Schneckenchic

Die seltsamen Neigungen der Meeresschnecke Xenophora

Der Mann machte einen durch und durch seriösen Eindruck. Ein wenig schweigsam vielleicht, ernsthaft, einer der Großen seines Fachs, berühmt für präzisest ausgeleuchtete Sachfotografie. Die Mappe unter seinem Arm gefüllt mit Bildern eines eigentümlichen Tieres. „Meeresschnecken“, erklärte er. Und schwieg. Die Schalen über und über bestückt mit Muscheln und Schneckenhäusern, mit Korallen und gar mit Glas. Explodierende Skulpturen.

Beherztes Kunstwerk, dachte ich. Oder liebevoll gebastelt von einer Elfjährigen, in stundenlanger Arbeit geklebt. Relikte eines Sommerurlaubs an der Adria. Was einem alles so zur Veröffentlichung angeboten wird …

„Die sind echt“, meinte er. Schwieg und blätterte sorgsam weiter. Es folgte Foto um Foto, bezaubernd, verrückt, immer neue Formationen von Schneckengehäusen, die die Basis bilden für Dutzende anderer Schalen, säuberlich an der schmalsten Stelle angebracht. Woher die stammen? Nun, der Sammler sollte ungenannt bleiben. Aha, dachte ich mir. Also doch nicht echt. Man kennt das ja, all die Bernsteine mit den Insekteneinschlüssen, die einem von russischen Händlern an Berlins Potsdamer Platz als kostbare Fossilien verkauft werden. In Litauen soll es eine Bernsteinschmelzfabrik geben, mit hauseigener Fliegenproduktion. Er ließ sich nicht beirren. Keine Fälschungen. Indischer Ozean.

Warum aber sollte eine Schnecke so etwas tun? Die Natur, wir wissen es, hat für fast alles gute Gründe. Ist es vielleicht ein angeberischer Schneckenmann? Gefallsüchtig? Auf Frauenfang? Vielleicht will er sich im Gegenteil tarnen? Oder aber dem Feind stachelig entgegentreten? Ein wehrhaftes Wesen! Oder lebt die Schnecke in trauter Symbiose mit Muscheln auf dem Rücken – die eine bewegt sich, die anderen hocken bequem und fressen, was vorbeikommt? Warum dann aber die Glasstücke, die Korallensplitter? Und vor allem: Wie tut sie es? Vielleicht doch eher eine thailändische Schneckenklebestube, wo flinke Frauen- und Kinderhände kratzen, bohren und leimen? Fragen, die beantwortet sein wollen.

Das Museum für Naturkunde in Berlin ist ein gewaltiger, dunkler Bau mit undurchsichtig vielen Fluren und Innenhöfen, Treppen und Schauräumen, in denen einen ausgestopfte Tiere anstarren und enorme Versteinerungen prunken. Es riecht hier nach Vergangenheit, nach den Entdeckungen der Naturwissenschaftler, nach Humboldt und Südsee-Expeditionen, es riecht nach der weiten Ferne, wie sie einst die Menschen fasziniert hat.

500 Weichtierforscher gibt es weltweit, die ambitionierten Laien mit eingeschlossen. Matthias Glaubrecht ist einer der prominentesten, Kurator der Malakozoologischen Sammlung im Haus und damit Herrscher über fünf Millionen Sammlungsstücke. Ein verschlungener Oktopus thront auf dem Regal hinter ihm, riesige Saugnäpfe kleben am Glas, seit Jahrzehnten schon. 500 Malakologen also, und das für 120000 Molluskenarten. Ein weites Feld, über viele Tiere weiß man kaum etwas, über noch mehr gar nichts, es ist kein Hinterherkommen. Xenophora heißt meine Schnecke, die „Fremdträgerin“. 25 Arten sind bekannt. Ein besonders schönes Stück sei hier im Museum zu finden, groß wie eine Faust. Sollte hier zu finden sein, eigentlich. Eine leere Plastikbox, darauf steht „Xenophora pallidula“. Keine Schnecke darin. Verschwunden.

Also doch! Neigte ich zu Verschwörungstheorien, mir wäre alles klar. Betrug. Der Hamburger Fotograf arbeitet mit den thailändischen Kleberinnen zusammen und ist mit dem Kurator der Molluskensammlung in Berlin befreundet. Sie wollen den deutschen Markt ankurbeln oder so.

Dunkle Holzschränke aus dem 19. Jahrhundert bilden ganze Flure, Schubladen über Schubladen, das Archiv des Museums. Auf den Schränken dickwandige Gläser, Schnecken, so groß wie Trompeten, schillernde Muscheln, Tintenfischarme, bizarre Varianten der Tiefe der See, ein schier unendlicher Fundus. Glaubrecht zieht eine schmale Lade auf, in alter Schrift steht mit Tinte auf einem Kartonstück geschrieben: „Valdivia“. Staub hat sich über die Schnecken gelegt, die 1898 mit dem Expeditionsdampfer „Valdivia“ aus dem Indischen Ozean nach Deutschland gebracht worden sind. Eine Handvoll kleiner Trägerschnecken, die winzige Muscheln auf ihrer Schale angeordnet haben. Nicht wahllos, sondern präzise auf einer sich um das Gehäuse schlängelnden Linie. Warum? Und wie?

„Wiese in Cismar“, sagt Glaubrecht, „Das „Haus der Natur“, ein Familienbetrieb, sehr engagiert. Wenn einer Genaueres weiß, dann Vollrath Wiese in Cismar. Sobald unsere Xenophora aufgetaucht ist, melde ich mich. Sie können Patin werden“, ergänzt er, „kostet Sie 150 Euro, ein Witz für eine lebenslängliche Patenschaft für so ein prachtvolles Exemplar. Sie unterstützen damit das Museum, die Forschung, Studenten werden entlöhnt, um die bröckelnden Schalen wieder zusammenzukleben.“ (Höre ich da „kleben“?)


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mare No. 55

No. 55April / Mai 2006

Von Zora del Buono und Hans Hansen

Zora del Buono ist stellvertretende Chefredakteurin von mare.

Hans Hansen lebt als freier Fotograf in Hamburg.

Das „Haus der Natur“ in Cismar hat rund 60 Trägerschnecken in der ständigen Ausstellung (zu sehen täglich von 10 bis 19 Uhr). Patenschaften für Objekte im Berliner Naturkundemuseum können über www.mein-museum.de erworben werden. Das Patenkind der Autorin ist noch bis zum 23. Juli in der Ausstellung „Evolution. Wege des Lebens“ im Dresdener Hygiene-Museum zu sehen.

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Vita Zora del Buono ist stellvertretende Chefredakteurin von mare.

Hans Hansen lebt als freier Fotograf in Hamburg.

Das „Haus der Natur“ in Cismar hat rund 60 Trägerschnecken in der ständigen Ausstellung (zu sehen täglich von 10 bis 19 Uhr). Patenschaften für Objekte im Berliner Naturkundemuseum können über www.mein-museum.de erworben werden. Das Patenkind der Autorin ist noch bis zum 23. Juli in der Ausstellung „Evolution. Wege des Lebens“ im Dresdener Hygiene-Museum zu sehen.
Person Von Zora del Buono und Hans Hansen
Vita Zora del Buono ist stellvertretende Chefredakteurin von mare.

Hans Hansen lebt als freier Fotograf in Hamburg.

Das „Haus der Natur“ in Cismar hat rund 60 Trägerschnecken in der ständigen Ausstellung (zu sehen täglich von 10 bis 19 Uhr). Patenschaften für Objekte im Berliner Naturkundemuseum können über www.mein-museum.de erworben werden. Das Patenkind der Autorin ist noch bis zum 23. Juli in der Ausstellung „Evolution. Wege des Lebens“ im Dresdener Hygiene-Museum zu sehen.
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