Sand im Getriebe

In der Frühzeit der Automobilära wurde ein Strand in Florida zum Inbegriff der glamourösen Welt des Rennsports

Vor 112 Jahren fuhren zwei Männer über den Halifax River, stellten ihre Wagen ab und marschierten in Volusia County, Florida, auf einen hellen Sandstreifen, der sich von den Mangroven des Ponce Inlet bis nach Daytona und Ormond Beach zog. Weiß wie Mehl lag der Strand vor ihnen.

Die Männer sahen das Meer. Doch nicht die blauen Wellen des Atlantiks interessierten sie, nicht die wenigen Badegäste. Vermutlich knieten die beiden nieder. Ließen den Sand durch die Finger rieseln, der hier draußen vor der Küste äußerst fein war, aber auf dem harten Untergrund nur eine dünne lose Schicht bildete. Sie blickten das Ufer entlang. Nach Norden und Süden zog es sich, flach wie ein Brett.

Es ist nicht überliefert, ob die Fische abwanderten. Doch wahrscheinlich schwammen sie vor Schreck in tieferes Wasser. Denn die beiden Männer stiegen wieder in ihre Autos, gaben Gas und rasten über den Strand. Immer schneller. Es muss fürchterlich geknattert haben.

Der eine hieß Ransom E. Olds, Gründer der Oldsmobile und Reo Motor Car Company. Der andere war der Schotte Alexander Winton, Besitzer der noch jungen Firma Winton Motor Carriage. Im Jahr 1902 traten die beiden Autopioniere in Florida erstmals zu einem privaten Rennen an. Auf der sandigen Piste von Ormond Beach, knapp nördlich von Daytona, drückten sie aufs Gas und preschten los. Tiefe Rillen in den Sand fräsend, trieben sie ihre Karossen am Meer entlang.

Im folgenden Winter schraubten sie an ihren Autos, bastelten an Benzinleitungen und Zündkabeln. 1903 schließlich riefen Olds und Winton zu einem der ersten offiziellen Autorennen Amerikas auf, wieder auf dem Strand bei Daytona. Das Ziel: ein neuer Landgeschwindigkeitsrekord.

Es war die Zeit der vorletzten Jahrhundertwende, als motorisierte Wagen in Amerika zunehmend Pferdekutschen und Fuhrwerke ablösten. 40 Prozent der frühen US-Automobile fuhren noch mit Dampf, fast ebenso viele elektrisch. Nur gut 20 Prozent verbrannten bereits, was im anstehenden Jahrhundert der Kraftstoff der Welt werden sollte: Benzin.

Die Autos sahen aus wie Kutschen, bestenfalls wie grobe Blechkisten. Große Räder, holprige Starrachsen, offene Führerhäuser, ohne Fenster, ohne Sicherheitsgurte. Erst ganz wenige Menschen auf dem Planeten hatten sich bisher mit 70, 80, 90 oder gar mit 100 Kilometern in der Stunde fortbewegt. Selbst die ersten Fluggeräte glitten vergleichsweise im Schneckentempo dahin. Die Brüder Wright entwickelten noch 1909 ein Flugzeug für das amerikanische Militär: Das Kriegsministerium verlangte eine Maschine, die wenigstens 64 Kilometer je Stunde schaffen sollte. Und für jede Extrameile Geschwindigkeit sollte es einen Bonus von 2500 Dollar geben.

Geschwindigkeit war Neuland, eine noch völlig unentdeckte Dimension. Ab Tempo 120, so befürchteten einige, könnte der zunehmende Luftdruck einen Menschen irgendwann zerreißen. Doch mit der Erfindung des Motors und immer effektiverer Vehikel war die Jagd nach Schnelligkeit eröffnet. Jede Meile, die noch obendrauf gesetzt werden konnte, kam einem Triumph gleich. „Speed“ wurde zum magischen Wort, weltweit zum Symbol für Fortschritt und Macht. Und die Grenzen wurden nun ständig weiter ausgereizt: mit Autos.

Auf beiden Seiten des Atlantiks lieferten sich Konstrukteure und Fahrer einen haarsträubenden Kampf darum, wer der schnellste Mann auf Rädern war. Im belgischen Ostende rasten sie um die Wette, ebenso in England und in den französi- schen Orten Arles, Nizza und Dourdan. Von überall wurden neue Rekorde vermeldet. Und die Marke lag bereits hoch. In Frankreich hatte der Belgier Camille Jenatzy im April 1899 in einem Elektroauto erstmals die Marke von 100 Kilometern pro Stunde geknackt. Sein Wagen sah aus wie eine Spielzeugrakete auf Rädern.

Schon bald allerdings hatten die Autonarren ein Problem. Denn mit den zunehmenden Geschwindigkeiten brauchten sie längere Pisten. Strecken, die geeignet waren, möglichst lange geradeaus rasen zu können. In Europa nutzte man anfangs Promenaden, einige glatte Strände am Atlantik oder halbwegs befahrbare Flussufer. Eine Rennstrecke existierte nirgends. In den USA waren die Voraussetzungen für schnelles Fahren noch schlechter. 1903 gab es dort gerade 200 Kilometer gepflasterte Straßen. Der Rest: Staubpisten und Sandwege, holprige Schneisen durch Wald und Wiesen.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 107. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 107

No. 107Dezember 2014 / Januar 2015

Von Marc Bielefeld

Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, Autor in Hamburg, ist eher langsames Tempo gewohnt, da er meistens mit seinem Segelboot unterwegs ist. Beim Strandsegeln vor St. Peter-Ording erreichte er allerdings einmal gut 50 km/h. Schon dieses Tempo habe sich auf dem Sand angefühlt, als „würde man auf Rennradreifen über einen Kartoffelacker schießen“.

Mehr Informationen
Vita Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, Autor in Hamburg, ist eher langsames Tempo gewohnt, da er meistens mit seinem Segelboot unterwegs ist. Beim Strandsegeln vor St. Peter-Ording erreichte er allerdings einmal gut 50 km/h. Schon dieses Tempo habe sich auf dem Sand angefühlt, als „würde man auf Rennradreifen über einen Kartoffelacker schießen“.
Person Von Marc Bielefeld
Vita Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, Autor in Hamburg, ist eher langsames Tempo gewohnt, da er meistens mit seinem Segelboot unterwegs ist. Beim Strandsegeln vor St. Peter-Ording erreichte er allerdings einmal gut 50 km/h. Schon dieses Tempo habe sich auf dem Sand angefühlt, als „würde man auf Rennradreifen über einen Kartoffelacker schießen“.
Person Von Marc Bielefeld