern oder Großeltern sind in Puerto Rico geboren, in Venezuela, Kolumbien oder Kuba. Sie haben ihre Heimat hinter sich gelassen, um den amerikanischen Traum zu leben, und zelebrieren jetzt auf einem amerikanischen Traumschiff mit ihren Töchtern und Enkelinnen eine heimatliche Tradition: die Quinceañera, ein familiäres Jubelfest zum 15. Geburtstag weiblicher Nachkommen. Der Anlass ist ein Abschied, das Kind wird als Frau in die Gesellschaft entlassen. Dazu wird es prachtvoll ausstaffiert, mit einem Märchenkleid aus reichlich Tüll und Spitze, mit Silberschuhen und Krönchen darf es einen Tag Prinzessin sein. Oder soll wenigstens so aussehen.

Noch sind die Roben in Hüllen gezwängt und überfüllen einen Kleiderständer am Eingang des Theatersaals im größten Kreuzfahrtschiff der Welt. Es sind ein paar mehr als nur zwei Kulturen, die hier aufeinandertreffen. Dort, wo die Quinceañera herkommt, feiert man sie an Land, im ausgewählten Familien- und Freundeskreis, mit Gottesdienst, anschließender Feier und vielleicht ein paar einstudierten Tanzeinlagen. Da, wo sie hingelangt ist, mit den ehrgeizigen Auswanderern, die sich und ihren Stolz behaupten wollen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ist sie zu etwas geworden, das man heutzutage „Event“ nennt. Es nährt sich eine kleine Industrie daraus, mit Agenturen, Partyplanern, Merchandising. MTV sendet eine Realityshow zum Thema, in Disney World kann man zum Fest Mickymaus als Mariachi-Spieler buchen, und Barbie trägt in der Quinceañera-Version aus gegebenem Anlass nicht blondes, sondern dunkles Haar.

15 000 Dollar im Schnitt lassen sich Familien das kosten, manche Eltern sparen ihr halbes Leben für zweitägige Partys, die monatelang vorbereitet werden, und haben danach kein Geld mehr, um der Kurzzeitprinzessin ihre Ausbildung zu finanzieren. In Miami, wo die Hispanier über 65 Prozent der Bevölkerung stellen, boomt der Markt. Oscar Suárez, Exilkubaner, hat vor 26 Jahren die erste „Quinceañera Cruise“ organisiert, für seine Tochter und 16 Freundinnen samt Anhang. Eine siebentägige Gruppenreise mit kollektiver Zeremonie und Identifikation stiftender Randaktivität zu lateinamerikanischer Musik. Ein florierendes Geschäft ist daraus geworden, „Cordoba Travel, Inc.“, sechs Wochen im Sommer kreuzen die Suárez und ihr Team durch die Karibik und betreuen bis zu 1000 Gäste je Fuhre.

Señor Suárez trägt ein Oberhemd, das so weiß ist wie seine Haare, eine blaue Gabardinehose und braune Schuhe, damit ist er mit Abstand der eleganteste Mann im Theatersaal. Gemessenen Schrittes führt er die Marschroute des kommenden Abends vor. „Smile all the time“, sagt Suárez streng. „Keep eye contact“, und jedes Mal, wenn er seine Bewegung stoppt: „Flash!“ Er spricht die Blitzlichter des imaginären Fotografen mit. Olga, Dyanne, Lauren, Amanda und die anderen 16 sind aufgefordert, genau zuzusehen und hinzuhören. „One and only rehearsal“, einzige und einmalige Probe, steht in Großbuchstaben im Stundenplan ihrer Reise. Aber nicht alle verstehen, was Suárez erzählt. Den Großteil seiner Einführung hält er in Spanisch, das sprechen die Immigrantenkinder nicht mehr so gut. Nur die Kommandos gibt er auf Englisch, als Zugeständnis an die amerikanisierten Nachgeborenen, die gelangweilt bis ängstlich die Riemchen ihrer Silbersandalen kneten und alle aussehen, als würde sie nur eine Frage wirklich beschäftigen: Kann ich auf diesen Schuhen so weit und ohne Unglück gehen? Alle, bis auf Olga, die immer noch darauf wartet, dass ihr Koffer mit den High Heels aus der Gepäckabfertigung kommt.


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mare No. 74

No. 74Juni / Juli 2009

Von Martina Wimmer und Claudine Doury

Martina Wimmer, Jahrgang 1965, mare-Redakteurin, war einigermaßen überrascht darüber, dass die Mädchen größere Sonnenbrillen trugen als sie selbst, dazu knappe Tops und Push-up-BHs. Ihr liebstes Kleidungsstück mit 15 war ein altes Flanellhemd ihres Vaters.

Claudine Doury, Jahrgang 1959, lebt mit ihrer Tochter Sasha in Paris. Zu deren 15. Geburtstag wollte sie, von der Reise inspiriert, ein großes Fest mit Pomp und Abendkleid organisieren. Ihre Tochter fand die Idee indiskutabel.

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Vita Martina Wimmer, Jahrgang 1965, mare-Redakteurin, war einigermaßen überrascht darüber, dass die Mädchen größere Sonnenbrillen trugen als sie selbst, dazu knappe Tops und Push-up-BHs. Ihr liebstes Kleidungsstück mit 15 war ein altes Flanellhemd ihres Vaters.

Claudine Doury, Jahrgang 1959, lebt mit ihrer Tochter Sasha in Paris. Zu deren 15. Geburtstag wollte sie, von der Reise inspiriert, ein großes Fest mit Pomp und Abendkleid organisieren. Ihre Tochter fand die Idee indiskutabel.
Person Von Martina Wimmer und Claudine Doury
Vita Martina Wimmer, Jahrgang 1965, mare-Redakteurin, war einigermaßen überrascht darüber, dass die Mädchen größere Sonnenbrillen trugen als sie selbst, dazu knappe Tops und Push-up-BHs. Ihr liebstes Kleidungsstück mit 15 war ein altes Flanellhemd ihres Vaters.

Claudine Doury, Jahrgang 1959, lebt mit ihrer Tochter Sasha in Paris. Zu deren 15. Geburtstag wollte sie, von der Reise inspiriert, ein großes Fest mit Pomp und Abendkleid organisieren. Ihre Tochter fand die Idee indiskutabel.
Person Von Martina Wimmer und Claudine Doury