Schiffsmeldungen

Deutschlands teuerste Zeitung? Der „Tägliche Hafenbericht“ aus Hamburg. Für Reeder, Schiffbauer und die Hafengewerke ist er unverzichtbar, für Schiffsliebhaber ein Schatz an wunderbaren Geschichten

Wäre doch schade, die gute Geschichten würden nicht aufgeschrieben. Etwa die vom größten Dürer-Puzzle der Welt. Nürnberg verschickt ein 300 Quadratmeter großes Puzzle nach Shenzhen, auf eine Kulturmesse – der Export nach China wird immer wichtiger. Das Bild zeigt Albrecht Dürers „Brustbild einer jungen Venezianerin“, besteht aus 1700 Teilen mit fast 3000 Kilogramm Gewicht. Gut drei Wochen ist die Fracht in zwei speziellen Kisten auf See. Danach setzen fleißige Chinesenhände das Puzzle zusammen und nehmen es später wieder auseinander, denn es soll ja wieder zurück nach Deutschland. Die ABX Logistics Air & Sea ist jedenfalls sehr stolz auf den Transport.

Wo das geschrieben steht? In der „Deutschen Schiffahrts-Zeitung“, der einzigen ihrer Art. Genauso wie folgende Geschichte: Die Wasserpolizei in Nordfriesland und Helgoland hat etwas Niedliches. Die Dienststellen werden, um das aufbereitet. Natürlich nicht nur die lustigen, liebenswerten. Die „Deutsche Schifffahrts-Zeitung“ ist ein Ausbund an Seriosität. Es geht um Schiffsentwicklungen, um Wirtschaftsbilanzen, um Hafenerweiterungen und Reedereigründungen, um Schiffstaufen, Verkäufe, Umbenennungen, auch um Havarien und Unglücke.

Fast eine Woche lang beschäftigte sich das Blatt im Januar mit der MS „Napoli“, die im Orkan „Kyrill“ an der englischen Küste auflief, Container verlor und dann geplündert wurde. Wie ist die rechtliche Situation, was sagen die Versicherungen, wo stoppt die Produktion, weil die Fracht der „Napoli“ nicht ankommt (Antwort: in Südafrika)? Da war die Redaktion in ihrem Element.

Die Zeitung ist klein. Drei Redakteure, dazu Assistenz, Grafik, Korrektorat. An diesem Morgen sind in der Konferenz gleich drei Havarien zu vermelden. Das Kühlschiff „Sierra Nava“ ist vor Südspanien aufgelaufen, das Kreuzfahrtschiff „Nordkapp“ hat es in der Antarktis erwischt, und vor Estland setzte der Tanker „Weserstern“ auf Grund. Die „Westerstern“ ist ein alter Bekannter. „Das Schiff ist doch im letzten April schon mal aufgelaufen“, sagt Chefredakteur Frank Binder. Und er liest die Meldung vor. „Ob es der gleiche Kapitän war, ist noch ungeklärt.“ Am nächsten Tag wird in der Zeitung eine ganze Unfallseite erscheinen.

Stellvertreter Wolfgang Eder erzählt in der Konferenz eine Kapitänsschnurre. Ein Reeder habe neulich einen russischen Kapitän rausgeschmissen, wegen Trunkenheit im Dienst. Drei Tage später hat der Reeder erfahren, dass der Mann beim Konkurrenten nebenan sofort wieder einen Job gefunden hat. Das schreibt Eder zwar nicht auf, berührt aber ein Thema, mit dem sich alle hier ständig beschäftigen. Die Seefahrt boomt, ständig kommen neue Schiffe, größere Schiffe, neue Häfen, größere Häfen, tiefere Fahrrinnen. Die Märkte explodieren wie die Frachtraten, Werften sind auf mehrere Jahre hin ausgelastet. Nur das Personal ist knapp. Wer soll all die neuen Schiffe lenken? Manchmal stehen deshalb in der „Deutschen Schiffahrts-Zeitung“ kleine Anzeigen: „Kapitän. Dt., älterer erf. Praktiker, frei für Ablösung.“ Reaktionen sind gewiss.

Frank Binder liest die Themen vor. Die Norddeutsche Affinerie, Europas größte Kupferhütte, gibt eine Bilanzpressekonferenz, dazu ein Artikel über die Häfen von Brunsbüttel. Die Aker-Werft hat für die Ukraine gebaut. Für die Titelseite kann man etwas über den neuen Gastanker „LRG Gas 86“ der Reederei Lehnkering machen. Mit Foto natürlich. Es versteht sich, dass in der „Deutschen Schiffahrts-Zeitung“ so viel Schiffe abgebildet werden wie Mädchen im „Playboy“. Ansonsten bloß Männer: Kapitäne, Reeder, Schiffsmakler, die meist nicht so schmuck sind. Mädchen und Frauen kommen eigentlich nie vor, außer Patinnen bei Schiffstaufen. Die tragen dann immer breite Hüte. Na ja, sagen die Redakteure, es sei halt eine eingeschworene Männerclique. Aber die Zeiten würden besser.

Die Zeitung ist schmal an Umfang. 16 Seiten im DIN-A4-Format, davon acht Seiten mit Artikeln, der Rest sind die Schiffsmeldungen, der „THB Ticker“. Eng stehen die Schiffe beieinander, acht Seiten aus Hamburg, Bremen, Emden, Wilhelmshaven, Cuxhaven, Lübeck, Stralsund, Wismar und anderen Häfen. Eingelaufen, avisiert, ausgelaufen. Woher stammend, wohin fahrend. Heute ist die „Cosco Ningbo“ aus Singapur das größte Schiff in Hamburg, 109 000 Tonnen TDW, Tons Deadweight, die Tragfähigkeit. Der Schiffsmeldedienst sendet die Daten an die Zeitung, die bereitet sie auf. So können die Kunden jeden Tag verfolgen, wo bestimmte Schiffe sind.

„Wir sind Deutschlands teuerste Abonnementszeitung“, sagt Frank Binder. Er lächelt dabei. Die „Schiffahrts-Zeitung“ ist klein, die Auflage beträgt 2000 Exemplare, verkaufte 1400, mit monatlich 100 Euro ist man dabei, das Einzelexemplar am Kiosk kostet 13 Euro. Ein stolzer Preis.


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mare No. 61

No. 61April / Mai 2007

Von Holger Kreitling und Jesco Denzel

Holger Kreitling, 43, arbeitet seit vielen Jahren bei Zeitungen, doch in so einer kleinen Redaktion war er noch nie. Außerdem gehört „Capesize-Bulker“ jetzt zu seinen Lieblingswörtern.

Jesco Denzel, 1972 in Bremen geboren, beendete im vergangenen Jahr sein Fotografiestudium an der Fachhochschule Hannover. In der „THB“-Redaktion beeindruckte ihn neben dem Redaktionshund vor allem das enzyklopädische Wissen der Redakteure über, wie es ihm schien, alle Schiffe dieser Welt.

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Vita Holger Kreitling, 43, arbeitet seit vielen Jahren bei Zeitungen, doch in so einer kleinen Redaktion war er noch nie. Außerdem gehört „Capesize-Bulker“ jetzt zu seinen Lieblingswörtern.

Jesco Denzel, 1972 in Bremen geboren, beendete im vergangenen Jahr sein Fotografiestudium an der Fachhochschule Hannover. In der „THB“-Redaktion beeindruckte ihn neben dem Redaktionshund vor allem das enzyklopädische Wissen der Redakteure über, wie es ihm schien, alle Schiffe dieser Welt.
Person Von Holger Kreitling und Jesco Denzel
Vita Holger Kreitling, 43, arbeitet seit vielen Jahren bei Zeitungen, doch in so einer kleinen Redaktion war er noch nie. Außerdem gehört „Capesize-Bulker“ jetzt zu seinen Lieblingswörtern.

Jesco Denzel, 1972 in Bremen geboren, beendete im vergangenen Jahr sein Fotografiestudium an der Fachhochschule Hannover. In der „THB“-Redaktion beeindruckte ihn neben dem Redaktionshund vor allem das enzyklopädische Wissen der Redakteure über, wie es ihm schien, alle Schiffe dieser Welt.
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