Preußens Gloria in Hawaii

Der König von Hawaii engagiert den preußischen Kapellmeister Berger. Er macht Märsche zur Lieblingsmusik in Honolulu

Für die Einwohner Honolulus, der lebhaften Hauptstadt des Königreichs Hawaii, bringt der Jahresanfang 1870 eine Überraschung. In den Docks hat die österreichische Fregatte SMS „Donau“ festgemacht, beschädigt von Stürmen. Das allein hätte die Hawaiianer nicht besonders bewegt. Schließlich werden die Sandwichinseln zu jeder Jahreszeit von Mannschaften angelaufen, denen der Pazifik übel mitgespielt hat.

Was die Fregatte „Donau“ dagegen interessant macht, ist ihre Bordkapelle. Regelmäßig erscheinen die Musiker der Triester k. u. k. Marine in der Stadt, um Platzkonzerte zu geben. Honolulus Bevölkerung nimmt das seltene Vergnügen begeistert auf. Die Klänge der Europäer mit Radetzky-Marsch und Strauß-Melodien sind eben doch etwas anderes als die müden Töne der heimischen King’s Band, die es hier einmal gab, von der man aber schon lange nichts mehr gehört hat.

Als die Musiker mit der „Donau“ abreisen, wird das musikalische Vakuum in Honolulu offensichtlich – ein Problem für König Kamehameha V. Das Volk ruft nach einer neuen, eigenen Kapelle. In seinem schlichten Palast unter Palmen wählt der als klug und gebildet geltende Herrscher, dessen Selbstverständnis keinen Unterschied zwischen sich und den europäischen Königskollegen sieht, die große Lösung. Er bewundert Preußen, auch den Erfolg der deutschsprachigen Entrepreneure der Sandwichinseln, den Kaufmann Hinrich Hackfeld, den Zuckerkönig Claus Spreckels, den Architekten Theodor Heuck. Er weiß auch, wie vielfältig Berlins Kultur ist – und dass ein preußisches Orchester den Militärkapellenwettbewerb in Paris gewonnen hat. So sehen erfolgreiche Bands aus.

Was dann folgt, ist amüsant und märchenhaft zugleich. Über Tausende Meilen hinweg lässt eine ungewöhnliche diplomatische Note zwei Kulturen miteinander verschmelzen. Kamehameha V. wendet sich von König zu König an Berlin und bittet um einen preußischen Kapellmeister. Soldaten drillen sollte er praktischerweise auch können. Doch Wilhelm I. hat derzeit andere Sorgen. Er muss sich gerade die ungeliebte deutsche Kaiserkrone aufsetzen. Nach einer Erinnerung aus Honolulu fällt das königlich-preußische Auge schließlich auf den begabten 27-jährigen Militärmusiker Heinrich Berger, geboren in Berlin, aufgewachsen in Coswig. Für das Zweite Garderegiment zu Fuß, dessen Kapelle bei den Militärs hoch angesehen ist, hatte man ihn eine vorbildliche musikalische Ausbildung durchlaufen lassen.

Gerade ist Berger als Feldwebel und Assistent des Kapellmeisters zu seinem Regiment zurückgekehrt, auch erste Kompositionen kann er vorweisen. Jetzt steht der Karriere in Berlin nichts mehr im Weg. Doch die Anfrage aus Hawaii wirft seine Planung um. Er ist der perfekte Kandidat. Berger wird kurzerhand als Leihgabe an König Kamehameha V. abgeordnet, versehen mit einem Vierjahresvertrag.

Er hat keine Ahnung, dass mit ihm auch Politik gemacht wird, denn dem Kriegsministerium kommt der neue Kontakt zu den Sandwichinseln gerade recht. Die wirtschaftliche Dominanz der USA im Pazifikraum wird langsam lästig. Mit amerikanischen Missionaren hatte es angefangen, jetzt mischen sich die USA sogar in die Politik des Königreichs Hawaii ein. Schon Cook hatte erkannt, wie leicht man die kanakas, wie sich die Hawaiianer in ihrer eigenen Sprache nennen, um den Finger wickeln kann. Auch wenn damals noch niemand weiß, was ein PR-Coup bedeutet – Bergers Entsendung nach Hawaii ist einer. Er entpuppt sich als Volltreffer.

Im Berliner Tempo legt der Kapellmeister los, und die Hawaiianer staunen. Kaum ist er am 2. Juni 1872 mit der „Mohongo“ über San Francisco in Honolulu gelandet und standesgemäß bei der königlichen Wache untergebracht, trifft er die King’s Band. Es ist ein Schock. Vor ihm sitzt ein trauriger Haufen lustloser Burschen, zum Teil erst 16, viele Schwererziehbare aus Honolulus Reformschule. Doch Berger sieht auch Talent.

In Windeseile ergänzt er die Band um weitere Mitglieder und beginnt mit Proben. Hawaiis Klima macht die Eingewöhnung leicht, er hätte es schlechter treffen können. Berger ist nicht gerade ein romantischer Schwärmer, aber der koloniale Alltag unter Sonne und Palmen lässt Berlins Kasernen und Wohnviertel eng erscheinen. Honolulus hübsche Häuser aus Holz und Muschelkalk, die Fülle der Blumen, das neue Publikum aus Kapitänen, Familien der Kaufleute, königlichen Beamten und einfachem Volk – es ist eine flamboyante Mischung. 


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mare No. 123

No. 123August / September 2017

Von Claus Beling

Seit Claus Beling, Jahrgang 1949, Literaturwissenschaftler und Fernsehproduzent, 1981 zum ersten Mal in Hawaii war, haben ihn die Inseln nicht mehr losgelassen. Auf den Kapellmeister wurde er aufmerksam, als er Mark Twains Reisebericht Post aus Hawaii las.

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Vita Seit Claus Beling, Jahrgang 1949, Literaturwissenschaftler und Fernsehproduzent, 1981 zum ersten Mal in Hawaii war, haben ihn die Inseln nicht mehr losgelassen. Auf den Kapellmeister wurde er aufmerksam, als er Mark Twains Reisebericht Post aus Hawaii las.
Person Von Claus Beling
Vita Seit Claus Beling, Jahrgang 1949, Literaturwissenschaftler und Fernsehproduzent, 1981 zum ersten Mal in Hawaii war, haben ihn die Inseln nicht mehr losgelassen. Auf den Kapellmeister wurde er aufmerksam, als er Mark Twains Reisebericht Post aus Hawaii las.
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