Schnecken mit Schrecken

Wer Abalonen zum Dinner will, muss tauchen. Und darf gefährliche Meeres­bewohner mit markanten Rückenflossen nicht fürchten

Du bleibst immer in meiner Nähe und schaust nach Haien aus, klar?“

„Aye, aye, Sir!“, sagte ich, und Hillel tauchte ab.

Es war ein Tag zum Reinbeißen. Weiße Gischt zerstob an den Felsen, eine leichte Brise kühlte die Sonnenglut, und das Wasser lag so ruhig und blau, dass es einen juckte, geradewegs nach China zu schwimmen.

Das Kajak war keine drei Meter lang, nicht halb so groß wie Weiße Haie. Hier, an der kalifornischen Pazifikküste, sorgen sie alle paar Jahre dafür, dass Steven Spielbergs Naturschocker nicht in Vergessenheit gerät. Kürzlich hat einer von ihnen einem 19-jährigen Bodysurfer das linke Bein abgebissen.

Hillel Posner, mein Kumpel, trug einen Neoprenanzug mit Bleigurt, Flossen, Maske und Schnorchel. Und keine Waffe, bis auf das Abaloneeisen. Vergleichsweise nackt, wie ich war, zählte ich darauf, das Untier würde im Zweifelsfall eine Unterwasserkreatur wie ihn mir und meinem schwerverdaulichen Boot vorziehen. Außerdem war Hillel um einiges jünger und bestimmt schmackhafter.

Nach knapp zwei Minuten tauchte er auf und warf mir einen Soldatenhelm vor die Füße. Er war rostrot und hatte ein halbes Dutzend sauberer Einschusslöcher, die in einer sanft geschwungenen Linie angeordnet waren, als sei Lucky Luke am Werk gewesen, der Cowboy, der schneller schießt als sein Schatten.

Es war aber kein Helm. Es war eine Abalone mit ihren Atemöffnungen, die Delikatesse, auf die wir aus waren. Die Seeohren, wie sie auch genannt werden, gehören zur Gattung der Schnecken aus der Familie der Haliotidae. Sie sind in den wenigstens halbwegs warmen Küstengewässern jedes Kontinents verbreitet, mit Ausnahme der Atlantikküsten Süd- und Nordamerikas und der Karibik. Hillel hatte mir vorgeschwärmt, wie gut das Fleisch der Tiere schmecke, ob roh, gekocht oder gebraten. So gut, dass es vielerorts einen Schwarzmarkt dafür gibt und die Mollusken als gefährdete Spezies gelten.

Kalifornien jedoch hat den Fang strikt geregelt, für Überwachung wird gesorgt, und die Populationen sind stabil. Man darf nicht mehr als drei Stück am Tag nehmen und nicht mehr als 24 im Jahr, nur die rote Art und keine unter einem Durchmesser von 18 Zentimetern und all dies nur in der Saison von April bis November, ausgenommen Juli. Nebst einer Fischereilizenz ist eine Stempelkarte mit Banderolen erforderlich, um die Beute als legal zu markieren. Der Fang mithilfe von Tauchgeräten ist ebenso verboten wie der Verkauf der Tiere oder nur schon der schönen Schale, deren Innenseite in allen Perlmuttfarben schillert.

In Großbritannien, wusste Hillel, war es zur weltweit ersten Unterwasserverhaftung gekommen, als ein Polizist in voller Tauchermontur einen Einwohner von Guernsey im Ärmelkanal festnahm, der das dort geltende Verbot, bei der Jagd nach Abalonen nur schon den Kopf unter Wasser zu stecken, missachtet hatte.

Hillel war wieder unten, tauchte auf, schnappte Luft und ging erneut los. Die Schnecken klebten an den Felsen, und schob er das Abaloneeisen nicht blitzschnell unter ihren Fuß, klammerten sie sich fest. „Nicht mal mit einem Bagger würdest du sie dann loskriegen“, sagte er.

Bald legte er die zweite Abalone ins Kajak, die er ebenso mit der Messschraube geprüft hatte. Alles in Ordnung, 20 Zentimeter Durchmesser, ein Prachtstück.

Dann tauchte er ein letztes Mal ab und kam nicht wieder hoch. Ich fixierte die Stelle bei dem kleinen Wald von Seetang, vergeblich. Unlängst, hatte er mir gesagt, seien vier Abalonetaucher ebenda, in der Van-Damme-Bucht bei Mendocino, verschwunden und nie mehr gesehen worden.

Plötzlich gurgelte Wasser hinter mir. Ich wandte mich um. Und sah das grauschwarze Dreieck – die Rückenflosse des Weißen Hais! Er kam hoch, ich schluckte, blinzelte gegen die Sonne, und das Monster riss sich die Maske vom Gesicht. Es war Hillel, mit der dritten Abalone.

Am Ufer begrüßte uns der Ranger, inspizierte den Fang und wünschte guten Appetit. Wir fuhren nach Hause, öffneten eine Flasche Weißwein und machten uns an die Zubereitung der Beute. „Na, Schiss gehabt vor dem Weißen Hai, was?“, fragte Hillel, als er den ersten Bissen nahm.

„Aber sicher“, sagte ich. „Wie sollte der einen alten Sack wie dich fressen wollen, wenn er mich haben kann?“


Pochierte Abalone mit Zitronengras und Ingwer
Zutaten (für 2 Personen)
2 EL Olivenöl, 1 Stängel Zitronengras, gehackt, 1 Stück Ingwer, gehackt, 1 Tasse trockener Weißwein, 1 frische Abalone (oder aus der Dose aus dem Asia-Laden), 150 Gramm schwer, 1/2 Tasse Schlagrahm, Salz, Pfeffer.
Zubereitung
Olivenöl, Zitronengras und Ingwer in einem Saucenpfännchen 20 Minuten bei niedriger Hitze ziehen lassen. Wein hinzugeben, aufkochen und um zwei Drittel reduzieren. Die Abalone in drei Millimeter dicke Scheiben schneiden und flach klopfen. Den Inhalt des Pfännchens in eine Bratpfanne gießen und Rahm einrühren. Zum Kochen bringen, leicht reduzieren und würzen. Die Abalone dazugeben, dünsten und in der Sauce servieren. Dazu passt Pasta mit Gemüse.

 

mare No. 98

No. 98Juni / Juli 2013

Von Peter Haffner und Serge Höltschi

Serge Hoeltschi ist in erster Linie ein visueller Geschichtenerzähler - einer, der in seiner Arbeit als Regisseur und Fotograf das Persönliche offenbaren will. Es ist diese Neugierde auf Menschen und die offensichtliche Leidenschaft für seine Arbeit, die seine Bilder so überzeugend macht. Er arbeitet für Agenturen, Marken und Publikationen wie McCann Erikson, TBWA, DDB, Microsoft, Sony, Coca Cola, Nike, German Vogue und Vanity Fair geführt. Zu den Auszeichnungen, die Hoeltschi erhalten hat, gehören die Gold- und Silberlöwen von Cannes, zwei Clios und zwei Golds beim New York Festival. Hoeltschi hat seinen Sitz in Los Angeles, wo er das Riff Raff Studio besitzt und an der UCLA in der Design Media Arts Abteilung unterrichtet.

Peter Haffner, Jahrgang 1953, hat als Journalist, Essayist und Buchautor viele Jahre in Amerika, Polen und Deutschland gelebt und gearbeitet. Für seine literarischen Reportagen wurde er unter anderem mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet. Sein Buch Grenzfälle hat Hans Magnus Enzensberger in der “Anderen Bibliothek” herausgegeben. Im kommenden Frühjahr erscheint bei Nagel & Kimche sein Kriminalroman So schön wie tot. Peter Haffner lebt in Berlin und Zürich.

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Vita Serge Hoeltschi ist in erster Linie ein visueller Geschichtenerzähler - einer, der in seiner Arbeit als Regisseur und Fotograf das Persönliche offenbaren will. Es ist diese Neugierde auf Menschen und die offensichtliche Leidenschaft für seine Arbeit, die seine Bilder so überzeugend macht. Er arbeitet für Agenturen, Marken und Publikationen wie McCann Erikson, TBWA, DDB, Microsoft, Sony, Coca Cola, Nike, German Vogue und Vanity Fair geführt. Zu den Auszeichnungen, die Hoeltschi erhalten hat, gehören die Gold- und Silberlöwen von Cannes, zwei Clios und zwei Golds beim New York Festival. Hoeltschi hat seinen Sitz in Los Angeles, wo er das Riff Raff Studio besitzt und an der UCLA in der Design Media Arts Abteilung unterrichtet.

Peter Haffner, Jahrgang 1953, hat als Journalist, Essayist und Buchautor viele Jahre in Amerika, Polen und Deutschland gelebt und gearbeitet. Für seine literarischen Reportagen wurde er unter anderem mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet. Sein Buch Grenzfälle hat Hans Magnus Enzensberger in der “Anderen Bibliothek” herausgegeben. Im kommenden Frühjahr erscheint bei Nagel & Kimche sein Kriminalroman So schön wie tot. Peter Haffner lebt in Berlin und Zürich.
Person Von Peter Haffner und Serge Höltschi
Vita Serge Hoeltschi ist in erster Linie ein visueller Geschichtenerzähler - einer, der in seiner Arbeit als Regisseur und Fotograf das Persönliche offenbaren will. Es ist diese Neugierde auf Menschen und die offensichtliche Leidenschaft für seine Arbeit, die seine Bilder so überzeugend macht. Er arbeitet für Agenturen, Marken und Publikationen wie McCann Erikson, TBWA, DDB, Microsoft, Sony, Coca Cola, Nike, German Vogue und Vanity Fair geführt. Zu den Auszeichnungen, die Hoeltschi erhalten hat, gehören die Gold- und Silberlöwen von Cannes, zwei Clios und zwei Golds beim New York Festival. Hoeltschi hat seinen Sitz in Los Angeles, wo er das Riff Raff Studio besitzt und an der UCLA in der Design Media Arts Abteilung unterrichtet.

Peter Haffner, Jahrgang 1953, hat als Journalist, Essayist und Buchautor viele Jahre in Amerika, Polen und Deutschland gelebt und gearbeitet. Für seine literarischen Reportagen wurde er unter anderem mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet. Sein Buch Grenzfälle hat Hans Magnus Enzensberger in der “Anderen Bibliothek” herausgegeben. Im kommenden Frühjahr erscheint bei Nagel & Kimche sein Kriminalroman So schön wie tot. Peter Haffner lebt in Berlin und Zürich.
Person Von Peter Haffner und Serge Höltschi