Plattenbau für Millionäre

Dänemark produziert die wohl teuerste Fischplatte der Welt, aus acht Kilogramm Silber in 600 Stunden geschmiedet

Was tut ein Mensch, der sich auf sein Stilbewusstsein einiges einbildet, der Designklassiker sammelt, mindestens zwei Sportwagen und deutlich mehr Immobilien besitzt, als er bewohnen kann? Der es gewohnt ist, die guten Dinge des Lebens zu genießen, der gern stilgerecht speist, nicht nur im Restaurant, sondern auch zu Hause? Vermutlich kauft er sich eine Georg-Jensen-Fischplatte für 100 200 Euro.

Man mag einwenden, dass es wahrscheinlich Dinge gibt, die wichtiger sind als eine Fischplatte, die sich nur relativ wenige Menschen leisten können. Dass man für die gleiche Summe bereits 755 000 Fischstäbchen kaufen könnte. Doch solche Einwände sind kleingeistig und gänzlich unbegründet. In einer Welt, die zunehmend unübersichtlicher wird, in der die Politik mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt, wächst das Bedürfnis nach Orientierung und bleibenden Werten. Und ist es da nicht schön und in einem tieferen Sinn beruhigend, wenn eine edle silberne Fischplatte heute noch in genau derselben Weise gefertigt wird wie vor einem halben Jahrhundert? Vielleicht ist es kein Zufall, dass sie aus einem Land stammt, dessen Menschen Umfragen zufolge die glücklichsten der Welt sind.

Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass sie, wo immer sie sich in ihrem Land gerade aufhalten, nie weiter als 52 Kilometer vom Meer entfernt sind. Und das ist bekanntlich ein Ort, der gern verführt zu einigen grundsätzlichen Gedanken über die Zukunft, die Liebe, den Sinn des Lebens, gepflegtes Essen, insbesondere leckere Fischgerichte. Man kennt sie doch, diese drängende Frage nach einem langen Strandtag: „Liebling, wie servieren wir heute Abend den Fisch?“

Die Antwort verbirgt sich in einem dreistöckigen Klinkerbau in Kopenhagen, dem Hauptsitz von Georg Jensen, der eine Atmosphäre aufwendiger Eleganz verströmt. Die angestellten Frauen sind apart und schön, auch wenn sie sich nicht schminken, ganz so, als hätten sie die minimalistische Linie der Firmenphilosophie vollständig verinnerlicht. Aber auch die Männer auf den Fluren wirken wie aus einem Werbefilm, der von gesunden Menschen handelt, die sich gut gelaunt und aufgeräumt ganz der Entwicklung von Produkten widmen, die zwar auch nicht ein Leben nach dem Tod versprechen können, aber bis dahin doch immerhin ein recht komfortables Dasein.

Elton John kauft viel bei Georg Jensen, Karl Lagerfeld auch und natürlich die königliche Familie. Die Hälfte der Kunden sind Asiaten, mit 115 Millionen Euro Umsatz im Jahr hat sich Georg Jensen als Luxusmarke etabliert und ist heute einer der größten Juweliere und Uhrenhersteller weltweit. Wenn es aus der Firmenleitung heißt, man verfüge nicht über eine Übersicht ihrer Fischplattenkunden, wirkt das wie ein Zeichen von Diskretion. Vielleicht ist es aber einfach so. Viele Kunden können es ohnehin nicht sein. Denn es werden ja nur zwei Fischplatten im Jahr produziert.

Ein bisschen ist es beruhigend, dass hier, in der umgebauten ehemaligen Porzellanfabrik, wenigstens die Schmiede aussehen, wie man sich einen Schmied vorstellt: Michael Birkefeldt, 40, trägt ein Jeanshemd und Sandalen, hat einen etwas zotteligen Vollbart und ist gerade in einem Zustand sympathischer Verwirrtheit. Das mag daran liegen, dass er sich bereits seit 400 Stunden mit nichts anderem als der Fischplatte Modell „No. 1026“ beschäftigt und noch etwa 200 Stunden vor ihm liegen. Es ist seine erste Fischplatte, die letzten zehn Jahre hat er ausschließlich Silberschalen gebaut, aber es ist nicht auszuschließen, dass er die nächsten zehn Jahre nur Fischplatten herstellt.

„Geduld ist das wichtigste Werkzeug“, sagt der Silberschmied, der schon in dritter Generation in der Firma arbeitet und im Moment als einziger Silberschmied mit der Fischplatte betraut ist, was eine erhebliche Auszeichnung darstellt. Nur die Besten seiner Zunft sind der Herausforderung gewachsen – „die Form ist sehr anspruchsvoll“. Zunächst wird sie auf zwei schlichten Blechen aus Sterlingsilber – je ein Meter mal 40 Zentimeter, 1,25 Millimeter dick – aufgezeichnet und ausgeschnitten. In einen Schraubstock spannt Birkefeldt etwas ein, das wie ein Meißel aussieht, aber das Gegenstück ist, das von innen an das Silber gedrückt wird, während von außen die Hammerschläge niederprasseln. Mit etwa 20 Spezialhämmern rückt Birkefeldt dem Edelmetall zu Leibe. Durch das Hämmern wird das Silber weich und formbar, immer wieder setzt er Schablonen an, um die Wölbung zu überprüfen. Die meiste Zeit besteht aus Hämmern. „Man muss das Hämmern schon lieben“, sagt Birkefeldt, dem ähnlich wie dem Firmengründer nachgesagt wird, er habe das Silber in der Seele und den Hammerschlag im Puls.

In der Mitte des Raumes steht die Büste des legendären Georg Jensen (1866–1935). Er war als Bildhauer gescheitert, als er sich mit 38 Jahren wieder dem widmete, was er einst an der Kopenhagener Kunstakademie gelernt hatte: Er wurde Silberschmied, sehr erfolgreich, ein Klassiker schon zu Lebzeiten, „der größte Silberschmied der letzten drei Jahrhunderte“, wie ihn die „New York Times“ rühmte. Zunächst etablierte er einen bis dahin unüblichen Stil: Statt das Silber dünn auszuwalzen, ließ er es massiv, verzichtete darauf, es zu polieren, und bewahrte die Hammerschläge als sichtbares Zeichen der Handwerkskunst. Bei den sorgfältig gearbeiteten Dekors arbeitete er mit dem Mittel der künstlichen Oxidation, schwärzte tiefer liegende Flächen, um die Plastizität zu erhöhen. Im Stil der Neuen Sachlichkeit, schlicht und elegant, verschwanden später die anfangs üppigen Ornamente.

1954, als Höhepunkt der Zusammenarbeit mit dem Bildhauer Henning Koppel, der so etwas ist wie der Charles Eames der Silberwelt, entstand das „Dorschmaul“: eine ovale Fischplatte mit Deckel, die ein wenig an Moby Dick erinnert, ein Meisterstück skandinavischer Silberkultur.


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mare No. 64

No. 64Oktober / November 2007

Von Andreas Wenderoth

Im Geschirrschrank des Berliner Reporters und Junggesellen Andreas Wenderoth standen bisher nur wenige Teller. Sein Ausflug in die Kopenhagener Luxuswelt eröffnete ihm völlig neue Lebens- und Essperspektiven. „Wie konnte ich nur ohne Fischplatte leben?“

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Vita Im Geschirrschrank des Berliner Reporters und Junggesellen Andreas Wenderoth standen bisher nur wenige Teller. Sein Ausflug in die Kopenhagener Luxuswelt eröffnete ihm völlig neue Lebens- und Essperspektiven. „Wie konnte ich nur ohne Fischplatte leben?“
Person Von Andreas Wenderoth
Vita Im Geschirrschrank des Berliner Reporters und Junggesellen Andreas Wenderoth standen bisher nur wenige Teller. Sein Ausflug in die Kopenhagener Luxuswelt eröffnete ihm völlig neue Lebens- und Essperspektiven. „Wie konnte ich nur ohne Fischplatte leben?“
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