Rochen

Der elegante Nurflügler ist ein Erfolgsmodell der Evolution, Hunderte Millionen Jahre alt. Erst die Fischerei unserer Tage bringt ihn in Gefahr

Wie um Himmels Willen bringt man ein Baby mit zwei Meter Spannweite zur Welt? Für die auch nicht eben kleine Mantamutter kein Problem: zwei kräftige Schläge mit ihren zu riesigen Flügeln ausgezogenen Brustflossen, und der Nachwuchs flutscht durch den Geburtskanal. Die bereits beachtlichen Schwingen noch in Embryonalstellung über dem Rücken eingeschlagen, schwebt das Junge zunächst leblos in einer Wolke aus Blut und Gewebeflüssigkeit. Bange Sekunden, dann streckt sich der Jungmanta und schießt mit den ersten eleganten Flügelschlägen durchs Wasser, einer ungewissen Zukunft entgegen.
Die Szene spielte sich im Juni dieses Jahres vor Besuchern und Mitarbeitern des japanischen Okinawa-Churaumi-Aquariums ab – die faszinierenden Filmaufnahmen gingen um die Welt und lassen sich in Videoportalen wie www.youtube.com leicht finden.

Die erste Geburt eines Mantarochens in Gefangenschaft lässt aber nicht nur den Laien staunen – der Zuchterfolg im größten Aquarienbecken der Welt schließt einige klaffende Lücken im Wissen über den mit mehr als sieben Meter Spannweite und zwei Tonnen Gewicht größten aller Rochen. Über die genaue Tragzeit der lebend gebärenden Mantas etwa konnte man bisher nur spekulieren. Im Fall des japanischen Mantamädchens weiß man es genau: Es kam 374 Tage nach der ebenfalls von den Tierpflegern beobachteten Paarung seiner Eltern zur Welt. Den Akt vollziehen Mantas übrigens in der Missionarsstellung, Bauch an Bauch. In Ermangelung eines festen Halts keine leichte Übung, bei der das Männchen einen seiner Klaspern in die Kloake des Weibchens einführt. Diese Penisäquivalente aller männlichen Knorpelfische sind in Wirklichkeit der zu einer Röhre umgeformte, innere Teil jeder Bauchflosse und kommt wie diese deshalb stets paarig vor. Wegen dieser vermeintlich doppelten Potenz der Knorpelfische gelten Haifischflossen in der chinesischen Medizin als Aphrodisiakum.

Die innere Befruchtung der Knorpelfische (zu denen neben den Rochen und Haien noch die kleine Gruppe der Seekatzen oder Chimären gehört) ist Teil einer Fortpflanzungsstrategie, die auf Qualität statt Quantität setzt. Mantarochen sind dabei besonders konsequent. Nach gut einjähriger Tragzeit bringen sie in der Regel nur ein einziges Junges zur Welt, das dafür zum Zeitpunkt der Geburt schon vollständig entwickelt und selbstständig ist.

Die Entwicklung des Embryos dürfte ähnlich wie bei den nahe verwandten Stechrochen verlaufen, bei denen das Junge nach kurzer Zeit im Uterus der Mutter aus seiner dünnen Eihülle schlüpft. Während es zunächst von den Nährstoffen des Dottersacks lebt, übernimmt die Mutter mit der Zeit mehr und mehr die Ernährung des Kleinen: Über zahllose, stark durchblutete Zotten auf der Innenseite der Gebärmutter gibt sie die sogenannte Uterinmilch ab, ein nahrhaftes Gemisch aus Fetten und Eiweißen, das der Embryo über feine Blutgefäße aufnimmt, die aus Kiemenschlitzen und Maul herauswachsen.

Der Vorteil dieser hohen Investition der Mutter in einen oder wenige Nachkommen zeigt sich bei der Geburt. Während die Größe der Jungen von Eier legenden Rochenarten von vornherein durch das Volumen der Eikapsel und des darin verstaubaren Dotters limitiert ist, kann der Nachwuchs lebend gebärender Arten bei der Geburt das 50-Fache des ursprüng-lichen Eigewichts auf die Waage bringen. Das gewährt dem Jungtier einen Vorsprung beim Start ins selbstbestimmte Leben, bei dem ihm die Mutter allerdings auch nicht weiter beisteht.

Eine Mischkalkulation aus Masse und Klasse betreiben die Eier legenden Rochenarten wie die vor Europas Küsten lebenden Nagel- und Glattrochen. Ihr Nachwuchs ist in den raffiniert gebauten, kissenförmigen Eikapseln sehr gut geschützt, durch die dank feiner Schlitze immer genug Frischwasser zirkuliert. Viel mehr als 50 Eier in einer Saison legen allerdings auch diese Arten nicht – im Vergleich zu den Millionen Eiern vieler Knochenfische immer noch eine sehr exklusive Produktion.

Die komplexe und fortschrittliche Fortpflanzungsbiologie der Knorpelfische steht nur scheinbar im Widerspruch zu ihrem Image als lebende Fossilien. Knorpelfische sind zwar eine sehr alte Fischgruppe. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich im Lauf der Evolution nicht weiterentwickelt hätten. Während viele Eigenheiten der heute lebenden Knorpelfische tatsächlich noch aus der grauen Vorzeit ihrer Klasse stammen, sind andere höchstwahrscheinlich Neuentwicklungen. So oder so haben sich Haie und die von ihnen abgeleiteten Rochen bisher sehr erfolgreich durch das Drama der Evolution gekämpft.


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mare No. 65

No. 65Dezember 2007 / Januar 2008

Von Georg Rüschemeyer

Der Biologe

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