Sangas letzter Tanz

Die Einwohner des indonesischen Inseldorfs Lamalera leben schon seit Menschengedenken von der Jagd auf Pottwale. Nun ist ihre traditionelle Lebensweise in Gefahr. Denn die Wale bleiben aus

Sanga tanzt. Er steht unter einer kleinen hölzernen Plattform auf dem Bug des Bootes. Fliegende Fische, die Spatzen der Meere, schießen durch den Wellenschnee und flattern in hektischem Zickzack über das Wasser. 

Das Boot rast, Sanga taumelt, Gischt schlägt gegen seine Füße. Er geht leicht in die Knie, den Kopf schräg, die Hände hinter dem Rücken, als betrachte er nur verträumt die See. Er beugt sich nach vorn, dann wieder nach hinten, er verdreht die Hüften, er krallt die Zehen in die Planken. Das alles fast unmerklich. Es ist ein Pas de deux mit dem Boot nach der Musik des Windes.

Jetzt schreit Sanga. Die Worte lassen Baron, den Mann am Ruder, das Boot nach Luv und Lee dirigieren. Der Bug hebt sich, das Heck schlägt aufs Wasser, es krängt, die Männer suchen überall nach Halt. Es ist wie Rodeo auf dem Meer.

Unter Sanga gleitet der Schatten eines Riesenvogels. Er verliert sich in der Tiefe, er kommt wieder hoch, taucht ab, taucht auf bis nahe an den Kiel. Da ist noch ein Schatten und noch einer. Es ist eine Gruppe von Mantas, die unter dem Boot dahingleitet.

Sanga geht in die Hocke, er packt den langen Bambusspeer zu seinen Füßen, den bamboo. Der rostige, scharfe Haken daran sieht aus wie eine Letter des Todes. Sanga lässt keinen Blick vom Wasser, er sucht das Weibchen. Es schwimmt stets an der Spitze. Dieses muss er erwischen, sonst sind alle weg. Komischerweise fliehen die Männchen nicht, wenn das Weibchen fehlt. Sanga findet das dumm, „dumme Tiere“, sagt er. Allerdings sind sie nicht ganz so begriffsstutzig wie der Walhai, der sogar neugierig an seine Jäger heranschwimmt. Lokiko nennen ihn die Fischer darum, „blöder Hai“.

Sanga fixiert den Schatten. Hinter ihm legt Leuis das Seil zurecht, er sieht darauf, dass ihm nichts im Weg steht. Denn gleich wird das Seil über das Deck schießen, verknotet mit der Harpune, und wenn es sich strafft, ist der Manta verloren.

Sanga springt. Noch im Flug wirft er die Harpune auf den Schatten, die Augen geschlossen, die ganze Kraft im rechten Arm. Das zerschmetterte Wasser verschluckt alle beide, Sanga und den Schatten. Einen endlosen Moment lang sind beide verschwunden. 

Ein Ruck lässt das Boot erzittern, das Seil hat sich gestrafft. Das Boot dreht sich, es schüttelt sich, es rast nicht mehr, es zwingt sich durch die Wellen, als seien sie plötzlich zäh wie Sirup. 
Da endlich ist der Kopf Sangas, gleich neben dem Boot, er hievt sich hinein. Sanga greift das Seil, er zieht, Leuis zieht, Stefanus, Henricus, die ganze Crew. Doch der Manta hat seine Schwingen in die Tiefe geschlagen, die er nicht hergeben darf, nicht um den Preis seines Lebens. 
Die Männer lassen nicht los.

Als Sanga nach Hause kommt, legt er ein Bündel Mantafleisch neben den Herd, es könnte auch seine Aktentasche sein. Kein Triumph in den Augen, kein Wort über den Kampf. Er stellt die Harpune in die Ecke neben der Tür, er füttert sie mit etwas Reis und tuak, scharfem Palmschnaps. Dann darf sie sich ausruhen.

Sanga hat die Harpune von Odar, der ein großer Jäger war, er lebte nebenan. Odar starb, ohne je einen Wal verloren zu haben. Odar, der den bamboo so hart werfen konnte wie kaum einer. Odar, der Dutzende Mal auf dem Rücken eines Pottwals saß, der herunterfiel und wieder aufstieg. „Odar wusste, wann die Wale kommen“, sagt Sanga.

Aber die Wale sind weg. Auf den Gestellen vor den Hütten trocknen nicht die großen Fleischlappen, sondern Unterhosen. Grau liegen Hüftknochen, Rippen, die keulengroßen Oberschenkelknochen des letzten Wals vor den Hütten, die Reste längst verblichener Siege. 
Wie eine Anklage liegen sie da. Sogar oben in Torusa, im Wald, mehrere Kilometer entfernt von Lamalera, dem Dorf der Walfänger, merken sie es, wenn unten am Strand ein Wal zerlegt wird. Wochenlang hängt dann ein scharfer Geruch über den Dächern. 

Er quillt aus jeder Tür, von jeder Kochstelle, er strömt aus dem Atem der Einwohner Lamaleras, aus ihrer Haut. Er strömt sogar aus ihrem Gesicht, das, so sagen es die Waldleute aus Torusa, dann viel freundlicher sei. 


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mare No. 132

No. 132Februar / März 2019

Von Maik Brandenburg und Rony Zakaria

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, freier Autor auf Rügen, bekam während seines Aufenthalts in Lamalera keine Wale zu Gesicht. Das gelang ihm erst wieder zu Hause auf Rügen. Dort konnte er bei einer Erkundungstour auf der Ostsee immerhin Schweinswale beobachten. Mehr Inselerlebnisse gibt es in seinem Buch „Rügen neu entdecken“.

Rony Zakaria, Jahrgang 1984, lebt als Fotograf in Jakarta. Er hat einen Abschluss in Mathematik und Informatik. Nach seinem Diplom begann er seine Karriere als Fotograf und studierte Fotojournalismus bei Galeri Foto Jurnalistik Antara. 2009 erhielt er ein Stipendium für eine Ausbildung am Asian Center for Journalism in Manila, Philippinen. Seither ist er für internationale Publikationen wie „The New York Times“, „The Wall Street Journal“, „National Geographic“, „Le Monde“, „Geo“, „The Guardian“ oder „Monocle“ tätig. Seine Werke werden auch in Galerien und auf Festivals gezeigt.

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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, freier Autor auf Rügen, bekam während seines Aufenthalts in Lamalera keine Wale zu Gesicht. Das gelang ihm erst wieder zu Hause auf Rügen. Dort konnte er bei einer Erkundungstour auf der Ostsee immerhin Schweinswale beobachten. Mehr Inselerlebnisse gibt es in seinem Buch „Rügen neu entdecken“.

Rony Zakaria, Jahrgang 1984, lebt als Fotograf in Jakarta. Er hat einen Abschluss in Mathematik und Informatik. Nach seinem Diplom begann er seine Karriere als Fotograf und studierte Fotojournalismus bei Galeri Foto Jurnalistik Antara. 2009 erhielt er ein Stipendium für eine Ausbildung am Asian Center for Journalism in Manila, Philippinen. Seither ist er für internationale Publikationen wie „The New York Times“, „The Wall Street Journal“, „National Geographic“, „Le Monde“, „Geo“, „The Guardian“ oder „Monocle“ tätig. Seine Werke werden auch in Galerien und auf Festivals gezeigt.
Person Von Maik Brandenburg und Rony Zakaria
Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, freier Autor auf Rügen, bekam während seines Aufenthalts in Lamalera keine Wale zu Gesicht. Das gelang ihm erst wieder zu Hause auf Rügen. Dort konnte er bei einer Erkundungstour auf der Ostsee immerhin Schweinswale beobachten. Mehr Inselerlebnisse gibt es in seinem Buch „Rügen neu entdecken“.

Rony Zakaria, Jahrgang 1984, lebt als Fotograf in Jakarta. Er hat einen Abschluss in Mathematik und Informatik. Nach seinem Diplom begann er seine Karriere als Fotograf und studierte Fotojournalismus bei Galeri Foto Jurnalistik Antara. 2009 erhielt er ein Stipendium für eine Ausbildung am Asian Center for Journalism in Manila, Philippinen. Seither ist er für internationale Publikationen wie „The New York Times“, „The Wall Street Journal“, „National Geographic“, „Le Monde“, „Geo“, „The Guardian“ oder „Monocle“ tätig. Seine Werke werden auch in Galerien und auf Festivals gezeigt.
Person Von Maik Brandenburg und Rony Zakaria