Schmökern am Pflasterstrand

Giulia d’Angelo betreibt am Tiberhafen in Rom eine einzig­artige Buchhandlung, in der es einzig und allein ums Meer geht

Rom – wer denkt da schon ans Meer? Staubig ragen die Ruinen empor, dazwischen donnert gleichgültig der Verkehr. Ostia Antica, Roms einstiger Seehafen, bröckelt jenseits der Stadttore vor sich hin. Und seit der Tiber Ende des 19. Jahrhunderts zwischen hohe Mauern gezwängt wurde, ist das Wasser aus der Stadt verbannt.

„Dabei erzählen alle Steine hier vom Meer“, sagt Giulia d’Angelo und nickt zur offenen Tür, durch die ein Lichtstrahl auf den Boden ihres Ladens fällt. „Roms Brunnen sind voller Delfine, Schildkröten, Sirenen. Denken Sie nur an Berninis berühmte Fontana del Tritone: Darauf kniet Neptuns Sohn und bläst in ein Muschelhorn!“

Giulia d’Angelo muss es wissen. Wenn sich in Italien jemand mit dem Meer und seinen Geschichten, dem Leben darin und daran auskennt, dann ist es die Dame mit der sonnengegerbten Haut und dem breiten römischen Akzent. Dass ihr Buchladen „Il Mare“ ausgerechnet in der kleinen Via di Ripetta liegt, nur wenige Meter vom trockengelegten Tiberhafen entfernt, passt irgendwie zusammen.

„Die Idee, dieses Geschäft zu eröffnen, ist aus einer Tragödie geboren“, erzählt sie und lässt ihren Blick über den alten Taucheranzug schweifen, der die Besucher am Eingang empfängt. „Seit meiner Kindheit habe ich das Meer geliebt. Dann brachte mir ein Freund das Tauchen bei. Eines Tages machten wir einen Ausflug mit dem Boot, und er kehrte nicht zurück. Seinen Körper hat man später gefunden.“

Giulia d’Angelo macht sich an der Espressomaschine zu schaffen. Neben ihr steht ein Kunde versunken vor einer Fotografie an der Wand, die ein Fenster zur See zeigt. Zwei Mitarbeiterinnen wuseln zwischen den dicht gefüllten Bücherregalen hin und her. Ein bisschen hat man das Gefühl, als schwanke der Boden.

Schwungvoll stellt sie zwei Espressotassen auf einen kleinen Marmortisch. „Ich stand vor der Wahl: Entweder würde ich das Meer nie mehr anschauen oder es erst recht lieben, so wie es mein Freund getan hatte.“

Mit 33 Jahren, im Jahr 1975, eröffnete sie ihren ersten Laden auf der Piazza Farnese, in Räumen, die nicht größer waren als ein Ruderboot. Doch auch damals schon wollte Giulia d’Angelo mehr sein als eine Buchhändlerin, die sich dem Thema Meer in allen Facetten verschrieben hat. Mit Kursen für Bootsführerscheine, Diskussionsrunden über Meeresschutz, Autorenlesungen, Kundenreisen und Ausstellungen, manchmal in Kooperation mit Museen und Ministerien, rief sie einen kulturellen Treffpunkt ins Leben für alle, die die Ozeane lieben.

Bei „Il Mare“ stapeln sich Bücher, Hefte und Kataloge aus allerlei Ländern und Jahrgängen wie gehobene Schätze. Unzählige Bände in verschiedenen Sprachen sind es, über Segelschiffe und Seemannsknoten, Muschelkunde, Piraterie und Strandhäuser bis hin zu Kochrezepten, Romanen und Archäologie. Zwischen Glanzstücken wie dem großen Fotoband „Undersea Life“ von Joseph S. Levine, Garibaldis Logbuch oder einem Reiseführer zu den „Leuchttürmen Europas“ lassen sich auch kostbare Raritäten entdecken, wie etwa ein alter Atlas über italienische Strände. Eine solche antiquarische Trouvaille kostet dann auch 233 Euro.


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mare No. 86

No. 86Juni / Juli 2011

Von Gesine Borcherdt und Francesco Zizola

Gesine Borcherdt, Jahrgang 1976, ist Kunstkritikerin und Redakteurin der deutschsprachigen Ausgabe des Artnet Magazins. In Italien hält sie es mit dem Meer wie die Italiener: Sie isst Spaghetti im Strandlokal. Francesco Zizola, geboren 1962, Fotograf der Agentur Noor, ist Römer und kennt Schleichwege zum Stadtstrand in Ostia. Und doch zieht es ihn an fernere Ufer.

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Vita Gesine Borcherdt, Jahrgang 1976, ist Kunstkritikerin und Redakteurin der deutschsprachigen Ausgabe des Artnet Magazins. In Italien hält sie es mit dem Meer wie die Italiener: Sie isst Spaghetti im Strandlokal. Francesco Zizola, geboren 1962, Fotograf der Agentur Noor, ist Römer und kennt Schleichwege zum Stadtstrand in Ostia. Und doch zieht es ihn an fernere Ufer.
Person Von Gesine Borcherdt und Francesco Zizola
Vita Gesine Borcherdt, Jahrgang 1976, ist Kunstkritikerin und Redakteurin der deutschsprachigen Ausgabe des Artnet Magazins. In Italien hält sie es mit dem Meer wie die Italiener: Sie isst Spaghetti im Strandlokal. Francesco Zizola, geboren 1962, Fotograf der Agentur Noor, ist Römer und kennt Schleichwege zum Stadtstrand in Ostia. Und doch zieht es ihn an fernere Ufer.
Person Von Gesine Borcherdt und Francesco Zizola