Schule zur See

Wind und Wellen sind die besten Lehrer: Interview mit John Schamong, dem Kommandanten der „Gorch Fock“

mare: Die Marine hat gerade 23 Millionen Mark für die Überholung der „Gorch Fock“ ausgegeben. Klingt nach mehr als einem neuen Anstrich.

Schamong: Wenn ein Schiff über 40 Jahre alt ist, muss ich mich entscheiden: Weiterfahren oder außer Dienst stellen? Die Marineführung hat sich überlegt, dass sie das Schulschiff noch einmal 20, 30 Jahre für die Ausbildung nutzen will. Und diese Entscheidung hatte zur Folge, dass die „Gorch Fock“ grundlegend umgebaut werden musste. Sie hat zwar von außen ihr Gesicht behalten, aber innen ist eigentlich nichts beim Alten geblieben. Ein kompletter Neubau, der auch diskutiert worden ist, wäre allerdings erheblich teurer geworden.

Was ist konkret gemacht worden?

Die elektrischen Systeme sind komplett erneuert worden, wir haben neue Navigationsanlagen bekommen. Viele Dinge, wie der Einbau einer Querschubanlage, rechnen sich natürlich, weil wir dann künftig Schlepperkosten sparen. Oder: Früher mussten wir unser ölhaltiges Bilgenwasser in den ausländischen Häfen sehr teuer entsorgen. Das können wir jetzt selber so aufbereiten, dass wir praktisch reines Wasser nach außenbords geben.

Es steht also die Investition ins Arbeitsgerät im Vordergrund – und nicht etwa der Denkmalschutz?

Sicherlich nicht. Klar, wir sind natürlich bemüht, die „Gorch Fock“ in ihrem Äußeren so zu erhalten, wie sie war, weil sie ein schönes Schiff ist und als Botschafterin Deutschlands überall auf der Welt gerne gesehen ist. Auf der anderen Seite müssen wir Schiffstechnik wie Klimaanlage oder Meerwasserentsalzung der modernen Zeit anpassen. Außerdem haben wir auch eine Gefahrenstelle in der Takelage entschärft. Bisher waren die Kadetten nicht gesichert, wenn sie von den Wanten in die Rahen übergestiegen sind. Jetzt können sie sich beim „Auslegen“, also auf dem Weg an ihre Arbeitsposition, in eine Sicherheitsleine einpicken.

Seit 1991 klettern auf der „Gorch Fock“ auch Frauen in die Rahen. Wie haben sie das Leben an Bord verändert?

Ich habe in den fünf Jahren, die ich auf dem Schiff mit Frauen fahre, nur gute Erfahrungen gehabt. Deshalb sage ich: Das Klima an Bord ändert sich immer zum Positiven, wenn Frauen dabei sind. Der Umgangston ist einfach angenehmer an Bord ...

An der Seemannsweisheit, dass Frauen auf einem Schiff Unglück bringen, ist also garantiert nichts dran?

Die Marine hat immer gesagt: Frauen und Schnittblumen an Bord bringen Unglück. Jetzt achtet die Frauenbeauftragte darauf, dass es nur noch heißt: Blumen haben an Bord nichts verloren. Denn der Anteil der Frauen an Bord wächst. Anfangs hatten wir ein Dutzend Ärztinnen und Sanitäterinnen dabei. Jetzt werden unter den 240 Offiziersanwärtern, die für die nächste Fahrt an Bord kommen, zum ersten Mal auch 50 Frauen sein.

Machogehabe ist bei der Marine also abgehakt ...

Ich vermute mal, die Männer haben diesen Spruch irgendwann geprägt, um zu sagen: Keep out! Das Schiff ist unsere Domäne, da dürft ihr nicht ran. Andererseits war das ja auch ’ne Arbeit früher! Wenn Sie die Bücher über die Großsegler lesen, die ums Kap Horn gefahren sind: Da fällt mal einer über Bord, da wird mal einer vergessen, und dann haben sie alle möglichen Krankheiten – unglaubliche Zustände da an Bord! Dazu schwerste körperliche Arbeit. In der See gestanden bis hier und mit bloßen Händen schwerste Gewichte bewegt, das war nichts für ’ne Frau.
Heute ist das anders. Die Ausbildung auf der „Gorch Fock“ ist schwer, schwere körperliche Arbeit, aber das können Frauen machen, weil es sicher ist. Und was sie durch schiere Muskelkraft nicht bewältigen, das gleichen sie durch Geschick wieder aus. Das kriegen die schon hin.

Was lernen Kadetten auf einem Schulschiff?

Zu allererst das seemännische Handwerk – Spleißen, Takeln, Knoten. Dann: Verständnis für die See. Wie muss ich mich verhalten, wenn ’ne Front aufzieht? Auf der „Gorch Fock“ stehe ich im Freien. Ich bin den Elementen ausgesetzt und muss mich mit ihnen auseinander setzen, weil mein Antrieb ein Segel ist und nicht eine Maschine, mit der ich auch gegen den Wind fahren kann. Das dritte Lehrziel nennen wir Lebensschulung ...

... ehemalige Kadetten nennen die „Gorch Fock“ weniger liebevoll den „Schleifstein der Nation“ ...

Das ist ein Begriff, den sie sich vielleicht zurechtgelegt haben, weil sie stolz darauf sind, dass sie es geschafft haben. Die Ausbildung ist hart. Das ist völlig unwidersprochen. Aber unter Schleifen verstehe ich etwas, das in Richtung des Unmenschlichen geht. So etwas findet bei uns nicht statt.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 27. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 27

No. 27August / September 2001

Von Olaf Kanter und Kathrin Wahrendorff

Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Politik.

Kathrin Wahrendorff, geboren 1945, ist freie Fotografin und lebt in Pinneberg bei Hamburg.

Für John Schamong wird die Testfahrt mit der überholten „Gorch Fock“ der letzte Törn sein. Im September geht er als Verbindungsoffizier zum Supreme Allied Commander Atlantic (Saclant) der Nato im US-amerikanischen Norfolk

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Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Politik.

Kathrin Wahrendorff, geboren 1945, ist freie Fotografin und lebt in Pinneberg bei Hamburg.

Für John Schamong wird die Testfahrt mit der überholten „Gorch Fock“ der letzte Törn sein. Im September geht er als Verbindungsoffizier zum Supreme Allied Commander Atlantic (Saclant) der Nato im US-amerikanischen Norfolk
Person Von Olaf Kanter und Kathrin Wahrendorff
Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Politik.

Kathrin Wahrendorff, geboren 1945, ist freie Fotografin und lebt in Pinneberg bei Hamburg.

Für John Schamong wird die Testfahrt mit der überholten „Gorch Fock“ der letzte Törn sein. Im September geht er als Verbindungsoffizier zum Supreme Allied Commander Atlantic (Saclant) der Nato im US-amerikanischen Norfolk
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