Schatz, wo bist du?

Gibt es ihn? Gibt es ihn nicht? Seit mehr als 200 Jahren wird auf der kanadischen Insel Oak Island nach einem geheimnisvollen Schatz gesucht. Sogar ein späterer US-Präsident grub nach ihm

Vielleicht haben sie Angst. Vielleicht denkt jeder, er selbst könne der Nächs­te sein. Sechs sind bereits tot, der Nächste wäre der siebte, und der siebte wiederum ist der Letzte, wenn es stimmt, was man sich über die Insel erzählt. Sieben Tote, dann sei der Fluch beendet. Erst dann werde man erfahren, was tatsächlich in der Erde von Oak Island verborgen ist. Captain Kidds Schatz? Shakespeares Originalmanuskripte? Oder doch der Heilige Gral? Sie sind die beiden Letzten, und vielleicht denken sie ja tatsächlich so: Wenn einer von uns bei der Suche nach dem Schatz ums Leben kommt, wird der andere ihn finden. Dan Blankenship und Fred Nolan sind beide um die 80. Sie wissen, dass ihnen die Zeit davonläuft. Sie belauern sich gegenseitig. Sie schweigen. Sie warten.

Die Suche nach verborgenen Schätzen ist so alt wie die Geschichte der Menschheit, doch so ausdauernd wie auf Oak Island wurde sie wahrscheinlich nur selten betrieben. Seit Ende des 18. Jahrhunderts wird vor der kanadischen Küste mehr oder weniger ununterbrochen geschürft, gebuddelt und gegraben. Oak Island ist klein, eines von 360 Inselchen in der Mahone Bay südwestlich von Halifax in Nova Scotia, anderthalb Kilometer lang, einen breit, es gibt hier keinen Stein, den nicht irgendwer irgendwann schon einmal umgedreht hätte.

Schatzsucher haben fast 100 Schächte ins Erdreich getrieben und Verbindungsstollen gegraben, zuerst mit Spitzhacke und Schaufel, später mit Bulldozern und Bohrtürmen. Gefunden haben sie nichts. Beziehungsweise immer nur gerade so viel, dass die Gier nicht erlosch. Und immer gerade genug, um die Legende von Oak Island weiterzuspinnen. Dabei weiß man eigentlich noch nicht einmal, nach was man sucht. Man weiß nur, dass die Insel ein Geheimnis birgt. Oder glaubt, es zu wissen.

Dan Blankenship und Fred Nolan graben seit den 1960er Jahren auf Oak Island. Beide hofften damals, das Geheimnis der Insel schnell lüften zu können, ein paar Wochen, wenige Monate, länger würde es nicht dauern. Beide hatten ihr früheres Leben aufgegeben und jeden verfügbaren Dollar zusammengekratzt. Das ist jetzt über ein halbes Jahrhundert her.

Seitdem beharken sie sich, streiten sich vor Gericht und ignorieren sich ansonsten, so gut es geht. Blankenship, dem der Damm zum 200 Meter entfernten Festland gehört, lässt Nolan nicht über ihn fahren. Nolan besitzt das Grundstück am Festlandende des Dammes und verweigert Blankenship den Zugang, sodass auch der die Verbindung nicht nutzen kann. Wenn die beiden Männer von ihrer Insel wollen, müssen sie das Boot nehmen. Keiner der beiden äußert sich öffentlich. Telefonanrufe enden im Nichts, E-Mails bleiben unbeantwortet. Nur ganz selten geben sie Interviews, in denen sie beteuern, die Weltöffentlichkeit demnächst staunen zu lassen. Alles wirkt wie ein irres Finale einer Show, die vor 220 Jahren begonnen hat.

Es ist ein Sonntag im Juli 1795, spät am Abend,  eine dieser seltenen heißen Sommernächte, in denen kein Hauch die Kühle des Atlantiks Richtung Küste fächert. Daniel McGinnis kann nicht schlafen. Er ist vermutlich 15 oder 16, ein Junge, der für Piratengeschichten schwärmt und davon träumt, irgendwann einmal einen Schatz zu heben. Er steht am Fenster in dieser Nacht und sieht nach Oak Island hinüber. Die Insel ist unbewohnt, aber McGinnis bemerkt plötzlich Fackellichter. Schon am nächsten Morgen setzt er hinüber. Im Eichenwald entdeckt er eine unnatürliche Vertiefung im Boden. Zusammen mit zwei Freunden beginnt er zu graben.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist es erst wenige Jahrzehnte her, dass die Schiffe mit der Totenkopfflagge vor der Küste Nova Scotias kreuzten, um Beute zu machen. Die Routen von der Neuen in die Alte Welt führten unmittelbar an Oak Island vorbei, und wer wie die Spanier Gold und Silber aus Lateinamerika nach Europa schaffen wollte, war auf diesem Weg unterwegs. McGinnis hat davon erzählt bekommen, auch deshalb glaubt er, das Versteck eines Piratenschatzes gefunden zu haben. Den von Francis Drake möglicherweise. Oder Blackbeard, der damit prahlte, seine Kaperbeute an einem Ort verborgen zu haben, „wo ihn niemand außer Satan und mir finden kann“. Und was war aus dem Vermögen von William Kidd geworden? „Meinen Schatz für die Freiheit!“, soll der Korsar den Engländern nach seiner Festnahme 1699 in Boston ange­boten haben, gerade einmal 200 Seemeilen von Oak Island entfernt. Die Admiralität schlug das Angebot aus. Kidd wurde hingerichtet.

Hatte er sein Vermögen zuvor hier in Sicherheit gebracht? Bereits nach wenigen Spatenstichen finden McGinnis und seine Freunde eine Lage Schieferplatten, die sie für eine Art Abdeckung halten. Sie graben weiter. In sechs Meter Tiefe stoßen sie auf einen Boden aus alten Eichenstämmen. Dicht an dicht gelegt, quer über die Grube, beide Enden in den Seitenwänden verankert. Was war das? Eine Decke? Eine Decke über einer Kammer? Eine Kammer, in der Kidds Schatz liegt?


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mare No. 114

No. 114Februar / März 2016

Von Stefan Nink

Stefan Nink, Jahrgang 1965, Journalist und Buchautor in Mainz, liebt Geschichten, bei denen es um die Suche nach alten Dingen geht. In seinem aktuellen Roman Sonntags im Maskierten Waschbär etwa will der unfreiwillige Held die Mumie des letzten Inkaherrschers finden.

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Vita Stefan Nink, Jahrgang 1965, Journalist und Buchautor in Mainz, liebt Geschichten, bei denen es um die Suche nach alten Dingen geht. In seinem aktuellen Roman Sonntags im Maskierten Waschbär etwa will der unfreiwillige Held die Mumie des letzten Inkaherrschers finden.
Person Von Stefan Nink
Vita Stefan Nink, Jahrgang 1965, Journalist und Buchautor in Mainz, liebt Geschichten, bei denen es um die Suche nach alten Dingen geht. In seinem aktuellen Roman Sonntags im Maskierten Waschbär etwa will der unfreiwillige Held die Mumie des letzten Inkaherrschers finden.
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