Schwarz gegen Blau

Am Mittelmeer streiten Rückwärtsgewandtheit und Fundamentalismus mit Weltoffenheit und Lebenskunst

Rund um das Mittelmeer gibt es einen beständigen Hang zur Tragik, eine Nähe zum Unglück. Diese Haltung ist da, sie ist ganz nah, und niemand versucht, sie zu verbergen. Sie ist einfach Teil des Lebens. Der Tod hat seine Heimstatt, das Dunkel seinen Raum: Schwarz.

Das nächtige Tuch kleidet heute noch die alten Frauen und hinterlässt in unserer Erinnerung einen lebendigen Abdruck. Manchmal wird das Schwarz zur Farbe, wie es der Maler Matisse in Tanger darstellen wollte. Es gibt das Schwarz der Mafia, deren Wiege Sizilien ist - doch man würde es sich zu leicht machen, wollte man dies auf die eine Insel beschränken. Die Macht dieser Krake hat eine ganze Reihe von Inseln und Häfen erobert. Sie hält die Fäden eines tiefen Obskurantismus im Namen ihrer einzigen dreckigen Tugend zusammen: Geld, verbunden mit Gewalt.

Und da ist das Schwarz des Faschismus, der aus Italien herausdrang mit seinen Schwarzhemden. Diese schwarze Politik sieht ihre Farbe mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende nicht getilgt. Ganz im Gegenteil, sie erhebt ihr Haupt und findet wieder Schwung, besonders im mediterranen Süden, der sich als neue Grenze erkennt.

Angstfantasien breiten sich fieberhaft aus. Angesichts der gegenüberliegenden nordafrikanischen Küste werden Abweisung und Rückzug zu dominierenden Grundhaltungen, die von der Mehrzahl der Bevölkerung wie selbstverständlich akzeptiert werden.

Doch könnte man sich ein Mittelmeer ohne beide Küsten vorstellen? Eine zerborstene Mittelmeerregion hinter schützenden Mauern ? Diese unselige Illusion der angeblichen Bedrohung beginnt sich als Gesicht der Zukunft festzusetzen. Das Schwarz des Fundamentalismus - auch diese Macht breitet sich aus. Die islamistischen Bewegungen sind zu führenden Kräften des Protestes gegen die örtlichen Machthaber geworden: in Algerien mit der FIS und der GIA, in der Türkei mit der Refahpartei, in Ägypten mit der Gama'at Islamiya und im Libanon mit der Hisbollah. Sie sind Produkte der Moderne - in erster Linie aufgrund einer ungezügelten Verstädterung -, aber sie sind keine Träger der Moderne. Sie werfen den schwarzen Schleier religiöser Ideologisierung über jene Kultur und Kunst, die sie für unzulässig halten. Der Mittelmeerraum als Region der Begegnung mit „dem Westen" ist in ihren Augen nichts weiter als ein gottloses Territorium ohne die geringste Existenzberechtigung.

Böse Absichten, die von den Fundamentalisten der anderen Seite geteilt werden, von denen der Juden, der Orthodoxen und der Katholiken, die ebenfalls in dieser Region ihren Wohnsitz haben. Wenn nur der Eine zählt, in seiner gefährlichen Reinheit, kommt die Vielfalt nicht zu ihrem Recht. Der Fundamentalismus fußt auf einer Vorstellung von Identität, die aus einer einzigen Logik hervorgeht und alle anderen Dimensionen, jede Art von Polyphonie ausschließt.

Nicht zu vergessen das Schwarz des französischen Geheimbundes „Cagoule" der nationalistischen Bewegungen, die nicht zögern, zu den Waffen zu greifen, um Meuchelmord und Attentate zu begehen. Die Jagd auf alles, was nicht dem eigenen Boden entspringt, tötet jeden Sinn für Verschiedenheit ab, verbarrikadiert sich und endet in einer Sackgasse ohne Wendemöglichkeit.

Schwarz ... es handelt sich nicht darum, dem Mittelmeer den Sinn für Tragik auszureißen. Sie ist eine ihm eigentümliche Dimension. Aber die Zeit ist gekommen, dem Hass genau ins Gesicht zu sehen. Seine unermessliche Zerstörungskraft ist nicht mehr so gut im Zaum gehalten wie in der Vergangenheit. Mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist der Blick geschwächt, der Geist des Widerstandes aufgeweicht, sodass das Schwarz wieder zu einer anziehenden Farbe geworden ist. Geben nicht die Astronomen einem leeren Raum die Bezeichnung „Schwarzes Loch"?

Man sollte sich in diesen Zeiten, in denen die Beliebigkeit zur Mode geworden ist, daran erinnern, dass das Grauen vor der Leere in der Logik der Politik liegt. Es gibt da eine Kraft, einen Schwung, der an die Nähe des Abgrundes gemahnt und an die Notwendigkeit, sich ihm zu stellen, ihn eher durch den Bau von Brücken zu überwinden als ihn mit Mauern zu „sichern". Das Mittelmeer, Scharnier zwischen Kulturen und Zivilisationen, ist im Augenblick auch Scharnier seiner eigenen Geschichte. Ein entscheidender Teil unserer Zukunft wird sich dort abspielen - und wir wollen nichts davon wissen, können es nicht verstehen. Doch die Gegenwart eines Unheilbaren tötet die Begeisterung für das Leben nicht. Beide sind ein nicht zu trennendes Paar. Das Schwarz ruft nach dem Blau ...


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mare No. 25

No. 25April / Mai 2001

Essay von Thierry Fabre

Thierry Fabre, geboren 1960, ist Forscher, Essayist und Publizist. Er leitete die Zeitschrift Qantara, die vom in Paris ansässigen Institut du Monde Arabe herausgegeben wird, und ist jetzt Mitarbeiter der Zeitschrift Esprit. Sein jüngstes Buch erschien unter dem Titel Les représentations de la Méditerranée im Mai 2000. Der vorliegende Text ist dem Sammelband Méditerranées (Verlag Librio, 1998) entnommen. Übersetzung: Beate-Ursula Endriss.

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Vita Thierry Fabre, geboren 1960, ist Forscher, Essayist und Publizist. Er leitete die Zeitschrift Qantara, die vom in Paris ansässigen Institut du Monde Arabe herausgegeben wird, und ist jetzt Mitarbeiter der Zeitschrift Esprit. Sein jüngstes Buch erschien unter dem Titel Les représentations de la Méditerranée im Mai 2000. Der vorliegende Text ist dem Sammelband Méditerranées (Verlag Librio, 1998) entnommen. Übersetzung: Beate-Ursula Endriss.
Person Essay von Thierry Fabre
Vita Thierry Fabre, geboren 1960, ist Forscher, Essayist und Publizist. Er leitete die Zeitschrift Qantara, die vom in Paris ansässigen Institut du Monde Arabe herausgegeben wird, und ist jetzt Mitarbeiter der Zeitschrift Esprit. Sein jüngstes Buch erschien unter dem Titel Les représentations de la Méditerranée im Mai 2000. Der vorliegende Text ist dem Sammelband Méditerranées (Verlag Librio, 1998) entnommen. Übersetzung: Beate-Ursula Endriss.
Person Essay von Thierry Fabre