In der Werkstatt von Fritz Kreis junior liegt der alte, himmelblaue Kopfbalken auf der Werkbank und gleich daneben der neue aus Fichtenholz. Den hat die Zimmerei aus Geisenfeld gefertigt, die schon für Fritz Kreis’ Großvater gearbeitet hat. Woran man sieht, dass es hier historisch zugeht. Das neue Holz hat die richtigen Maße, aber es fehlen noch Bohrlöcher, Schlitze, Nuten. Die wird Fritz Kreis, 47, in den kommenden Wochen machen. Dann ein Anstrich in eben jenem Himmelblau, das luftig ist und aufwärtsstrebend, und der Kopfbalken kann genutzt werden. Aus diesen und weiteren Teilen baut Fritz Kreis seine historische Schiffschaukel zusammen.
Er hat sein ganzes Leben mit diesem Gerät verbracht und seine Vorfahren ebenso. Er ist in der fünften Generation Schausteller. Natürlich hat sich die Schiffschaukel über die Jahre verändert. Neun Gondeln in Schiffform hängen heute an den Kopfbalken, acht normale und eine Überschlagschaukel. Die Schiffe sind bunt bemalt, auf den Seiten stehen große Namen: Herzi, Mausi, Muschi, Schnecki, Schnucki, Schatzi, Stöpsi, Bazi. Und die Überschlagschaukel heißt Mucki, obwohl es beim Überschlagschaukeln weniger auf Muckis ankommt, als man denkt. Über lange Jahre dienten die Schaukeln ganz selbstverständlich der Identitätsfindung des Publikums, eine Attraktion der maskulinen Stärke.
Der Hof, auf dem die Schiffschaukel steht, liegt in Geisenfeld bei Ingolstadt, Keimzelle der Familientradition. In der Garage nebenan steht der Hanomag von 1967, ein Zugwagen, der bloß 25 Kilometer in der Stunde fahren darf. Etwa acht- bis zehnmal im Jahr nimmt Fritz Kreis die Schaukel mit, er fährt auf Volksfeste in der Umgebung, zu Feuerwehrfesten, zu Fahnenweihen. Sein Hauptgeschäft sind ein Kinderkarussell, die Dschungel-Rally, und ein großer Wagen mit Süßwaren: Zuckerwatte, gebrannte Mandeln und Nüsse, Lebkuchenherzen und Popcorn. Die Schiffschaukel läuft mit; sie ist schön anzusehen, aber, gemessen am Aufwand, kaum noch einträglich. Nostalgie hat etwas mit ferner Bewunderung zu tun, nicht unbedingt mit Praxis. Kreis spürt das auf jedem Jahrmarkt. Und doch: Sein Herz hängt an der Schaukel, sagt er bestimmt.
2,50 Euro kostet einmal schaukeln. Kreis erklärt mittlerweile oft, wie es geht. Die Schaukel steht ebenerdig, der Besucher tritt in die Schaukel, Kreis stellt sich seitlich neben das Schiff, schiebt zwei, drei oder auch vier, fünf Schübe an, bis genug Schwung da ist, und geht dann hinaus. Das Schaukeln ist ein Do-it-yourself-Vergnügen, nirgendwo ein elektrischer Antrieb. Und zudem Ganzkörperarbeit, Arme, Beine, Rumpf, Kopf, alles muss mitmachen, sonst wird die Schaukel langsamer statt schneller, und das erwünschte Bauchkribbeln bleibt aus.
Nach ein paar Minuten wird mechanisch die Bremse betätigt, den sprichwörtlichen Schiffschaukelbremser gibt es nicht mehr. Allerdings merkt Kreis die Arbeit am nächsten Tag noch, das Anschieben steckt er nicht mehr so leicht weg, sagt er.
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Holger Kreitling, Jahrgang 1964, arbeitet bei der „Welt“ in Berlin. In seiner Heimat in Hessen gab es auf den Jahrmärkten keine Schiffschaukeln. Corona-bedingt konnte der Autor die Kreis’sche Schaukel nicht ausprobieren. Grundsätzlich meidet er auf dem Rummel den Schwindel der großen Fahrgeschäfte und ist mit gebrannten Mandeln zufrieden.
Vita | Holger Kreitling, Jahrgang 1964, arbeitet bei der „Welt“ in Berlin. In seiner Heimat in Hessen gab es auf den Jahrmärkten keine Schiffschaukeln. Corona-bedingt konnte der Autor die Kreis’sche Schaukel nicht ausprobieren. Grundsätzlich meidet er auf dem Rummel den Schwindel der großen Fahrgeschäfte und ist mit gebrannten Mandeln zufrieden. |
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Person | Von Holger Kreitling |
Vita | Holger Kreitling, Jahrgang 1964, arbeitet bei der „Welt“ in Berlin. In seiner Heimat in Hessen gab es auf den Jahrmärkten keine Schiffschaukeln. Corona-bedingt konnte der Autor die Kreis’sche Schaukel nicht ausprobieren. Grundsätzlich meidet er auf dem Rummel den Schwindel der großen Fahrgeschäfte und ist mit gebrannten Mandeln zufrieden. |
Person | Von Holger Kreitling |