Schaum vorm Mund

Pfeifen aus versteinerten Muscheln? Die Feinschmecker unter den Rauchern schwören darauf

Die erste Pfeife, die ich geraucht habe, war eine Friedenspfeife. Ich war damals zwölf Jahre alt und Häuptling der Irokesen. Der Stamm umfasste vier Menschen, drei Jungs, ein Mädchen, die mitspielen durfte, weil sie schneller rennen konnte als wir Jungs und weil ich sie mochte. Sie war, glaube ich, meine erste große Liebe. Natürlich haben wir nicht richtig geraucht, nur so getan als ob, das aber mit großem Ernst.

Richtig geraucht habe ich - erstmals, und Pfeife, wohlgemerkt - mit 19, als Oberprimaner. Nicht, dass es mir ein Bedürfnis gewesen wäre; aber es gab einen Grund: einen Klassenkameraden, der bei jedem Wetter, auch im Sommer, einen schwarzen Regenschirm bei sich trug, Pfeife rauchte und Hölderlin und Benn zitieren konnte. Er war Klassenerster in Deutsch. Ich bewunderte, verachtete, beneidete - und kopierte ihn, zumindest was das Pfeiferauchen anging. So fing es an, 1956.

Ideologie ist - zugegeben - immer im Spiel, auch beim Pfeiferauchen. Die Grundthese lautet: Pfeife rauchen ist eine kulturelle Tätigkeit. Wie immer man zu dieser These steht: Es dürfte schwer sein, sie zu entkräften.

Zum Ersten wegen des religiösen Ursprungs im alten Amerika. Dort hat man damit angefangen: Man vereinigte sich, nicht nur symbolisch, mit dem „großen Geist". Wer Augen hat zu sehen, wird bei der Beobachtung eines in sich versunkenen Pfeifenrauchers anerkennen, dass an der Ursprungsthese etwas dran sein könnte.

Zum Zweiten lohnt es nachzudenken, warum fast alle Menschen, wenn sie gefragt werden, das Pfeiferauchen mit Adjektiven wie „gemütlich" und „genüsslich" belegen, den Geruch des brennenden Tabaks als überwiegend „wohlriechend" und die Raucher selbst als „nachdenkliche" oder „gelassene" Menschen beschreiben.

Zum Dritten: Man sehe sich die Pfeifen an, die vielen wunderbaren Pfeifen, deren ästhetische Qualität unumstritten ist und die längst Eingang in die Museen gefunden haben, nicht in der Abteilung: „Volkskunst" und „Heimatkunde", nein, es geht um Kunst und Qualitäten jenseits des Gebrauchswertes.

Das gilt vor allem für Meerschaumpfeifen, die heute - nach meiner Einschätzung - weniger oft geraucht, dafür aber mit Eifer gesammelt werden. Die Fotos zeigen, warum. Die ältesten Exemplare stammen aus dem 16. Jahrhundert, aus der Türkei, wo die Bektasi, eine religiöse Gruppe in der Nachfolge Epikurs, die ersten Meerschaumpfeifen geschnitzt und geraucht haben sollen. Ob das stimmt, ist umstritten, ist ungesicherte Geschichte. Eine andere „Geschichte" nennt einen ungarischen Schuster als Produzenten der ersten Meerschaumpfeife und als Auftraggeber den ungarischen Grafen Andrássy (1823 bis 1890), der hierzulande durch die Sissi-Filme bekannt geworden ist. Viel sollte man auf solche Geschichten aber nicht geben. Es sind halt nur „Geschichten", die aber eines beweisen: das besondere Interesse an Meerschaumpfeifen, und dass es eine Ehre wäre, als Erfinder oder wenigstens als Connaisseur verzeichnet zu sein.

Warum? Weil Meerschaumpfeifen etwas anderes, Besonderes sind. Das Material ist anders. Nicht Holz, sondern Muschelablagerungen, geologisch komprimiert und tektonisch verschoben über Jahrmillionen. Es wird in Knollen abgebaut, der türkische Meerschaum gilt als der beste. Verarbeitet wird er in wenigen Betrieben, oft in handwerklicher Form, auf Bestellung, beispielsweise in Wien, Paris und London.

Es gibt Menschen, die glauben, dass Meerschaumpfeifen wirklich aus dem Schaum der Wellenspitzen gemacht werden. Sie haben keine Ahnung, wie das geschehen könnte. Sie lassen sich von dem Wort beflügeln. Und vom Aussehen. Meerschaumpfeifen sind nicht dunkel, wie Holzpfeifen, sondern hell. Die helle graue Farbe verändert sich aber durch den Gebrauch und veredelt sich ins Gelblich-Rötliche. Gute Meerschaumpfeifen haben deshalb - aus ästhetischen Gründen - regelmäßig Mundstücke aus Bernstein, was den Preis zusätzlich in die Höhe treibt.

Holzpfeifen müssen, damit sich eine schützende Kohleschicht im Innern des Pfeifenkopfes bildet, sorgsam eingeraucht werden. Einige Raucher, ich auch, präparieren das Pfeifeninnere vor dem Einrauchen mit Whisky, Cognac oder Honig. Entscheidend für das Gelingen des heiklen Prozesses, bei dem Anfänger häufig scheitern, ist die Zeit, die man sich nimmt. Das gilt auch für Meerschaumpfeifen, die aber nicht wirklich eingeraucht werden müssen, weil sie aus nicht brennbarem Material bestehen.


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mare No. 26

No. 26Juni / Juli 2001

Von Hans-Ulrich Klose

Hans-Ulrich Klose, Jahrgang 1937, war von 1974 bis 1981 Erster Bürgermeister von Hamburg und von 1994 bis 1998 Vizepräsident des Bundestages. Heute ist er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses

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Vita Hans-Ulrich Klose, Jahrgang 1937, war von 1974 bis 1981 Erster Bürgermeister von Hamburg und von 1994 bis 1998 Vizepräsident des Bundestages. Heute ist er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses
Person Von Hans-Ulrich Klose
Vita Hans-Ulrich Klose, Jahrgang 1937, war von 1974 bis 1981 Erster Bürgermeister von Hamburg und von 1994 bis 1998 Vizepräsident des Bundestages. Heute ist er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses
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