Schmutziges Reinemachen

Um die Ölpest nach der Explosion der Bohrplattform „Deepwater Horiz­on“ 2010 zu bekämpfen, verwendete der Betreiber BP mit behördlicher Genehmigung das giftige Corexit. Viele Helfer leiden seither an gesundheitlichen Spätfolgen

Jorey Danos, 33 Jahre alt, kann sich an das genaue Datum nicht mehr erinnern. Es muss im Juni oder Juli 2010 gewesen sein; die Explosion der Bohrplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko lag zu diesem Zeitpunkt schon einige Wochen zurück. Noch immer strömte Öl ins Meer. Tonnenweise, Tag für Tag. Eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes.

BP, der Betreiber der havarierten Bohrplattform, musste handeln, schnell. Zum einen kümmerte der Ölkonzern sich fieberhaft darum, das Bohrloch zu stopfen. Zum anderen rief man die Bewohner der Küstenorte dazu auf, sich mit ihren Privatbooten an den Aufräumarbeiten zu beteiligen – gegen gute Bezahlung natürlich.

5800 Boote kamen in diesen dramatischen Wochen zum Einsatz, die meisten von Fischern, die sich in der Gegend auskennen wie sonst niemand. Sie sollten Barrieren gegen das Öl auslegen, Öl von der Wasseroberfläche schöpfen oder Tiere retten. Jorey Danos heuerte als Hilfsmatrose an. 300 Dollar bekam er am Tag. Eine unglaubliche Summe für einen, der sonst mit Gelegenheitsjobs eine fünfköpfige Familie versorgt.

An jenem Juni- oder Julitag fahren sie hinaus aufs Meer, Danos und seine Kollegen, so wie in den vergangenen Tagen auch, doch diesmal passiert etwas Merkwürdiges: Ein Flugzeug nähert sich ihnen und versprüht eine Substanz. Sie fällt nicht nur ins Meer, sondern auch aufs Boot und auf die Gesichter der Besatzung, wie ein Nebel. Danos und seine Kollegen haben keine Atemmasken auf. Das sei nicht nötig, hatte man ihnen gesagt.

Kurz darauf fängt Danos’ Gesicht an zu brennen, und er bekommt Pusteln. Er verliert Gewicht, kann kaum noch schlafen und hat das Gefühl, eine Rasierklinge zerschneide ihm den Bauch. Dann, etwa im September, wird es richtig schlimm. Danos fühlt sich bedroht, hat Panikattacken und Krampfanfälle. Er kann nicht mehr Auto fahren, nicht mehr arbeiten. Seitdem lebt er von Sozialhilfe.

Scott Porter ist passionierter Taucher. Der gelernte Meeresbiologe hat die Korallen an aufgegebenen Ölplattformen im Golf von Mexiko zu seinem Lebensthema gemacht. Im April 2010 bekommen er und seine Kollegen die Zusage für die Finanzierung einer Studie zu den Korallen. Nach der Explosion der „Deepwater Horizon“ macht Porter sich Sorgen um seine Forschungsobjekte und beschließt trotz des austretenden Öls zu tauchen. Er geht mit einem Nassanzug ins Wasser. Ein Fehler, wie sich herausstellt. Er bekommt Pusteln an den Beinen, ein Engegefühl in der Brust quält ihn. Heute ist Scott Porter 46, aber er könnte auch 56 sein. Seine Augen liegen tief in ihren Höhlen. Auf seinem Rücken leuchten noch immer rote Pusteln.

Die Familie Arnesen lebt gut vom Fischfang. Ihr Stolz ist ein mit Aluminium verschaltes Boot. Mit diesem fährt David Arnesen zu den Ölteppichen, als die Katastrophe ihren Lauf nimmt, er sammelt Seevögel ein und bringt sie zur Auffangstation, während das Öl noch immer in den Golf strömt. Hin und her fährt er durchs Katastrophengebiet. Heute muss seine Frau fast jeden Morgen die Laken waschen, weil David aus den Ohren blutet.

Jorey Danos, Scott Porter und David Arnesen – drei Helfer, krank geworden durch eine Substanz, die vom Himmel fiel. Versprüht von Flugzeugen, die im Auftrag des Mineralölkonzerns BP unterwegs waren. Was ist schiefgelaufen?

Um eine Antwort zu bekommen, muss man sich die ganze Tragödie anschauen. Sie begann am 20. April 2010. Der Auftrag der Bohrplattform „Deepwater Horizon“ war beinahe beendet. Für BP hatte sie ein Ölfeld vor der Küste Louisianas erkundet, mehr als 10 000 Meter tief war sie dabei vorgestoßen. Aber dann passierte das Unfassbare: Unter enormem Druck trat gegen 22 Uhr Schlamm und Gas aus, das Gas entzündete sich, die Plattform explodierte. Elf Männer starben. Zwei Tage später sank die Plattform, geschätzte fünf Millionen Barrel Öl flossen in den folgenden 87 Tagen in den Golf von Mexiko, 800 Millionen Liter.

Die ganze Welt blickte nun nach Louisiana. Das Fernsehen berichtete live rund um die Uhr. Darin sprachen Experten von der größten Umweltkatastrophe der US-Geschichte. Doch erstaunlicherweise bekam die Öffentlichkeit – nachdem das Bohrloch im Juli geschlossen werden konnte – kaum mehr Öl zu Gesicht.


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mare No. 104

No. 104Juni / Juli 2014

Von Judith Scholter und Imke Lass

Judith ScholterJ, Jahrgang 1980, Journalistin in Hamburg, mochte immer den Geruch von Benzin. Seit der Recherche in Louisiana, wo sie so viele leidende Menschen getroffen hat, ist ihr die Lust daran gründlich vergangen.

Fotografin Imke Lass, geboren 1967, lebt in Hamburg und Savannah, Georgia (USA), nicht weit vom Schauplatz der Katastrophe. Lass selbst hatte die Idee zu dem Projekt, das sie unter dem Arbeitstitel „Das Leben an der Golfküste drei Jahre nach der Ölkatastrophe“ bei der Stiftung Kulturwerk einreichte. Die Stiftung befand die Geschichte als förderungswürdig und stattete Lass mit einem Stipendium aus.

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Vita Judith ScholterJ, Jahrgang 1980, Journalistin in Hamburg, mochte immer den Geruch von Benzin. Seit der Recherche in Louisiana, wo sie so viele leidende Menschen getroffen hat, ist ihr die Lust daran gründlich vergangen.

Fotografin Imke Lass, geboren 1967, lebt in Hamburg und Savannah, Georgia (USA), nicht weit vom Schauplatz der Katastrophe. Lass selbst hatte die Idee zu dem Projekt, das sie unter dem Arbeitstitel „Das Leben an der Golfküste drei Jahre nach der Ölkatastrophe“ bei der Stiftung Kulturwerk einreichte. Die Stiftung befand die Geschichte als förderungswürdig und stattete Lass mit einem Stipendium aus.
Person Von Judith Scholter und Imke Lass
Vita Judith ScholterJ, Jahrgang 1980, Journalistin in Hamburg, mochte immer den Geruch von Benzin. Seit der Recherche in Louisiana, wo sie so viele leidende Menschen getroffen hat, ist ihr die Lust daran gründlich vergangen.

Fotografin Imke Lass, geboren 1967, lebt in Hamburg und Savannah, Georgia (USA), nicht weit vom Schauplatz der Katastrophe. Lass selbst hatte die Idee zu dem Projekt, das sie unter dem Arbeitstitel „Das Leben an der Golfküste drei Jahre nach der Ölkatastrophe“ bei der Stiftung Kulturwerk einreichte. Die Stiftung befand die Geschichte als förderungswürdig und stattete Lass mit einem Stipendium aus.
Person Von Judith Scholter und Imke Lass