Salz auf unserer Seele

Unter Siziliens Erde liegt weißes Gold: Salz. Seit Jahrhunderten wird es hier geschürft. Die Arbeit dort ist eine Ehrensache

In der Welt, in der Francesco Lauricella acht Stunden am Tag verbringt, ist es immer Nacht. Sie kennt weder Hitze noch Kälte, tagein und tagaus misst das Thermometer zwischen 18 und 20 Grad. Wie in einem ewigen Frühling. Und doch sieht es auf Bildern aus, als herrsche tiefster Winter, denn es dominiert nur eine Farbe: Weiß. Eine feine, millimeterdicke Schicht überzieht die Arbeitshosen, die Schuhe, die Maschinen, selbst die Wimpern von Francesco Lauricella. Es könnte Schnee sein. Oder Puderzucker. In Wahrheit ist es Salz.

Francesco Lauricella, 46, ein kleiner, rundlicher Mann mit dunklen Locken, arbeitet in der Salzmine seines Heimatdorfs Racalmuto, Sizilien. Dort, wo schon sein Vater Pietro vor ihm arbeitete. Und vor Pietro dessen Vater Francesco. Und vor Francesco dessen Vater Pietro – nach ihm wurde eine 800 Meter lange Straße benannt, als Dank für seine Verdienste in der Mine. Er folgte auf seinen Vater, man ahnt es, Francesco. Fünf Generationen Lauricella. Die Vornamen wechseln zwischen Vater und Sohn, was bleibt, ist die Verbundenheit zum selben Mineral.

Sizilien verfügt über einige der größten Steinsalzvorkommen Europas. Ihre Entstehung verdanken sie einer „ökologischen Katastrophe“, wie Geologen das folgende Ereignis nennen: Vor sechs Millionen Jahren sorgten Bewegungen der Afrikanischen und Eurasischen Platte dafür, dass sich die Straße von Gibraltar schloss. Das Mittelmeer wurde vom Atlantischen Ozean isoliert und verwandelte sich in einen riesigen, salzigen See. Hohe Temperaturen und unzureichende Zuläufe ließen das Wasser rasch verdunsten und den See austrocknen. Pflanzen und Tiere starben. Auf dem Boden lagerten sich enorme Mengen von Gesteinen chemischen Ursprungs ab, darunter Steinsalz. Zwischen Schichten von Lehm konservierten sie sich, unberührt vom Menschen, bis in unsere Tage.

Das Steinsalz Siziliens ist rein wie kaum ein anderes, zu 99,9 Prozent. Es wird in drei Minen extrahiert, geführt vom sizilianischen Unternehmen Italkali. Die erste Mine befindet sich südöstlich von Palermo in Petralia, inmitten der Gebirgskette Madonie auf 800 Meter Höhe. Das Speisesalz wird hier auch unterirdisch verpackt. Nach Millionen von Jahren kommt es zum ersten Mal in der Küche der Verbraucher ans Tageslicht. Die zweite Mine liegt in Realmonte an der Mittel­meerküste. Sie ist die einzige, die Salz für das Ausland gewinnt. Täglich werden dort bis zu 5000 Tonnen Salz für Winterstreu in den Norden der Welt verschifft, nach Kanada, Skandinavien, in die USA.

Die kleinste der drei Minen, rund 20 Kilometer von der Stadt Agrigent entfernt, ist jene von Racalmuto. Ein Ort, eingehüllt in Ocker. Nicht nur die Landschaft, auch die Häuser tragen dieselbe Farbe. Bei­nahe verschwinden sie darin. Viele stehen zum Verkauf, andere fallen in sich zusammen.

Um 1900 zählte Racalmuto 16 000 Einwohner, heute sind es die Hälfte. Es gibt zwei Restaurants und 13 Kirchen, am Sonntag wird elfmal die heilige Messe gelesen. Auf seinen Straßen spielen sich dieselben Szenen ab wie an so vielen Orten Süditaliens: Alte Männer sitzen vor Cafés oder schlendern wie in Zeitlupe voran. Racalmuto ist das Dorf des Schriftstellers Leonardo Sciascia. Und es gilt als das Dorf des Salzes, weil hier alles begann.
Die Schönheit der Mine von Racal­muto zeigt sich nach kilometerlangen Gängen und Tunneln. Sie ist ein Labyrinth, bestehend aus selbsttragenden Säulen und diversen Ebenen. In der dritten Ebene steuert Francesco Lauricella an einem Freitagvormittag ein mechanisches Monster. Langsam, aber beständig frisst es sich in die Eingeweide der Erde.

Sein Kopf ist kugelförmig, versehen mit sich drehenden, spitzen Metalleinsätzen. Sie sind härter als die Felswand und tragen Zentimeter um Zentimeter feine Salzschichten ab. Zwei Drehscheiben nehmen das Material auf und transportieren es in die Mitte, auf ein Band, das unter dem Monster hindurchläuft. Es befördert das Salz in die Mulde eines Lastwagens. Draußen wird das Mineral gemahlen, gesiebt, getrennt und verpackt als grobes, mittleres und feines Salz. Ein vollständig automatisierter Prozess.

Durch das Graben mit den Fräsen entstehen faszinierende Muster an den Wänden. Hypnotisierende Wellen, die an aufgeblühte Rosen erinnern, rosone nennen sie die Männer. Die Fräse, die Lauricella bedient, haben sie in all ihrer Pragmatik „Nummer 1“ getauft, weil sie als Erste von zweien in der Mine ankam. Links neben ihr liegt ein Rohr mit einem Meter Durchmesser. Es saugt den Staub auf und bläst frische Luft hinein. „Ohne dieses Rohr würde man binnen Minuten ersticken“, sagt Lauricella. Er spricht leise und wenig, der Beruf des Fräsers ist ein stiller.

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mare No. 146

mare No. 146Juni / Juli 2021

Von Barbara Bachmann und Giovanni Cocco

Dank ihres Vornamens war Barbara Bachmann, Jahrgang 1985, freie Journalistin in Südtirol, ein gern ­gesehener Gast in den Salzminen. Die heilige Barbara ist die Schutzpatronin der Minenarbeiter.

Für Giovanni Cocco, geboren 1973, Fotograf in Rom, war der Besuch der Mine eine „unglaubliche Erfahrung“. „Ich fühlte mich wie der Protagonist in Jules Vernes ‚Reise zum Mittelpunkt der Erde‘.“

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Vita Dank ihres Vornamens war Barbara Bachmann, Jahrgang 1985, freie Journalistin in Südtirol, ein gern ­gesehener Gast in den Salzminen. Die heilige Barbara ist die Schutzpatronin der Minenarbeiter.

Für Giovanni Cocco, geboren 1973, Fotograf in Rom, war der Besuch der Mine eine „unglaubliche Erfahrung“. „Ich fühlte mich wie der Protagonist in Jules Vernes ‚Reise zum Mittelpunkt der Erde‘.“
Person Von Barbara Bachmann und Giovanni Cocco
Vita Dank ihres Vornamens war Barbara Bachmann, Jahrgang 1985, freie Journalistin in Südtirol, ein gern ­gesehener Gast in den Salzminen. Die heilige Barbara ist die Schutzpatronin der Minenarbeiter.

Für Giovanni Cocco, geboren 1973, Fotograf in Rom, war der Besuch der Mine eine „unglaubliche Erfahrung“. „Ich fühlte mich wie der Protagonist in Jules Vernes ‚Reise zum Mittelpunkt der Erde‘.“
Person Von Barbara Bachmann und Giovanni Cocco