Schicke Bude auf der Düne

Manchmal braucht ein Koch nur ein Rezept – und die Gäste kommen. Nach Blainville pilgern sie wegen Moules frites

Auf dem Parkplatz stehen ein Dutzend Trecker und ein paar Katamarane. Dazwischen sehr gute Autos mit Pariser Kennzeichen. Die Traktoren warten auf Ebbe, die Boote auf Flut, die Pariser aufs Essen. „La Cale“, das Bretterlokal am Slip im Muschelzüchterdorf Blainville, lebt von Flüsterpropaganda. Was man hier isst, sieht man vor seinen Augen wachsen: bei Niedrigwasser Austern- und Muschelbänke ohne Ende. Und zwischen Sand und Dünenhafer diniert man sehr frugal und sehr schick im Sperrmüllmobiliar.

An den Wänden Souvenirschrott vom Mont St.-Michel. Blasse Drucke von Dampfern, grausame Schinken von rosigen Damen. Die Kitschinstallation bürstet das Stilgefühl der schnieken Kundschaft so heftig gegen den Strich, dass sich die salzigen Härchen auf den Unterarmen sträuben.

Man kommt im Sommer schließlich direkt vom Baden auf die Düne. (Badelatschen und feuchte Shorts sind okay, ein Kaschmirpulli um die Schultern nicht verkehrt.) Und genießt im „Cale“ die Freiheit, seine Kinder und Hunde zum Spielen an den Strand zu scheuchen, während man sich zur Vorspeise einem Dutzend Austern und dem Muscadet widmet. Und dann? Seit acht Jahren dasselbe. „Die Speisekarte passt auf ein Zigarettenpapier“, staunt ein Reiseführer. „Ich koche nur, was ich kann“, sagt Remy Voisin kokett-bescheiden. Die einheimische Leibspeise moules frites, Miesmuscheln mit Pommes, kriegt keiner so hin wie er.

Die Alternative für Hepatitisparanoiker ist ein anderes bodenständiges Gericht, galette complète. Ein hauchdünner Buchweizenpfannkuchen, der über einer Scheibe Kochschinken, etwas Emmentaler und einem Spiegelei gefaltet wird. Klingt simpel, verlangt aber Zuwendung. Der Käse muss geschmolzen sein, das Eigelb noch cremig. Zum Nachtisch hat der Gast überhaupt keine Wahl. Es gibt teurgoule, diesen normannischen Reisbrei, der fünf Stunden lang im Ofen gart und den man liebt oder hasst, denn dazwischen gibt es nichts.

Aber der Gast, besonders der betuchte, geht schließlich ins Lokal, um mal was anderes zu erleben. Um erbarmungslos verscheucht zu werden mit seiner Clique, weil sein Tisch dem maroden Klavier im Weg steht. Denn Remy hat gerade einen Freund ausgemacht, der mal „Bei mir biste scheen“ spielen will und seinen mitgebrachten Damenchor die selbst verfasste Version dazu singen lassen will.

Das Geheimnis des Erfolgs fasst Remy in zwei Wörter: keine Profis. Weder in der Küche noch im Service. Für den Service stehen die langbeinigen, gebräunten höheren Töchter der Sommervillenbesitzer von Agon-Coutainville bei ihm Schlange. Ist ja sonst nirgends in der Gegend so viel los wie in dieser trandläuferbude. In der Küche würde ein gelernter Koch aufmüpfen, wenn er immer nur zwei supersimple Rezepte nach den (allerdings minutiösen) Vorgaben des Chefs zubereiten müsste. Remy nimmt lieber einen gelehrigen Charmeur wie Zebylon (er hat auch einen Vornamen, aber alle finden den Nachnamen cool), der auf Wunsch die verspannten Nacken der weiblichen Gäste knetet. Bis ihn der Patron in die Küche jagt. „Genug massiert. Mach mal drei Dutzend Austern auf für Tisch 37!“ 37? Gibt es hier überhaupt so viele? Schwer zu sagen in dem Ensemble aus wackligen Stühlen, hinkenden Bänken und dem bric-à-brac, das Personal wie Gäste nach Laune verschieben.

Was zählt, ist der Kiesel mit der aufgepinselten Nummer, der auf einer Kabeltrommel oder einem verwitterten Türblatt liegt, an dem der Gast speist. Ein geniales System – dieselbe Nummer findet der Muschelesser auf dem Riesenpott moules, die à la minute zubereitet aus der Küche herbeigeschafft werden. Die handgemachten Pommes dazu werden als Berge serviert. In schaurig-schönen Vallauris-Keramiken, mit denen der südfranzösische Ort Schindluder trieb nach Picassos Abgang. Der verstädterte Gast tut es erst widerwillig, bis er merkt, dass die lokale Sitte ein Geschmackserlebnis ist: Man wirft die frites in den Muschelsud und löffelt sie daraus.

„La Cale“ könnte an lauen Sommerabenden oder blitzblauen Wintertagen auch trocken Brot servieren, die Kundschaft würde sich trotzdem drängeln, so schwarmschön ist hier der Sonnenuntergang. Wenn die Sonne wie ein reifer Kürbis ins Meer plumpst und die Kanalinseln wie Scherenschnitte am Horizont stehen und sich vielleicht sogar der berühmte grüne Lichtstreif zeigt. Manchmal applaudieren dann die Gäste spontan.


Moules normandes à La Cale

Zutaten (für vier Personen)

Drei Kilogramm kleine Miesmuscheln, ein Suppenlöffel Öl, eine Zwiebel, eine Schalotte, eine Knoblauchzehe, ein Glas trockener Weißwein, ein Bund glatte Petersilie, eine Schöpfkelle Sahne.

Zubereitung

Zwiebel, Schalotte, Knoblauch fein hacken, in einem großen Topf im Öl blondieren. Mit Wein ablöschen und einkochen. Gewaschene Muscheln hineingeben, mit Deckel verschließen. Wenn die Muscheln offen sind, Petersilie und Sahne dazugeben. Topf kräftig schütteln, sofort servieren. Dazu Pommes frites.


La Cale

La Plage, 50560 Blainville-sur-Mer.
Tel. 0033 233 47 22 72.
Geöffnet nach Gutdünken (vorher anrufen).

mare No. 58

No. 58Oktober / November 2006

Von Paula und Christer Almqvist

Paula Almqvist unterhält eine literarische Gemischtwarenhandlung und lebt in Hamburg und der Normandie - wohin es auch viele Maler zieht. Selbst sammelt sie naive Schiffsbilder und Meeresansichten, auf Kistendeckel gemalt oder in verräucherten Kneipen an die Wand geschraubt.

Fotos: Christer Almqvist

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Vita Paula Almqvist unterhält eine literarische Gemischtwarenhandlung und lebt in Hamburg und der Normandie - wohin es auch viele Maler zieht. Selbst sammelt sie naive Schiffsbilder und Meeresansichten, auf Kistendeckel gemalt oder in verräucherten Kneipen an die Wand geschraubt.

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Vita Paula Almqvist unterhält eine literarische Gemischtwarenhandlung und lebt in Hamburg und der Normandie - wohin es auch viele Maler zieht. Selbst sammelt sie naive Schiffsbilder und Meeresansichten, auf Kistendeckel gemalt oder in verräucherten Kneipen an die Wand geschraubt.

Fotos: Christer Almqvist
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