Plüsch-Tech

In Nippon hat man keine Scheu vor Robotern. In Altersheimen etwa kommt das Modell Robbe zum Einsatz – als Kuschelmaschine

Der süßeste Roboter Japans liegt im Brutkasten. Er hat einen Schnuller im Maul, und wenn man die Hand durch die runden Löcher in der Plexiglaswand steckt und seinen Körper berührt, wackelt er und fiept. Der süßeste Roboter Japans ist eine Robbe, eine Babyrobbe, genauer gesagt, 57 Zentimeter lang, 2,7 Kilogramm schwer, genauso weiß und flauschig wie sein kanadisches Vorbild in der Natur. Nur viel hygienischer und geduldiger. Er kommt serienmäßig mit antibakteriellem Fell, und er hat den wissenschaftlichen Streicheltest bestanden. 100 000 Mal wurden die Sensoren stimuliert, um ihre Zuverlässigkeit und Haltbarkeit zu prüfen. Jetzt hat es Paro in das National Museum of Emerging Science and Innovation in Tokio geschafft, Abteilung „Zukunft“.

Alle Roboter, die hier versammelt sind, sollen dem Menschen dienen; sie sollen ihn retten, unterhalten oder entlasten. Paro aber ist die Maschine fürs Gefühl, besser noch: die Maschine mit Gefühl. Das zumindest versprechen die Hersteller. Glücklich sei die Robbe, wenn man sie tätschele, böse, wenn man sie schlage. „Herzerwärmende Kommunikation mit einem Roboter“ steht auf der Tafel vor dem Schaukasten. Wenn man mit ihm spricht, dreht Paro den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kommt. Wenn man seine Schnauze bedeckt, schließt er die Augen. Er kann, heißt es, sich an seinen Namen erinnern. An den Schnurrbarthaaren ist er besonders empfindlich. Durch seinen Schnuller fließt Strom.

Sein Entwickler, Takanori Shibata, hat eigens die Robbenform gewählt, denn Seehunde kennt der Mensch zwar, aber nicht so genau. Wichtig ist das, weil beim direkten Vergleich zwischen Original und Imitat immer der Roboter verliert. Paro, der personal robot, aber soll Haustier sein, wo Haustiere verboten sind, in Krankenhäusern und Altenheimen. Er soll entspannen und anregen zugleich, ohne zu speicheln und stinken. Tiere, sagen Studien, haben positive psychologische Effekte auf Senioren. Paro, sagen Urintests, hat die auch. Er macht Greise stressresistenter. Deshalb gibt es jetzt Plüsch-Tech zum Anfassen.

Gleich, wenn Tamiko Nakatani morgens den Gemeinschaftssaal des Kirara-Pflegeheims in Nanto, einer Gemeinde auf der Hauptinsel Honshu, betritt, holt sie den Roboter aus seinem Haus. Er wohnt in einer Holzkiste und heißt Shiro-chan, Weißchen. Den ganzen Tag hält Nakatani den Seehund im Arm, seine Schnauze ruht auf ihrer Brust. Manchmal füttert sie ihn, Fisch isst er gerne, sagt sie. Er sei wie ein eigenes Kind, die ganze Zeit schaue er sie an. Abends muss sie ihn abgeben, leider. Sie vermisse ihn sehr in der Nacht. „Manchmal ist Shiro-chan traurig, weil er mich sucht.“ Sie beugt sich über ihn. „Heute sind hier so viele Gäste“, murmelt sie, „deswegen darfst du nicht weinen.“ Besuch bekommt Tamiko Nakatani selten.

Zwei große Fernseher laufen im Saal, die Menschen sitzen stumm an Tischen. Manche hat das Alter in den Rollstuhl gedrückt, die Jahrzehnte im Reisfeld haben vielen den Rücken gekrümmt. Sie starren, dösen, dämmern. Der Roboter holt sie aus ihrer Versunkenheit.
Eine alte Frau: „Shiro-chan. Shiro-chan!“
Der Roboter bleibt regungslos.
Eine Pflegerin: „Mach mal die Augen auf!“
Die alte Frau: „Heute ist er aber komisch.“
Schweigen. Der Heimleiter kommt vorbei und fährt der Robbe ins Hinterteil. Tief im Innern sitzt der Schalter, sehen kann man ihn nicht, nur fühlen.

Die Schwestern verteilen eine Runde Yakult mit Strohhalm. Der Saal nuckelt synchron. Ein vergnügter alter Herr klaut seiner Sitznachbarin den Drink. Macht er das immer? „Er ist jeden Tag so frei“, sagt Shigeru Fujisawa. Sie ist auch ohne Gesundheitstrank 100 Jahre alt geworden, außerdem kennt man sich von früher. Der Yakult-Klauer war Postbote in ihrem Heimatdorf. „Hast du eigentlich bis 80 Briefe verteilt?“ „Nur bis 75.“ „Du musst gute Beine haben.“ Schweigen. Gerne würde der 95-Jährige einmal mit der 100-Jährigen baden. „Aber zeitgleich“, sagt der Yakult-Klauer, „dürfen wir ja nicht.“ Schweigen.

Drüben, im Tageszentrum, bürsten sie die Robbe jeden Tag. Nur ein ehemaliger Lkw-Fahrer ignoriert das Tier. „Ich mache das nicht“, sagt er, „ich bin ja hier der Jüngste.“ Gerade einmal 79 Jahre ist er alt. Allein 36 Bewohner des Seniorenheims sind über 90, keine andere Altersgruppe ist so stark vertreten.
Geben heute mehr Familien ihre Alten ins Heim als früher?


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mare No. 58

No. 58Oktober / November 2006

Von Sandra Schulz und Theodor Barth

Sandra Schulz, Jahrgang 1975, mare-Redakteurin für Politik und Gesellschaft, will auch nach der Recherche lieber einen lebendigen Hund als eine keimfreie Maschine.

Der Stuttgarter Fotograf Theodor Barth, Jahrgang 1964, war überrascht, wie intensiv sich die Pflegerinnen um die Senioren kümmern.

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Vita Sandra Schulz, Jahrgang 1975, mare-Redakteurin für Politik und Gesellschaft, will auch nach der Recherche lieber einen lebendigen Hund als eine keimfreie Maschine.

Der Stuttgarter Fotograf Theodor Barth, Jahrgang 1964, war überrascht, wie intensiv sich die Pflegerinnen um die Senioren kümmern.
Person Von Sandra Schulz und Theodor Barth
Vita Sandra Schulz, Jahrgang 1975, mare-Redakteurin für Politik und Gesellschaft, will auch nach der Recherche lieber einen lebendigen Hund als eine keimfreie Maschine.

Der Stuttgarter Fotograf Theodor Barth, Jahrgang 1964, war überrascht, wie intensiv sich die Pflegerinnen um die Senioren kümmern.
Person Von Sandra Schulz und Theodor Barth