Wehe, wenn John Costello etwas „interessant“ findet. Eine plötzlich heraufziehende Kaltfront etwa, ein notwasserndes Sportflugzeug oder die sich zuspitzende Lage auf einer Yacht mit Ruderbruch, die sogar „ziemlich interessant“ zu werden verspricht. Das ist sein Synonym für Situationen, die andere als kreuzgefährlich einstufen würden. Und in denen sie John Costello rufen. Manchmal können er und sein kleines Team der Küstenwache helfen. Manchmal können sie nur noch Tote bergen. Und manchmal können sie gar nichts tun, da die Bedingungen auch für sie zu riskant sind.
Entlang der 2800 Kilometer langen Küste Südafrikas verfügt der privat organisierte Seenotrettungsdienst über rund 30 Stationen. John Costello, der wie alle 700 Mitglieder der südafrikanischen Küstenwache ehrenamtlich tätig ist, hat den längsten Abschnitt, das kleinste Boot und die schwerste See. Er operiert entlang der Wild Coast. Der Name ist Programm. Bis heute ist sie auf einer Länge von 200 Kilometern kaum mehr erschlossen als die Kalahari. Zwischen East London und Durban schert die Straße weit ins Hinterland aus, um die Steilküste zu umgehen. Von See her haben meist nur Schiffbrüchige einen Fuß an Land gesetzt – ihrer tückischen Klippen wegen ist die Wild Coast mit Wracks nur so garniert. Entlang der gesamten Strecke gibt es keine einzige Anlegestelle, geschweige denn einen Hafen. Aber ein Boot der Küstenwache? In einem kleinen, schmuddeligen Ferienort namens Port St. Johns?
Früher war der hier mündende Umzimvubu schiffbar, Dampfboote befuhren ihn bis weit ins Hinterland. Doch seit den 1970er Jahren ließ ihn die Erosion infolge von Landwirtschaft und Siedlungsbau verlanden. Statt direkt ins Meer ergießt er sich nun in seine eigene Lagune, durch deren Sandbänke eine immer enger werdende Fahrrinne ins offene Meer führt. Immerhin kann Costello so das Boot im Schutz des Flusses zu Wasser lassen. Es ist keine stattliche Barkasse, sondern ein besseres Schlauchboot, mit festem Rumpf, zwei hochgerüsteten Außenbordmotoren und leistungsfähigem Funk. Vor allem aber: Es muss klein sein, sonst würde es nicht auf den Anhänger von Johns Geländewagen passen.
Den manövriert er gerade rückwärts in den Umzimvubu und lässt das Boot ins Wasser gleiten. Mit Rettungsweste und Helm bewehrt, braust er in einer langen S-Kurve die Mündung hinaus. Ein erstes und letztes Mal kann man dabei durchatmen, dann wird es ernst: Der Schlagabtausch mit dem Meer beginnt. Die See brandet sofort mit voller Wucht heran, als hätte sie den ganzen Weg von der Antarktis her Anlauf genommen, um sich auf dieses kleine, vorwitzige Boot zu stürzen.
Die Wellen, die John und seine Crew im Ernstfall bewältigen müssen, gehören zu den höchsten der Weltmeere. Während die Agulhasströmung von Madagaskar her zum Kap der Guten Hoffnung zieht, fallen ihr die Stürme aus dem Südmeer hier in die Flanke. Wegen des abrupt ansteigen- den Kontinentalschelfs können sich bis zu 30 Meter hohe Monsterwellen aufschaukeln. Auch das umgekehrte Phänomen ist mehrfach beschrieben worden: „Löcher im Ozean“, urplötzlich sich öffnende, bodenlos scheinende Wellentäler.
Mit solchen Ungetümen brauchen John und seine Helfer heute nicht zu kämpfen; sie trainieren nur. Doch der Ritt gestaltet sich „zumindest nicht uninteressant“. Die Brecher sind immerhin so hoch wie ein Stadthaus: bis zu drei Bootslängen. Am Ruder taxiert John jede heranrollende Woge wie David den Goliath. Ist sie schmal genug, dass er sie seitlich umfahren kann? Muss er Vollgas geben, um sie frontal zu erklimmen? Oder hat er genügend Zeit, eine Schleife nach hinten zu drehen, um sich dann nach einem Ausweg umzusehen?
Meist bleibt ihm nichts anderes übrig, als direkt auf die Wasserwand zuzurasen, die das Boot dann mit Macht emporhebt. Gibt er dabei zu viel Gas, schießt er in hohem Bogen ins Leere. Gibt er zu wenig Gas, reißt die Welle ihn mit und er läuft Gefahr zu kentern. Er ist diesen Tanz gewöhnt, diese brachiale, sich ständig wandelnde Choreografie. Ein schöner Seegang, erklärt John, lässt dir zehn Sekunden bis zur nächsten Welle. Oft hast du aber nur fünf Sekunden, manchmal auch nur drei. Das ist dann eher unschön.
Im Ernstfall muss John Verunglückte unter weit widrigeren Umständen bergen. „Es ist ein fabelhaftes Boot“, schreit Costello in den Wind, das Haar schon klatschnass, „damit kannst du auch im Sturm noch operieren. Nur bei Dunkelheit, da kannst du nicht raus.“ Schon mehrfach musste er es ertragen, Schiffbrüchige in Not zu wissen und selbst nicht helfen zu können. Die einzige Hoffnung in solchen Situationen sind dann andere Schiffe, die in der Nähe sind. Wie im Fall der kleinen Yacht, die nachts mit Motorschaden auf die Klippen zutrieb. Ein riesiger Containerfrachter kam ihr zu Hilfe, schob sich kühn zwischen Yacht und Küste und rangierte dann so lange mit der Strömung hin und her, bis der Motor wieder ansprang.
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Stefan Schomann, Jahrgang 1962, freier Autor aus Berlin, war beeindruckt von der Verlässlichkeit der Helfer. In seinem Buch Im Zeichen der Menschlichkeit über die Geschichte des Roten Kreuzes widmet er sich ausführlich der Tradition der Wasserwacht.
Es war nicht Jörn Vanhöfens erste Begegnung mit der Wild Coast. Schon 2006 bereiste der Fotograf, Jahrgang 1961, ein Jahr lang die Küste von Namibia bis Moçambique für ein mare-Buch. Für die raue, entlegene Wild Coast schlägt sein Herz am kräftigsten.
Vita | Stefan Schomann, Jahrgang 1962, freier Autor aus Berlin, war beeindruckt von der Verlässlichkeit der Helfer. In seinem Buch Im Zeichen der Menschlichkeit über die Geschichte des Roten Kreuzes widmet er sich ausführlich der Tradition der Wasserwacht.
Es war nicht Jörn Vanhöfens erste Begegnung mit der Wild Coast. Schon 2006 bereiste der Fotograf, Jahrgang 1961, ein Jahr lang die Küste von Namibia bis Moçambique für ein mare-Buch. Für die raue, entlegene Wild Coast schlägt sein Herz am kräftigsten. |
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Person | Von Stefan Schomann und Jörn Vanhöfen |
Vita | Stefan Schomann, Jahrgang 1962, freier Autor aus Berlin, war beeindruckt von der Verlässlichkeit der Helfer. In seinem Buch Im Zeichen der Menschlichkeit über die Geschichte des Roten Kreuzes widmet er sich ausführlich der Tradition der Wasserwacht.
Es war nicht Jörn Vanhöfens erste Begegnung mit der Wild Coast. Schon 2006 bereiste der Fotograf, Jahrgang 1961, ein Jahr lang die Küste von Namibia bis Moçambique für ein mare-Buch. Für die raue, entlegene Wild Coast schlägt sein Herz am kräftigsten. |
Person | Von Stefan Schomann und Jörn Vanhöfen |