Salz ist ihr Schicksal

Wie im Mittelalter holen in Malis Wüste Arbeiter das Salz aus der Erde. Kamelkarawanen tragen die kostbare Fracht in die Städte

Er wusste, dass andere Männer die Entscheidung mit ihrem Leben bezahlt hatten. Doch Baba Ould Imail zögerte nicht. Eines Morgens, die Sonne war noch nicht aufgegangen, verließ er, erst 15 Jahre alt, mit einer Karawane seine Heimatstadt Timbuktu, Mali, Westafrika, ging Schritt für Schritt hinaus in die endlose Weite der Sahara, die einem Wanderer keine Nachlässigkeit, keinen Fehler verzeiht. Rund 700 Kilometer lief der schmächtige Baba zu Fuß, immer geradeaus, immer weiter, bis er die Salzminen von Taoudenni erreichte. Eine Reise in eine verlorene Welt.

Baba hatte Angst, in die Stollen zu kriechen, jahrelang quälte ihn der Gedanke, sie könnten einstürzen, ihn begraben. Doch er arbeitete hart, schlug die Spitzhacke jeden Tag unzählige Mal in die Stollenwand, um dem lehmigen Boden das Salz abzuringen, das hier in Schichten das Erdreich durchzieht.

Seit Jahrhunderten wird in Taoudenni Salz abgebaut, und einst war es so kostbar, dass es in Gold aufgewogen wurde. Heute ist es nur noch einen Bruchteil dessen wert, doch noch immer bietet es Tausenden Menschen am Rand der malischen Sahara Lohn und Brot. Wer keine andere Arbeit findet, schuftet nicht selten ein Leben lang in den Minen unter unmenschlichen Bedingungen. Und in Timbuktu gibt es Hunderte von Händlern, die die mühsam aus der Erde gebrochenen Salzplatten mit Kamelkarawanen, den berühmten azalai, durch die Wüste transportieren.

Drei Tage dauert die Fahrt von Timbuktu nach Taoudenni mit dem Geländewagen, eine Karawane braucht zwei bis drei Wochen. Wer Timbuktu in nördlicher Himmelsrichtung verlässt, den betrügt die Sahara anfangs mit ihrer spröden Schönheit. Wüstengras und knorrige Dornenbäume wachsen der weiß glänzenden Sonne entgegen. Unendliche Weite, unterbrochen nur von Dünenketten: Skulpturen aus Sand, die der Wind, der harmattan, geschliffen hat. Dromedare stehen am Pistenrand, ruhig und bedächtig zermahlen ihre Kiefer Gras und Gebüsch. Ihre Besitzer, Tuareg und maurische Nomaden, in indigofarbene Gewänder gekleidet, die Gesichter verhüllt, wahren Abstand, wenn sie kein Anliegen haben.

In der Abenddämmerung taucht Araouane am Horizont auf. Die rund 30 Häuser der Siedlung müssen nach jedem Sandsturm von ihren Bewohnern freigeschaufelt werden, weil sonst das Gewicht des herbeigewehten Sands die Lehmwände eindrückte. Der Ort war einst eine blühende Oase und dank des Salzhandels wohlhabend. Heute ist er nur noch Sinnbild für Zerstörung und schleichenden Untergang.

„Wir stehen gerade auf einem Haus“, sagt Hamani Ould Moulay, 40, trocken. Mit geröteten Augen blickt er hinunter auf seine Füße, keine Handbewegung, als sei jede Klage vergebens. Überall zwischen den Häusern kleine Hügel und Bodenwellen, verschüttetes Gemäuer, verschüttete Existenzen. Hamani ist der Imam des Dorfes, er arbeitet manchmal als Touristenführer. Und er ist Salzhändler, wie sein Vater, sein Großvater und der Urgroßvater. Er wurde hier geboren und kann sich erinnern, dass die Familien in Araouane ehemals „1000 Tiere, darunter 900 Kamele“, besaßen, dass fast jeden Tag Karawanen in die Oase kamen, um den Lasttieren am Brunnen Ruhe und Rast zu gestatten. Doch dann, Anfang der siebziger Jahre, fiel fast drei Jahre lang kein Regen, das Gras verschwand, die azalai blieben aus, und Ziegen, Schafe, Kamele starben. „Im ersten Jahr haben wir noch gehofft, im zweiten sind viele nach Timbuktu geflüchtet.“ Wer ausharrte, kaute monatelang nichts außer Stroh und Tierhaut.

Mitte der achtziger Jahre kam die zweite Dürre, und danach, Anfang der Neunziger, der Aufstand der Tuareg, ein blutiger Bürgerkrieg zwischen den durch die Trockenheit verarmten Herren der Wüste und der Armee. „Dürre und Krieg haben dem Salzhandel schwer geschadet“, klagt Hamani. Und die Dromedare seien noch immer müde und oft nicht stark genug für den beschwerlichen Weg nach Taoudenni. Zwei Mal während der Salzsaison, die sich vom Herbst bis zum Frühling erstreckt, führt er seine zehn Kamele zu den Minen, im Mai wird es dann zu heiß, 50 Grad in der Sonne und nirgendwo Schatten. Von frühmorgens um vier bis nachmittags um fünf sind die Salzkarawanen meist ohne Pause unterwegs. Die Männer, die die Kamele durch die Sahara treiben, stärken sich tagsüber ausschließlich mit Hirsebrei. „Dass ich hungrig und müde bin, bemerke ich immer erst am Abend“, erzählt Hamani. Wer auf dem Weg nach Taoudenni ist, hört auf zu denken.

Hamani Ould Moulay ist wie viele in Araouane ein Nachfahre maurischer Einwanderer und zählt damit zu den „Weißen“ in der Bevölkerung Malis, genauso wie die Tuareg. Vor ein, zwei Generationen noch markierte die ethnische Herkunft den Unterschied zwischen Arm und Reich; Tuareg und Mauren verdienten am lukrativen Salzhandel, die brotlose Arbeit in den Minen hingegen war den bellas, Nachfahren ehemaliger schwarzer Sklaven, vorbehalten. Ein „Weißer“ mit einer Spitzhacke in der Hand? Unvorstellbar sei das gewesen, berichtet Hamani, „das gab es nicht“. Heute treibt die schiere Not die meisten Männer des Dorfes in die Salinen.

Wem Taoudenni als Hölle gilt, der muss die Strecke zwischen Araouane und den Minen als ihren nicht enden wollenden Vorhof begreifen. Steinwüste ohne Erhebungen, weißer Sand wird zu rötlichem Staub, der sich in jede Pore setzt und Schleimhäute, Augen und Lungen angreift und, aufgewirbelt vom harmattan, den Horizont vernebelt. Jeder vertrocknete Grashalm erscheint als Geschenk höherer Mächte. Ab und an Brunnen mit brackigem Wasser: Wade Alhjare, Foum-Elba, Birounane. Allein die durch die Einöde schunkelnden Karawanen zeugen vom Willen der Menschen Malis, sich der Wüste nicht zu beugen. Mit gemächlichem Tritt bewegen sich die Kamele vorwärts, in langen Reihen aneinander gebunden, Kopf an Schwanz. Auf dem Weg nach Taoudenni tragen sie Heuballen an beiden Flanken. Diese lassen die Karawaniers an bestimmten Stellen in der Wüste zurück, damit die Dromedare auf dem Rückweg genug zu fressen haben, wenn sie die 25 bis 30 Kilogramm schweren Salzbarren schleppen, an jeder Seite zwei, das Fell geschützt durch Strohmatten.

Wie die Karawaniers ihr Ziel finden, bleibt für an rationale Denkmuster gewöhnte Europäer ein Rätsel. Die mit ihren Tieren wandernden Männer sagen, es gebe keine Wegmarken, sie hätten die Strecke „im Kopf“. Sie finden ihr Ziel auch, wenn keine Kamellosung oder Reifenspur gen Norden weist. Eine Geschichte aus vergangenen Tagen berichtet von einem Salzhändler, der im Alter sein Augenlicht verlor, aber dennoch nicht aufhörte, seine Kamele nach Taoudenni zu führen. Er fand den Weg, indem er sich immer wieder bückte, eine Handvoll Sand aufhob und daran roch.


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mare No. 54

No. 54Februar / März 2006

Von Asmus Heß und Günther Menn

Asmus Heß, Jahrgang 1968, ist freier Autor für den Stern und zahlreiche Wochen- und Tageszeitungen. Er lebt in Berlin. Wegen böser Erinnerungen an eine frühere Reise in die Wüste weigerte er sich in Mali beharrlich, auf einem Dromedar zu reiten. In Ägypten war ein Kamel samt Heß in einen beeindruckend großen Dornenbusch gerannt.

Günther Menn, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg und fotografiert regelmäßig für Stern, Spiegel und Geo. Zehn Mal hatte Menn auf dem Motorrad die Sahara durchquert, immer ohne ortskundige Begleitung. Für den Trip von Timbuktu nach Taoudenni brauchte er erstmals Beistand: ein Begleitfahrzeug mit einem 200-Liter-Kanister Benzin. Auf den 1500 Kilometern hin und zurück gibt es keine Tankstelle.

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Vita Asmus Heß, Jahrgang 1968, ist freier Autor für den Stern und zahlreiche Wochen- und Tageszeitungen. Er lebt in Berlin. Wegen böser Erinnerungen an eine frühere Reise in die Wüste weigerte er sich in Mali beharrlich, auf einem Dromedar zu reiten. In Ägypten war ein Kamel samt Heß in einen beeindruckend großen Dornenbusch gerannt.

Günther Menn, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg und fotografiert regelmäßig für Stern, Spiegel und Geo. Zehn Mal hatte Menn auf dem Motorrad die Sahara durchquert, immer ohne ortskundige Begleitung. Für den Trip von Timbuktu nach Taoudenni brauchte er erstmals Beistand: ein Begleitfahrzeug mit einem 200-Liter-Kanister Benzin. Auf den 1500 Kilometern hin und zurück gibt es keine Tankstelle.
Person Von Asmus Heß und Günther Menn
Vita Asmus Heß, Jahrgang 1968, ist freier Autor für den Stern und zahlreiche Wochen- und Tageszeitungen. Er lebt in Berlin. Wegen böser Erinnerungen an eine frühere Reise in die Wüste weigerte er sich in Mali beharrlich, auf einem Dromedar zu reiten. In Ägypten war ein Kamel samt Heß in einen beeindruckend großen Dornenbusch gerannt.

Günther Menn, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg und fotografiert regelmäßig für Stern, Spiegel und Geo. Zehn Mal hatte Menn auf dem Motorrad die Sahara durchquert, immer ohne ortskundige Begleitung. Für den Trip von Timbuktu nach Taoudenni brauchte er erstmals Beistand: ein Begleitfahrzeug mit einem 200-Liter-Kanister Benzin. Auf den 1500 Kilometern hin und zurück gibt es keine Tankstelle.
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