Schönheit von innen

Bis in unsere Gegenwart gehört das Perlmutt zu den kostbarsten Materialien feinen Kunsthandwerks. In manchen Kulturen der Welt ist es seit je ein Stoff, der Mythen schuf

Man könnte diese Geschichte mit griechischer Mythologie beginnen oder mit einem Lied von Roxy Music. Aber vielleicht macht das am Ende gar keinen so großen Unterschied, weil beides beispielhaft erzählen kann, wie die Schönheit und Perfektion der Natur zu jeder Zeit die Fantasie beflügeln. Aphrodite, die Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit, ist aus dem Meer geboren. Titan Kronos trennte, dem antiken Mythos nach, seinem himmlischen Vater Uranos mit einer Sichel die Geschlechtsteile ab und warf sie in den Ozean. In einer Muschelschale brachten daraufhin die Fluten eine Göttin auf die Welt. Die Wassertropfen, die von ihrem Körper rannen, waren Perlen. Und das Perlmuttbett schimmerte so reich, wie es einer frühen Schönheitskönigin gebührt.

Ein paar Zeitalter später sang Brian Ferry im Jahr 1973 eine Hymne auf das Leben, die Liebe, die Lust am Genuss, vielleicht war auch die eine oder andere Droge damit gemeint: „Oh mother of pearl, lustrous lady of a sacred world … submarine lover in a shrinking world, mother of pearl, so so semi precious in your detached world, oh mother of pearl, I wouldn’t trade you for another girl.“

Mother of pearl, die Mutter der Perle, Perlmutter hieß das farbenprächtige Innere schalenbildender Mollusken auch in der deutschen Sprache früher, die Endung hat sich abgeschliffen und ist doch nichts anderes als die Wahrheit. Sie sind aus demselben Stoff gemacht, Mutter und Perle. Aus Kalziumkarbonat in der Modifikation Aragonit und aus Conchin, einer hornartigen organischen Substanz. Das wäre nun an sich nichts Besonderes, beide Stoffe kommen in der Natur häufig vor. Und die Verbindung aus Kalziumkarbonat und Horn lässt nicht automatisch einen prismenartigen Farbrausch entstehen. Etwa 20 000 marine Muscheln und 60 000 bis 70 000 marine Schnecken sind heute bekannt, aber nur wenige davon produzieren Perlmutt und Perlen. Die ausgesuchten Könner unter den Weichtieren gehen mit einer akribischen Technik vor: In unzähligen, hauchdünnen Schichten wird das Aragonit gleichsam gestapelt, je nach Wassertemperatur 2,5 bis fünf Mikrometer, also tausendstel Millimeter, dick. Aus organischem Material produziert die Molluske einen Käfig, in den die Aragonitkristalle geregelt hineinwachsen. Das Conchin dient dabei als bindendes Material zwischen den Schichten, und würde es nicht so grob klingen, könnte man das Ergebnis vergleichen mit dem Bau einer Backsteinmauer – das Aragonit als Ziegel, das Conchin wie Mörtel dazwischen.

Der augenfälligste Nebeneffekt der sorgfältigen Bauweise ist das, was der Schmuckfachmann „Lüster“ nennt. Die mikroskopisch fein gefächerte Struktur gewinnt durch einfallendes Licht irisierenden Glanz in zarten Farben. Meergrün, Azurblau, das zarte Rosa der Morgenröte, es lässt sich einiges sehen im Inneren einer Muschel oder Abalone.

Der Reichtum der Farben, der sich in der rauen Schale tief im Meer versteckt, musste denen, die ihn in frühen Zeiten entdeckten, von unschätzbarem Wert erscheinen. In den Geschichten und Mythen vieler Küstenvölker ist der Glanz des Perlmutts überirdisches Symbol. Der Maorihalbgott Maui hat der Legende nach mit einem magischen Angelhaken aus Perlmutt ganz Neuseeland aus den Tiefen des Meeres gefischt. In traditionellen Maorischnitzereien wird das Perlmutt der in Neuseeland beheimateten Haliotis iris oder Paua, einer besonders betörend schimmernden Seeschneckenart, bis heute verwendet, um die Augen mythischer Figuren und Gottheiten darzustellen. Weil nichts sonst leuchtet wie „whetu“, die Sterne am Nachthimmel, die Augen der Vorfahren, die auf die Lebenden herabblicken.

In der Kosmologie der nordamerikanischen Navaho bewacht der schwarze Wind das Haus einer Abalone, die mit einem Mondstrahl am Firmament befestigt ist. In der Vorstellung der Ureinwohner des Südwestens der USA reisten die Medizinmänner dorthin, um Heilkraft zu schöpfen. Aus Abalonen und Perlaustern wurden Amulette und Kultobjekte gefertigt, ganze Schalen wurden als rituelle Gefäße benutzt, zerriebenes Perlmutt als Medizin eingesetzt. Für die Miwok, ein Stamm, der nördlich der San Francisco Bay lebte, war das Farbenspiel der an der kalifornischen Küste zahlreich vorkommenden Abalonearten gar gleichsam strahlend wie der Sonnenschein. In der Legende ist der Körper der Sonnenfrau, die die Welt erleuchtet, mit Perlmutt bedeckt. „Dadurch schien sie derart hell, dass es schmerzte, sie anzuschauen.“ Auch in Asien wurden religiöse Bilder aus dem Leben des Buddha mit Perlmuttintarsien veredelt. In China klebte man Buddhafiguren in das Innere lebender Muscheln und ließ sie auf ganz natürliche Weise mit Perlmutt überziehen; daraus entstanden ganz nebenbei erste Versuche der Perlenzucht.


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  mare No. 72

No. 72Februar / März 2009

Von Martina Wimmer

mare-Redakteurin Martina Wimmer, Jahrgang 1965, glaubte, resistent gegen schillernden Ethnokitsch zu sein. Bis sie auf ihrer ersten Neuseelandreise eine Paua-Schale mit besten Wünschen von einem weisen Maorifischer geschenkt bekam. Sie steht bis heute auf ihrem Nachttisch.

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Person Von Martina Wimmer
Vita mare-Redakteurin Martina Wimmer, Jahrgang 1965, glaubte, resistent gegen schillernden Ethnokitsch zu sein. Bis sie auf ihrer ersten Neuseelandreise eine Paua-Schale mit besten Wünschen von einem weisen Maorifischer geschenkt bekam. Sie steht bis heute auf ihrem Nachttisch.
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