Pro und Contra: nachhaltiges Fischen

Gibt es für den Fisch keine Hoffnung? Oder haben wir eine Chance, ihn für folgende Generationen zu bewahren? Zwei Standpunkte

Nachhaltigkeit ist ein Mythos (Auszug)

Von Daniel Pauly, Direktor des Fisheries Centre der Universität von British Columbia in Vancouver

Fischerei war noch nie „nachhaltig“. Im Gegenteil, sie hat in Serie Fischbestände geplündert und diesen Umstand geschickt maskiert. Rückgänge bei den Fangmengen wurden durch verbesserte Technik wettgemacht, durch geografische Expansion und nicht zuletzt durch den Rückgriff auf Spezies von niederem Rang in der Nahrungspyramide, die man zuvor verschmäht hatte. Wenn man aktuelle Trends hochrechnet, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Großfischereien, und da besonders jene, die sich auf die großen Raubfischarten konzentrieren, in wenigen Jahrzehnten weltweit kollabieren werden.

Fischen ist das Fangen und Erlegen von Wildtieren im Meer, das Gegenstück zur Jagd auf Wisente, Rehe oder Kaninchen an Land. Es sollte niemanden überraschen, dass eine industriell angelegte Fischerei nicht nachhaltig sein kann; eine industrialisierte Jagd an Land, das kann man sich leichter vorstellen, wäre es auch nicht. Umso überraschender ist es, wie tief sich die Überzeugung festgesetzt hat, dass unspezifische „Veränderungen der Umwelt“ den Niedergang von Fischbeständen verursacht haben sollen – und weiter verursachen. Wer die Geschichte der Fischerei studiert, wird unschwer erkennen, dass es der Mensch war, der seit Jahrtausenden das Schicksal einer Fischart und seines Lebensraums bestimmt hat.

Wenn es überhaupt je „nachhaltige“ Fischerei gegeben hat, dann nicht wegen einer bewussten Entscheidung für eine Schonung der Fischbestände, sondern weil diese außerhalb der Reichweite kommerzieller Fischerei lag. Nur dann bleiben große und alte Weibchen, die den wichtigsten Beitrag zur Erneuerung der Populationen leisten, unbehelligt. Wo immer eine Population für das Gerät der Fischer erreichbar war, kam es zwangsläufig zur Plünderung des Bestandes – selbst wenn uns die Fangmethoden im Rückblick primitiv und wenig effizient vorkommen mögen.

Aus diesem Prozess wurde eine Industrie, als englische Fischer im frühen 19. Jahrhundert begannen, dampfgetriebene Trawler einzusetzen. Der nächste Entwicklungssprung waren maschinelle Winschen, und nach dem Ersten Weltkrieg tauchten die ersten Schiffe mit Dieselmotoren auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg rüstete die Fischerei ihr Arsenal schnell weiter auf – sie setzte Tiefkühlfabrikschiffe ein, Sonargeräte und GPS.

Auch die Fischereiwissenschaft machte Fortschritte. Zwei Weltkriege hatten gezeigt, dass auch stark befischte Populationen, wie die intensiv genutzten Bestände der Nordsee, sich erholen konnten, wenn man den Fang vorübergehend einstellte. Also entwickelten die Forscher theoretische Modelle für die Populationen einzelner Fischarten, deren Größe und Produktivität allein vom Druck durch die Fischerei bestimmt wird.

 

Überfischung ist kein Endzeitszenario (Auszug)

Von Gerd Huboldt, Direktor der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg

Der Nachwuchs eines einzigen Kabeljauweibchens in der Nordsee könnte, wenn alle Eier, Larven und Jungfische überleben würden, in drei bis vier Jahren auf mehrere tausend Tonnen Biomasse heranwachsen. Eine katastrophale Überbevölkerung wäre die Folge, wenn das Nachwuchspotenzial des Kabeljaus in einer Größenordnung von 100000 Milliarden Nachkommen pro Jahr voll ausgeschöpft würde.

Die Natur hat allerdings effektive Mechanismen geschaffen, durch die der Großteil des Nachwuchses früh stirbt oder gefressen wird (auch von den eigenen Eltern) und nur so viele übrig bleiben, wie im Ökosystem Platz für sie ist. Wenn das Ökosystem in ungestörtem Zustand ist, wird es von Altfischen beherrscht, und es wird nur sehr wenig Nachwuchs groß. Ist Platz geschaffen (durch Umweltfaktoren, Krankheiten, erhöhten Fressdruck von Seevögeln, Robben, Walen, aber auch durch Fischerei), werden die Nachwuchsreserven mobilisiert und füllen die Lücken wieder auf. Nach dem Modell der Fischereibiologie ist die Produktionskraft der meisten Bestände dauerhaft am größten, wenn die Altfischbiomasse auf etwa die Hälfte des Urzustands reduziert ist. Diesen Mechanismus nutzt die Fischerei, indem sie bewusst die ursprüngliche Biomasse der Bestände verändert, damit sie die daraus resultierende höhere Produktion als Fangertrag nutzen kann.

Das Geheimnis einer nachhaltigen Fischerei besteht darin, das schwierige Gleichgewicht zwischen Elternbestand, Nachwuchsaufkommen und Fang zu finden und auch bei schwankenden Umweltbedingungen möglichst dauerhaft aufrechtzuerhalten. Dieses Gleichgewicht ist von Fischart zu Fischart, von Region zu Region und von Jahr zu Jahr verschieden. Zur Berechnung des Gleichgewichts ermitteln Fischereibiologen die notwendigen Daten, sie treffen Vorhersagen über die Bestands-, Nachwuchs- und Fangentwicklung aller wichtigen Fischbestände und leiten Fangempfehlungen ab. Wenn diese umgesetzt werden, besteht eine gute Chance auf eine dauerhafte „nachhaltige“ Nutzung der betreffenden Arten.

Allerdings ist die Umsetzung der Empfehlungen im Tagesgeschäft schwierig, und weltweit wird eine zunehmende Zahl von Beständen zu stark befischt. Die Welternährungsorganisation (FAO) schätzt, dass 28 Prozent der wichtigsten Populationen überfischt oder erschöpft sind, und dazu gehören wertvolle Speisefische wie Tun, Seehecht, Kabeljau oder der Plattfisch.

Der Kabeljau ist heute der am stärksten überfischte Bestand in der Nordsee. Von ehemals 250000 Tonnen erwachsener Kabeljaue leben dort heute noch rund 46000, das sind etwa 56 Millionen Tiere. Hinzu kommen etwa 120000 Tonnen jugendlicher Fische. Damit hat der Bestand ein historisches Minimum erreicht, und die kommerzielle Fischerei sollte nach Ansicht der Wissenschaft für einige Jahre vollkommen eingestellt werden.


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mare No. 51

No. 51August / September 2005

Von Daniel Pauly und Gerd Huboldt

Daniel Pauly ist Direktor des Fisheries Centre der Universität von British Columbia in Vancouver.

Gerd Huboldt ist Direktor der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg.

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Vita Daniel Pauly ist Direktor des Fisheries Centre der Universität von British Columbia in Vancouver.

Gerd Huboldt ist Direktor der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg.
Person Von Daniel Pauly und Gerd Huboldt
Vita Daniel Pauly ist Direktor des Fisheries Centre der Universität von British Columbia in Vancouver.

Gerd Huboldt ist Direktor der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg.
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