Schwimm, Vogel

Notwasserungen von Verkehrsflugzeugen auf dem Meer sind äußerst selten. Zum Glück, denn die Chancen, dabei glimpflich davonzukommen, sind gering. Die Fluggesellschaften versuchen aber auch diese noch zu nutzen

Die Türen des riesigen Flugzeugs werden aufgestoßen. Jemand ruft: „Go, go, go!“ Schreieertönen, Menschen in knallgelben Schwimmwesten springen auf die Notrutschen. Die Ungetüme aus Gummi enden im türkisblauen Wasser eines Pools, der sich in Dubais Wüste befindet. Hier hat Emirates Airlines jüngst ein 40 Tonnen schweres, 24 Meter langes und 5,2 Millionen Euro teures Modell eines Teiles der Airbus-A380-Kabine eingerichtet. Mit 58 Ordern ist Emirates wichtigster Kunde für den Hersteller des größten Verkehrsflugzeugs der Welt.

Flugbegleiter und Kapitäne sollen anhand der A380-Nachbildung lernen, wie sie sich bei Bränden, Bruchlandungen und Notwasserungen verhalten müssen. Zweieinhalb Jahre hat es gedauert, diesen Simulator zu bauen, der von 28 Computern gesteuert wird. Der weltweit einmalige „Emergency Evacuation Trainer“ ist beweglich und erzeugt realistische Notfallszenarien inklusive akustischer und visueller Effekte in der Kabine.

„Heute üben wir das Verhalten nach der Notwasserung einer A380“, sagt der Ausbilder, ohne den Blick vom Schauplatz zu wenden. Die letzten „Passagiere“ verlassen die Kabine und drängen jetzt auf die Gummiflöße, die als Rettungsboote dienen. Mit vereinten Kräften paddeln sie Richtung Beckenrand, erreichen kurz darauf das rettende Ufer. Einige andere treiben noch im Wasser, dicht gedrängt. Sie halten sich aneinander fest, wie der Trainer es ihnen beigebracht hat, um sich auf dem Ozean gegenseitig warm zu halten und nicht abzutreiben. Nun heißt es: warten, bis Hilfe eintrifft. In der Realität kann das Stunden dauern. Heute sind es nur ein paar Minuten, dann winkt der Ausbilder ab. Übung zu Ende.

Normalerweise dürfen Journalisten diese Halle nicht betreten. Denn über ihre Sicherheitsübungen sprechen Fluggesellschaften nicht gern. Schließlich wollen sie ihre Kunden nicht verunsichern. Laut Umfragen leiden fast 40 Prozent der Passagiere an Flugangst. Die Notwasserung einer mehr als 350 Tonnen schweren A380 mit bis zu 873 Menschen an Bord ist für die meisten ein Horrorszenario.

Dabei sind gezielte Landungen auf dem Wasser extrem unwahrscheinlich. Aus der Jet-Ära sind gerade sechs Fälle bekannt. Im August 1963 etwa ging eine Tupolew Tu-124 bei Sankt Petersburg auf der Newa nieder, nachdem das Kerosin ausgegangen war. Alle 52 Insassen überlebten. Im Mai 1970 wasserte eine Douglas DC-9 nahe den Virgin Islands, ebenfalls wegen Treibstoffmangels. 23 von 63 Menschen an Bord kamen ums Leben. Einer der spektakulärsten Vorfälle ereignete sich am 15. Januar dieses Jahres. Ein voll besetzter Airbus A320 der amerikanischen Fluggesellschaft US Airways kollidierte mit einem Vogelschwarm, beide Triebwerke fielen aus, und der Pilot entschied sich, die Maschine auf dem Hudson River in New York zu landen. Alle 155 Passagiere und Besatzungsmitglieder blieben nahezu unversehrt.

Doch nur selten gelingen Notwasserungen perfekt. Generell sind die Chancen schlecht, ein solches Manöver zu überleben. Denn der Jet trifft mit einer Geschwindigkeit von über 200 Kilometern pro Stunde aufs Wasser. „Ein Großraumflugzeug wird beim Aufprall zerschmettert wie ein rohes Ei, das auf Beton fällt. Dabei werden die meisten, wenn nicht alle Passagiere getötet, sogar bei ruhiger See mit gut trainierten Piloten und optimaler Anflugbahn“, erklärt die amerikanische Verbraucherschutzgruppe Aviation Consumer Action Project.

Für den Fall der Fälle wollen Airlines dennoch gewappnet sein. Also schleppen Verkehrsflugzeuge täglich das Gewicht von Millionen Schwimmwesten, jede wiegt etwa ein halbes Kilogramm. Auf Flügen, die sich mehr als 90 Kilometer vom Land entfernen, sind sie international vorgeschrieben. „Mit der zunehmenden Zuverlässigkeit der Triebwerke nimmt die Wahrscheinlichkeit geplanter Notwasserungen zwar ab“, sagt eine Sprecherin der Europäischen Agentur für Flugsicherheit, der für die Luftsicherheit zuständigen EU-Behörde, „trotzdem haben wir nicht vor die Bestimmungen für Notwasserungen großer Flugzeuge zu ändern.“

Noch in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren Landungen auf dem Meer gar nicht so unwahrscheinlich. Damals flogen Passagierflugzeuge mit unzuverlässigen Kolbenmotoren, häufig fielen die Triebwerke aus, sodass Piloten immer wieder zu Notwasserungen gezwungen waren. Am 16. Oktober 1956 erlangte eine ähnlich eindrucksvolle Notwasserung wie vor Kurzem auf dem Hudson Berühmtheit. Eine Boeing B-377 Stratocruiser der Pan Am setzte auf halbem Weg zwischen Hawaii und San Francisco nach Motorproblemen mitten auf dem Pazifik neben einem Wetterschiff auf. Obwohl das Flugzeug bei der Landung hinter der Haupttür auseinanderbrach, wurden damals alle 31 Insassen gerettet.


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mare No. 73

No. 73April / Mai 2009

Von Andreas Spaeth

Andreas Spaeth, 43, Luftfahrtjournalist aus Hamburg, hat mit Schwimmwesten so seine Probleme. Bei einer Sicherheitsübung von Lufthansa hätte er sich beinahe stranguliert.

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Vita Andreas Spaeth, 43, Luftfahrtjournalist aus Hamburg, hat mit Schwimmwesten so seine Probleme. Bei einer Sicherheitsübung von Lufthansa hätte er sich beinahe stranguliert.
Person Von Andreas Spaeth
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