Pressmimose und Federmumie

Cooks Souvenirs brachten Europas Wissenschaftlern Freude

Da liegt er nun also, der Ou des Museums für Naturkunde der Humboldt-Universität in Berlin. Der etwa finkengroße, grünliche Vogel mit dem für ein Männchen typisch gelben Kopf und ausgezogenen Schnabel teilt sich mit einigen anderen hawaiischen Kleidervögeln eine der zahllosen Schubladen in einem der zahllosen Holzschränke der ornithologischen Sammlung. Seinen prägnanten Rufnamen hat Psittirostra psittacea von den Ureinwohnern seiner Heimat Hawaii, Übersetzungen seines wissenschaftlichen Namens („Papageienartiger Papageienschnäbler“) konnten sich dagegen nie durchsetzen.

Höchstens etwa 50 Ous schwirren heute noch durch den Bergwald Hawaiis, wenn überhaupt. Denn die letzte wissenschaftlich belegte Sichtung liegt fast 20 Jahre zurück. Eingeschleppte Raubtiere und die Vogelmalaria sowie die Zerstö-rung seines Lebensraums haben den Ou damit zu einer der am stärksten gefährdeten Vogelarten der Welt gemacht. Doch nicht nur deswegen ist der Vogel mit der Inventarnummer ZMB6946, den der Ornithologe Frank Steinheimer nun vorsichtig in die Hand nimmt, etwas Besonderes. „Dieses Exemplar ging Ende Januar, Anfang Februar 1779 einem der wissenschaftlichen Stoßtrupps auf den Leim, die während der dritten Expedition von James Cook von der Kealakekua-Bucht aus in die Bergregionen Hawaiis vordrangen.“

Am Morgen des 24. Januar 1779 flattert ZMB6946 auf der Suche nach Früchten und Samen noch quicklebendig durch das Unterholz an den Hängen des Mauna Loa auf Hawaii. Denn erst an diesem Tag brechen David Samwell, der walisische Schiffsarzt der „Discovery“, und zwei weitere Gentlemen zur ersten von drei Erkundungstouren in den Ou-Lebensraum auf. Samwell berichtet später von Bergwäldern, die gefüllt sind von „Vögeln des wunderbarsten Gefieders und süßesten Gesangs“. Die Einheimischen, berichtet Sam- well, fangen die Tiere mit Hilfe von Leimruten und tauschen sie bei den Briten gegen Glasperlen oder Eisennägel ein.

Dass die 227 Jahre währende wissenschaftliche Karriere des Berliner Ous ihren Anfang tatsächlich an einem dieser Tage zwischen dem 24. Januar und dem definitiven Ende aller Sammelaktivität am 14. Februar 1779, Cooks Todestag, nimmt, musste Frank Steinheimer allerdings erst in detektivischer Kleinarbeit rekonstruie-ren. Denn das Tier ist zwar bereits seit 1819 im Besitz des Berliner Museums, doch für die Zeit davor fehlten zunächst direkte Belege. Einen entscheidenden Hinweis erhielt Steinheimer aus der genauen Analyse des Präparationsstils mit Hilfe von Röntgenaufnahmen. Darauf war zu erkennen, dass es sich bei dem Präparat nicht wie sonst üblich um einen ausgestopften Federbalg handelt. Dem toten Vogel wurden vielmehr nur die inneren Organe entnommen und die gewünschte Körperhaltung durch Drähte und Metallstifte in Beinen, Flügel und Hals fixiert, schließlich wanderte er in einen Ofen. Das Ergebnis ist eine Trockenmumie – nicht gerade die neueste Methode in der Taxidermie. „Das getrocknete Muskelgewebe bietet jede Menge Nahrung für Schädlinge, weshalb es wiederum mit Arsenlauge getränkt wurde“, erklärt Steinheimer. „Aus diesem Grund wird die Methode auch schon lange nicht mehr angewendet.“

Seit Ende des 18. Jahrhunderts, um genau zu sein. Deshalb kam für den Ursprung des Berliner Ous neben Cooks dritter Reise eigentlich nur noch die britische Expedition der Schiffe „Queen Charlotte“ und „King George“ im Jahr 1786 in Frage. Für die ältere Herkunft spricht aber die fast identische Präparationsart eines weiteren Ous im Besitz des Naturhistorischen Museums in Wien, dessen Herkunft von Cooks dritter Reise gesichert ist. Steinheimer durchforstete nun alle erhaltenen An- und Verkaufslisten und Kataloge und konnte die verschlungenen Wege seines Ous schließlich rekonstruieren.

Wie ein großer Teil aller Cookschen Mitbringsel biologischer und ethnografischer Art gelangt der Ou 1781 in die Sammlung von Sir Ashton Lever. Der Sohn einer ursprünglich nur geldadeligen Bürgerfamilie aus Manchester pflegt schon als junger Mann einen veritablen Ornithologietick. Seine ab 1774 in London ausgestellte Sammlung toter und lebendiger Vögel, die zunehmend auch andere Kuriositäten naturkundlicher und ethnografischer Art enthält, erregt großes Aufsehen. An Cooks Raritäten kommt Sir Ashton dank freundschaftlicher Beziehungen zu Sir John Montagu. Dem vierten Earl of Sandwich wird nicht nur die Erfindung der gleichnamigen Butterstulle zugeschrieben, seit 1771 leitet er auch als Erster Seelord die Admiralität, der offiziell sämtliche Präparate, Kunstgegenstände und Aufzeichnungen der Cookschen Reisen gehören. Allerdings ist das Interesse der Militärs an Vogelmumien und gepressten Blättern wohl eher gering. Jedenfalls bringen Mitreisende viele der natur- und völkerkundlichen Objekte ungehindert von Bord; den Rest verteilt Lord Sandwich an gute Bekannte wie Sir Ashton.

Der Unterhalt seines übervollen Privatmuseums, für das er vergeblich Sponsoren sucht, ruiniert Lever jedoch innerhalb weniger Jahre, und so geht das gesamte Museum Leverianum 1784 als Hauptpreis einer von Lever initiierten Lotterie an einen gewissen James Parkinson. Auch dessen naturkundliches Kuriositätenkabinett, das er in London, etwas abseits südlich der Themse eröffnet, hält sich nicht lange. 1806 lässt Parkinson die knapp 30000 Exponate versteigern.

In den Auktionslisten von damals werden die Ous wieder aktenkundlich. ZMB6946 geht zusammen mit einem anderen Männchen für ein Pfund und zwölf Schilling an einen Abgesandten des Naturhistorischen Museums Wien, der es sofort an den Briten William Bullock weiterverkauft. Als 1819 auch dessen Sammlung versteigert wird, bekommt schließlich Martin Lichtenstein bei zwölf Pfund und einem Schilling den Zuschlag und bringt den Ou an das Berliner Museum, dem er als Direktor vorsteht. Hier findet die lange Reise eines toten Vogels ein vorläufiges Ende.

Steinheimer, der seine Rechercheergebnisse erst Anfang dieses Jahres publiziert hat, kennt sich aus mit alten Vögeln. Neben der Vogelwelt Südostasiens ist es vor allem die Geschichte ornithologischer Sammlungen, die es dem jungen Forscher angetan hat. Um an seiner Doktorarbeit über historische Vogelsammlungen arbeiten zu können, kündigte er sogar eine feste Anstellung am Naturkundemuseum in London. An den großen Museen von London, Berlin oder New York findet er aber auch als freiberuflicher Vogelkundler genug Aufträge, wenn es gilt, alte Sammlungsbestände zu ordnen.

Das akribische Federlesen an historischen Vogelpräparaten ist keine schrullige Leidenschaft, betont Steinheimer. „Sie liefern Informationen über frühere Verbreitungsgebiete und Veränderungen in Farbe und Körperform einer Art. Das kann auch für heutige Schutzbemühungen von großem Wert sein.“ Es sei aber auch faszinierend, mit Stücken wie ZMB6946 ein Stück Wissenschaftsgeschichte in den Händen halten zu können, das eine direkte Verbindung zu den Pionieren der naturkundlichen Erforschung der Erde herstellt.

Für David Samwell, den Schiffsarzt, ist das Sammeln von Tieren, Pflanzen und Kunstgegenständen allerdings wohl nur ein Hobby, wie es sich für aufgeklärte Herrschaften des ausgehenden 18. Jahrhunderts ziemt. Eine Begleitung durch hochrangige Wissenschaftler verbat sich Kapi- tän James Cook auf dieser seiner dritten und letzten Fahrt. Deren Allüren hatten ihn wohl schon genug Nerven gekostet. Da war zunächst Joseph Banks, der ihn auf der ersten Reise von 1768 bis 1771 begleitete. Das Botanisieren war die große Leidenschaft des bei Abreise erst 25 Jahre jungen Herrn aus bestem Haus, der sich zusammen mit acht Angestellten auf eigene Kosten eingeschifft hatte.

Die naturwissenschaftliche Ausbeute Banks’ während der ersten Cookschen Reise war enorm: Gemeinsam mit dem Schweden Daniel Carl Solander (ein Lieblingsschüler Carl von Linnés und einer der „20 Apostel“, die der Begründer der modernen biologischen Systematik zur Suche nach neuen Pflanzen und Tieren in alle Welt aussandte) sammelte und beschrieb Banks weit mehr als 3000 bis dato unbekannte Pflanzenarten, darunter Eukalyptus, Akazie und Mimose.


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mare No. 55

No. 55April / Mai 2006

Von Georg Rüschemeyer

Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, Biologe und Wissenschaftsjournalist in Leipzig, schreibt regelmäßig für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Seine Liebe zu historischen Sammlungen entdeckte er bei Recherchen über Fischgebisse im Frankfurter Senckenberg-Museum mit seinen Beständen aus dem frühen 19. Jahrhundert.

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Vita Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, Biologe und Wissenschaftsjournalist in Leipzig, schreibt regelmäßig für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Seine Liebe zu historischen Sammlungen entdeckte er bei Recherchen über Fischgebisse im Frankfurter Senckenberg-Museum mit seinen Beständen aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Person Von Georg Rüschemeyer
Vita Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, Biologe und Wissenschaftsjournalist in Leipzig, schreibt regelmäßig für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Seine Liebe zu historischen Sammlungen entdeckte er bei Recherchen über Fischgebisse im Frankfurter Senckenberg-Museum mit seinen Beständen aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Person Von Georg Rüschemeyer