Schichtwechsel

Hamburgs Freihafen hat ausgedient. Die City braucht mehr Platz und rückt ans Elbufer vor

Vorsicht, Täuschung. Auch wenn das schicke Info-Center der neuen Hafencity im Kesselhaus liegt – die schnuckelige Backsteinseligkeit dieser 100-jährigen Lagerhäuser hier gehört nicht richtig dazu. Deswegen auf nach Süden, den vierspurigen Brooktorkai Richtung Harburg fahren, hinein in eine unwirtliche Landschaft. Es ist ein Terrain der Verluste und Vergänglichkeit, selbst die Schilder „Zollgrenze“, die das in Auflösung begriffene Freihafengebiet markieren, wirken müde. Sonst wenig Schriftliches, keine Firmendisplays, keine Werbung, allenfalls Zutrittsverbote. Brache, verbogenes Eisen, leere Hallen. Ende einer Legende, die Hafenherrlichkeit hieß.

Richtig traurig ist in Hamburg darüber niemand. Trotz des unbewussten Verrats, wenn selbst Protagonisten feinster hanseatischer Zurückhaltung in Verzückung geraten und verkünden: „Hamburg hat den Strukturwandel gemeistert“, die Industrie- und Hafenstadt Hamburg sei nun etwas ganz Feines, ein Pionier der neuen Medien- und exklusiven Dienstleistungsgesellschaft.

Und in Zeiten, wenn es nur noch etwa 5000 Arbeitsplätze gibt, die unmittelbar von der Hafenwirtschaft abhängen, scheint neues Denken erlaubt, ja Pflicht. Airbus Industrie oder IT heißen die Zauberwörter. Und Hafencity: ein neuer Stadtteil am Strom, für 12000 Menschen, als „Konversion“ einer alten Industriefläche, so das Planerdeutsch. 155 Hektar in Nähe zur Innenstadt geben Hamburg die Chance, an die Elbe zurückzukehren.

Eine neue Waterfront, die Barcelonas Olympiabezirk, die Londoner Docklands an Attraktivität hinter sich lassen soll. „Das wahrscheinlich wichtigste Hamburger Projekt seit dem Wiederaufbau nach 1945“, sagen die Hamburger Bürgermeister, ob rot oder schwarz. Ist ihnen bewusst, dass sich der gute alte Grasbrook (so heißt das Terrain hier) so grundlegend ändern wird wie etwa das Wort Kampnagel, von dem jeder Hamburger unter 40 glaubt, es sei eine avantgardistische Kulturfabrik im Stadtteil Barmbek? Kampnagel? Das waren stählerne Zeichen hamburgischer Ingenieurskunst, nämlich Hafenkräne. Ihre alte Fabrik ist stillgelegt und umgewidmet. In der künftigen Hafencity räumen sie die letzten Fragmente dieser Kranära gerade weg. Nicht mehr zu hören das Rasseln dieser hilfreichen Transporteure für Sack und Kiste zwischen Schiff und Lagerhaus. Kein Ballett mehr der schlanken Ausleger und geschwungenen Haken. Wenn in zehn bis 15 Jahren die neue Stadt in der Stadt lebt, wenn Kreuzfahrtterminals, Urban Entertainment Center, wassernahe Wohnquartiere aus dem Hafensand gewachsen sind, hat sich Hamburg dort wieder einmal total gehäutet, wahrscheinlich so radikal wie vor 120 bis 150 Jahren schon einmal. Wir werden, laut gedacht nach Peter Handke, „an jenem Ort, auf den Fundamenten der Leere, einfach die Verwandlung der Dinge gesehen haben – in das, was sie sind“.

Aber was, was waren sie? Zunächst eine sumpfige Insel, die wegen ihrer Nähe zur Hafen- und Handelsstadt und als Glied der Flusslandschaft eine wundersame Karriere gemacht hat. Grasbrook hieß sie und war durch eine Brücke mit der Stadt verbundener Weidegrund. Und 1407 auch ein Ort des Grauens: Sieben Köpfe bescholtener Bürger rollten im Hamburger Abwehrkampf gegen das Piratentum.

Es sind dann etwa 400 Jahre vergangen, in denen der Grasbrook und die benachbarten Gemarkungen zur Abwehr von Hochwasser und anderen Feinden zu komplizierten Strom-, Hafen- und Bastionsbauten wurden. Ausgerechnet das ehemalige Flussland war wichtiger Garant der Prosperität Hamburgs. Dann im 19. Jahrhundert ein Quantensprung, mit dem der Grasbrook plötzlich modernster Hamburger Stadtteil ist und die mittelalterlich zugeschnittene Handelsstadt nachhaltig verändert. Wie durch Zauberhand wird ausgerechnet diese alte Sumpfinsel zum Küchengarten, wo all die Kräuter einer neuen Zeit (Fortsetzung auf Seite 126) gedeihen. Heute sind sie verblüht und fast ausgerissen, aber zu graben lohnt, die Wurzeln sind (noch) aufspürbar.

Eisen und Dampfkraft bringen den Hafen in Bewegung. Dampfgetriebene Schiffe, verbesserte Hebeanlagen, Eisenbahnen. Hamburgs Oligarchie erkennt rasch: Je schneller und präziser der Warenumschlag ist, desto größer der neue Reichtum. Wenn es heute am südlichen Nachbarn, der verzuckerten Speicherstadt, ausgerechnet am Dalmannkai und rund um den Sandtorhafen mit der Future Town losgeht und der backsteinerne Kaispeicher A zum gläsernen Megakristall für neue Medien mutiert, dann erinnert man sich gern an Namenspatron Johannes Dalmann. Der juvenile Wasserbaudirektor hatte 1858 einen tideoffenen Hafen ohne Schleusen und Docks und deswegen sehr schnellen Hafen entwickelt.


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mare No. 31

No. 31April / Mai 2002

Von D. Meyhöfer, M. Dorfmüller und M. Kröger

Dirk Meyhöfer, Jahrgang 1950, ist freier Architekturjournalist in Hamburg.

Das Hamburger Fotografenteam Dorfmüller/Kröger will die Veränderungen der Hafencity weiterhin dokumentieren – wenn’s geht, bis zur endgültigen Fertigstellung in rund 25 Jahren.

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Vita Dirk Meyhöfer, Jahrgang 1950, ist freier Architekturjournalist in Hamburg.

Das Hamburger Fotografenteam Dorfmüller/Kröger will die Veränderungen der Hafencity weiterhin dokumentieren – wenn’s geht, bis zur endgültigen Fertigstellung in rund 25 Jahren.
Person Von D. Meyhöfer, M. Dorfmüller und M. Kröger
Vita Dirk Meyhöfer, Jahrgang 1950, ist freier Architekturjournalist in Hamburg.

Das Hamburger Fotografenteam Dorfmüller/Kröger will die Veränderungen der Hafencity weiterhin dokumentieren – wenn’s geht, bis zur endgültigen Fertigstellung in rund 25 Jahren.
Person Von D. Meyhöfer, M. Dorfmüller und M. Kröger