Reich für die Insel

Steuerbetrug als Staatsraison: Seit Jahrzehnten locken kleine Inselländer mit Diskretion und Steuerfreiheit die Steuerhinterzieher aus aller Welt an. Die Offshoregesellschaften entziehen den übrigen Staaten Wohlstand und soziale Gerechtigkeit

Ein Fleck aus Lichtern liegt in der schwarzen Karibischen See südlich von Kuba. Darüber steht der volle Mond. Ich verrenke mich auf meinem Sitz in der kleinen Maschine der Cayman Airways und erkenne eine geschwungene Linie im Meer, gemalt aus dem Licht vereinzelter Lampen. Das muss er sein, der berühmte sieben Meilen lange Sandstrand, gesäumt von Hotels und Bars.

Eines steht fest, noch ehe mein Flugzeug auf den Cayman-Inseln gelandet ist: Das Geld hat als Ziel seiner Reise um die Welt einen schönen Ort erkoren. Einen Ort, den kein Reiseführer in deutscher Sprache beschreibt. Eine winzige Inselgruppe, 260 Quadratkilometer groß, nicht mehr als ein paar Landkrümel also. Bis in die 1960er-Jahre lebten hier nur einige Fischer. Es gab eine geteerte Straße, kein Telefon und natürlich auch keinen Flughafen, dafür lästige Mückenschwärme um die vielen Sümpfe der Insel.

1967 aber verabschiedete das Inselparlament ein Gesetz, das die Gründung von Briefkastenfirmen erleichterte. Man entschied, das Bankgeheimnis zu stählen und jeden, der Finanzdaten an Dritte weiterreicht, mit Gefängnis zu bestrafen. Und man beschloss, Einkommen, Vermögen, Gewinne und Erbe nicht zu besteuern. Die Caymans taten also einiges, um sich dem Geld der Welt als Fluchtplatz anzubieten. Und tatsächlich, es funktionierte.

Heute sind die kleinen Inseln der fünftgrößte Finanzplatz der Welt. Gerade einmal 50 000 Menschen leben hier. Aber es gibt 90 000 Firmen. Fast jeder zweite Hedgefonds der Welt ist hier registriert. Über zwei Billionen Dollar sollen in den Depots der Banken, Kanzleien und Investmentfirmen lagern. Die Caymans sind ein Ort, den der Verstand kaum erfassen kann: eine Steueroase, ein tax haven, wie die Engländer sagen. Einer von diesen sagenumwobenen Orten, die sich über den ganzen Globus verstreuen.

Schon darüber, was eine Steueroase ausmacht, herrscht Uneinigkeit. „Tatsächlich ist der Begriff irreführend“, schreibt Nicholas Shaxson, Autor des Buches „Schatzinseln“ und einer der wenigen, die seit Jahrzehnten zu Steueroasen recherchieren. „An diesen Orten kann man sich nicht nur vor Steuern schützen.“ Steueroasen böten viel mehr: einen Schleier der Geheimhaltung, Schutz vor Kontrollen sowie die Möglichkeit, den Gesetzen und Regeln anderer Staaten zu entrinnen.

Steueroasen entziehen Staaten ihren Wohlstand, sagt Gabriel Zucman, Ökonom an der London School of Economics. In welchem Ausmaß, darüber wurde lange spekuliert. Zucman hat als Erster gewaltige Datensätze aus Handelsbilanzen und amtlichen Statistiken ausgewertet. Seinen Berechnungen zufolge lagern sechs Billionen Euro auf Konten in Steueroasen, acht Prozent des gesamten Privatvermögens. Den jährlichen Schaden für Deutschland schätzt er auf mindestens 30 Milliarden Euro, andere vermuten, es seien über 100. Steueroasen stehlen Geld, sagt Zucman.

Es ist Abend geworden auf den Caymans. Gleich wird die Sonne untergehen. Noch immer sind es über 20 Grad. In einer Bar über dem Meer sitzen die zusammen, die hier Geschäfte machen.

Am Tag war ich tauchen. Schwamm vorbei an babyblauen Fischen mit runden Mündern und an silbrig glitzernden Kalmaren. Ich fuhr über die Insel und sah, dass die Sümpfe längst trockengelegt sind, die Strände erschlossen, die Straßen asphaltiert. Die Starbucks-Läden eröffnet. Die Caymans haben das höchste Pro-Kopf-Einkommen aller Karibikstaaten. Viele hier sagen: Was soll die Wut? Die meisten Staaten der Welt würden versuchen, dem Geld die besten Bedingungen zu bieten. Und die Cayman-Inseln gehörten in diesem Wettstreit einfach zu den Besten.

„Cheers“, sagt John. „Cheers“, sagt Catherine. Wir sitzen in einer Bar, in der sich am Abend die Zugezogenen treffen. Die beiden sind Engländer, jung, smart, sie leben gerne hier. „Warum auch nicht?“ Das Wetter sei immer gut, das Meer atemberaubend, die Strände gewaltig. „Wir arbeiten viel weniger als zu Hause“, sagt Catherine. Um fünf Uhr sei meist Schluss, die Wochenenden frei. „Da geh ich dann tauchen“, sagt John und lacht.

Catherine, deren dunkles Haar glatt auf die Schulter fällt, nimmt seine Hand und sagt: Ihr John sei ein diamond, ein Experte in seinem Gebiet. John tüftelt Versicherungsmodelle aus, bei denen Unternehmen Risiken bei einer konzerneigenen Tochterfirma absichern können. Dieses Konstrukt, bei dem die Tochter in einer Steueroase angesiedelt wird, hat meist einen Zweck: Steueroptimierung. So nennt es Johns Branche. „Steuervermeidung“ heißt es neutral. „Steuerdiebstahl“, klagen die Kritiker.

„Es ist ein guter Job“, sagt John. Ich frage nach Verantwortung, nach Schaden, nach Folgen. „Alles kein Problem“, antwortet John. Es ist eine Variation dessen, was ich in all meinen Gesprächen mit den Menschen hier höre. Die Kritik an den Caymans sei aufgebauscht. Dann zöge Europa, zöge Deutschland eben weniger Steuergelder ab, meint ein Deutscher. Dort jammere man doch sowieso auf höchstem Niveau. Ob er Verwalter von Hedgefonds kenne, die zweifelten, vielleicht sogar nach der großen Finanzkrise Schuld empfänden? „Nein“, sagt er, so etwas habe er auf der Insel noch nie gehört. „Wer so denkt, der macht den Job wohl nicht.“


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mare No. 110

No. 110Juni / Juli 2015

Von Julia Friedrichs, Paolo Woods und Gabriele Galimberti

Die Recherchereise zu den Cayman-Inseln nutzte Julia Friedrichs Jahrgang 1979, Journalistin in Berlin, auch zum Kennenlernen der Meeresbewohner: Gleich am ersten Tag fuhr sie wie alle Touristen zu einer Sandbank, um einen Stachelrochen zu küssen.

Zwei Jahre arbeiteten Paolo Woods, Jahrgang 1970, und Gabriele Galimberti, geboren 1977, an ihrem Fotoprojekt über Steueroasen. Nun erscheint ihr Buch The Heavens. Annual Report. Außerdem werden die Bilder im Herbst beim Fotofestival Mannheim – Ludwigshafen – Heidelberg in der Kunsthalle Mannheim ausgestellt. Beide Fotografen werden von der Agentur Institute vertreten.

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Vita Die Recherchereise zu den Cayman-Inseln nutzte Julia Friedrichs Jahrgang 1979, Journalistin in Berlin, auch zum Kennenlernen der Meeresbewohner: Gleich am ersten Tag fuhr sie wie alle Touristen zu einer Sandbank, um einen Stachelrochen zu küssen.

Zwei Jahre arbeiteten Paolo Woods, Jahrgang 1970, und Gabriele Galimberti, geboren 1977, an ihrem Fotoprojekt über Steueroasen. Nun erscheint ihr Buch The Heavens. Annual Report. Außerdem werden die Bilder im Herbst beim Fotofestival Mannheim – Ludwigshafen – Heidelberg in der Kunsthalle Mannheim ausgestellt. Beide Fotografen werden von der Agentur Institute vertreten.
Person Von Julia Friedrichs, Paolo Woods und Gabriele Galimberti
Vita Die Recherchereise zu den Cayman-Inseln nutzte Julia Friedrichs Jahrgang 1979, Journalistin in Berlin, auch zum Kennenlernen der Meeresbewohner: Gleich am ersten Tag fuhr sie wie alle Touristen zu einer Sandbank, um einen Stachelrochen zu küssen.

Zwei Jahre arbeiteten Paolo Woods, Jahrgang 1970, und Gabriele Galimberti, geboren 1977, an ihrem Fotoprojekt über Steueroasen. Nun erscheint ihr Buch The Heavens. Annual Report. Außerdem werden die Bilder im Herbst beim Fotofestival Mannheim – Ludwigshafen – Heidelberg in der Kunsthalle Mannheim ausgestellt. Beide Fotografen werden von der Agentur Institute vertreten.
Person Von Julia Friedrichs, Paolo Woods und Gabriele Galimberti