Probier’s mal mit Ærø

Eine dänische Ostseeinsel kämpft gegen die Landflucht und bietet Zuwanderungswilligen ein Haus auf Zeit zum Testen

Es ist ein dänischen Dorf wie aus dem Bilderbuch. Ein bisschen verträumt liegt Bregninge in der Nachmittagssonne da, auf der Straße ist niemand zu sehen. Nur das Dröhnen des abfahrenden Busses durchschneidet kurz die Ruhe, dann ist es wieder still. Gelb verputzte Häuser mit Stockrosen säumen die Straße, es gibt eine Kirche, ein Gasthaus, ein Versammlungshaus, eine Bushaltestelle. Bregninge, weniger als 200 Einwohner, liegt auf der Ostseeinsel Ærø in der Dänischen Südsee. Es ist ein Dorf wie viele andere, aber mit einer Besonderheit: Hier können Auswanderungswillige probewohnen und dabei unter realistischen Bedingungen ausprobieren, ob ein Leben auf Ærø auf Dauer etwas für sie wäre.

Die Insel ist eine Idylle aus Meer, Wäldern, Feldern und Dörfern, es gibt wenig Kriminalität und kaum Arbeitslose. Und doch hat Ærø ein Problem wie viele andere ländliche Gemeinden auch: Die jungen Menschen ziehen weg. Sie wollen die Betriebe ihrer Eltern nicht fortführen. Lieber gehen sie in die Städte, um zu studieren, an den Universitäten und Wirtschaftshochschulen. Sie suchen sich gut dotierte Jobs, bei denen die Work-Life-Balance stimmt. Wenn sie später, mit 30 oder 35, eine Familie gründen, haben die meisten Ærø längst verlassen und kommen auch nicht wieder. Jährlich sterben auf Ærø doppelt so viele Menschen, wie Babys geboren werden.

Noch sieht man es der Insel nicht an. Die Häuser sind gepflegt, es gibt viele Geschäfte und ein Krankenhaus. Im Sommer sind die Straßen voller Touristen, es gibt ein reiches kulturelles Leben. Beim alljährlichen Jazzfestival am Hafen von Ærøskøbing tritt Gitte Hænning auf, und gelegentlich kommt die Königliche Oper aus Kopenhagen vorbei und gibt Gastspiele.

Doch auf die Dauer wird die Abwanderung auch für Ærø gefährlich, das hält kein Gemeinwesen lange aus. Auf Ærø, das fast so groß ist wie Sylt und rund 6200 Einwohner hat, stehen derzeit etwa 140 Häuser leer. Die Regierung unterstützt Landgemeinden finanziell beim Abriss von Häusern, die sonst zu Ruinen würden.

Die Kommune Ærø aber hat sich für einen anderen Weg entschieden: Sie nahm das Geld der Regierung und sanierte damit ein verfallenes Haus, anstatt es abzureißen. Das Angebot der Gemeinde: Wer mit dem Gedanken spielt, nach Ærø zu ziehen, kann hier vier Monate probewohnen. Das gelb verputzte Haus in Bregninge hat vier Zimmer, eine Wohnküche, Bad und Keller. Es ist voll ausgestattet und möbliert, die Miete gering, umgerechnet 400 Euro im Monat. „Die Leute müssen ja ihre Miete zu Hause während der Zeit auch noch bezahlen können“, sagt Carl Jørgen Heide, der das Programm mit aufgelegt hat und bis vor Kurzem für die Auswanderungswilligen zuständig war. Nun ist er in Rente gegangen.

Seine Nachfolgerin, Katrine Sindal Schlotfeldt, die offizielle Zuzugsbeauftragte der Insel, ist auf Ærø geboren, nach der Schule zum Studium weggezogen – und eine der wenigen, die tatsächlich zurückkehrten. Fast täglich erreichen sie Anfragen für das Haus, 80 waren es allein zwischen April und Juli 2017. Ihr Job ist es, die passenden Kandidaten auszuwählen, sich während des Aufenthalts um die Bewohner zu kümmern und ihnen einen kostenlosen Dänischkurs zu vermitteln.

Es sei nicht leicht, die ernsthaften Bewerber von jenen zu unterscheiden, die einfach nur eine günstige Auszeit nehmen wollen. „Die meisten wollen zwar gerne im Sommer herkommen“, sagt Schlotfeldt. „Aber wenn man wirklich hier leben will, muss man ja auch sehen, wie es hier im Winter ist.“ Die vier Monate seien ideal, um den Auswanderungswilligen eine gute Vorstellung vom Leben auf der Insel zu vermitteln. Offenbar scheint es vielen zu gefallen. Etwa 40 Prozent entscheiden sich nach der Probezeit für ein Leben auf der Insel.

Es ist eine erstaunliche Quote, wenn man bedenkt, wie sehr ländliche Gemeinden mit der Landflucht zu kämpfen haben. „Die Lage in Dänemark ist noch einmal schwieriger als in Deutschland“, sagt Thilo Lang, Geograf am Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig. „Die deutschen Nordseeinseln zum Beispiel liegen nicht ganz so weit ab und sind gut zu erreichen.“ Das macht sie attraktiv. Sylt ist sogar so beliebt, dass es kaum noch bezahlbaren Wohnraum gibt. Von solchen Zuständen sind die dänischen Inseln weit entfernt. Nicht nur die Jungen ziehen weg. Auch die Älteren möchten die Vorteile einer Stadt nicht missen – Kino, Theater, Fachärzte, öffentliche Verkehrsmittel.

Probewohnen als Anreiz für einen Umzug, das gibt es schon länger. Gerade in Deutschland gehört das Konzept zum Portfolio einiger Kommunen und Wohnungsgesellschaften. In Görlitz etwa können Zuzugswillige nicht nur zwei Monate mietfrei wohnen, sie erhalten auch weitere Vergünstigungen: Es gibt einen Monat kostenlosen Strom, eine Bank bietet für ein Jahr kostenlose Kontoführung an, hinzu kommen Jahreskarten für den Tierpark und drei Monate freies Fahren mit dem öffentlichen Nahverkehr. Der wiederum ist auf Ærø ohnehin gratis, für Einheimische, Touristen und Probebewohner gleichermaßen.


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mare No. 128

Juni / Juli 2018

Von Karolina Meyer-Schilf und Orlando Hoetzel

Karolina Meyer-Schilf, Jahrgang 1982, Journalistin in Bremen, schätzt Ærø als Segelrevier. Dass man dort auch wunderbar leben kann, hat sie immer geahnt. Seit der Recherche ist sie sich sicher.

Der Berliner Illustrator Orlando Hoetzel, geboren 1971, liebäugelt schon länger damit, aufs Land zu ziehen. Künstlerisch hat er den Wandel schon vollzogen. Viele seiner neuen Werke zeigen Parks und Gärten.

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Vita Karolina Meyer-Schilf, Jahrgang 1982, Journalistin in Bremen, schätzt Ærø als Segelrevier. Dass man dort auch wunderbar leben kann, hat sie immer geahnt. Seit der Recherche ist sie sich sicher.

Der Berliner Illustrator Orlando Hoetzel, geboren 1971, liebäugelt schon länger damit, aufs Land zu ziehen. Künstlerisch hat er den Wandel schon vollzogen. Viele seiner neuen Werke zeigen Parks und Gärten.
Person Von Karolina Meyer-Schilf und Orlando Hoetzel
Vita Karolina Meyer-Schilf, Jahrgang 1982, Journalistin in Bremen, schätzt Ærø als Segelrevier. Dass man dort auch wunderbar leben kann, hat sie immer geahnt. Seit der Recherche ist sie sich sicher.

Der Berliner Illustrator Orlando Hoetzel, geboren 1971, liebäugelt schon länger damit, aufs Land zu ziehen. Künstlerisch hat er den Wandel schon vollzogen. Viele seiner neuen Werke zeigen Parks und Gärten.
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