Perlenkinder

Die Sklaverei ist abgeschafft? Nicht auf Sumatra. Dort kaufen die Fischer Kinder für die Arbeit auf Pfahlinseln

In seinem Traum hatte die Schlange ein schönes Gesicht. Ihr Leib war noch immer Gefahr, ein gelb-schwarzer Alarm, dick wie die Seile an den Netzen. Doch der Kopf lächelte mit dem Antlitz einer freundlichen Frau. Irgendeiner Frau. Sie sprach zu ihm, er verstand ihre Worte nicht, doch er spürte, dass sie gut war. Er ließ zu, dass sich die Schlange über seinen Körper wand, ein warmes Streicheln, bis nah an seine Augen. Sie lächelte noch immer, sie sah ihn an. Dann biss sie zu.

„He, lieg still“, knurrt Misno, nimmt seinen Arm von Haris’ Brust, dreht sich weg und schnarcht schon wieder. Na was, denkt Haris, musst du denn auch jede Nacht so dicht herankriechen? Haris steht auf, rechtzeitig genug, um Misno auszuweichen, der sich schon wieder näher wälzt.

Als ob wir noch Kinder wären, denkt Haris. Morgen, denkt Haris, nur noch diese Nacht.

Haris blinzelt in das Dämmer der Hütte. Aus dem Verschlag neben den Wassertanks baumelt das zu kurze Bein des schlafenden Vormanns. Noch immer ist ihm dieser Chinese nicht geheuer, raucht nicht, trinkt und betet anders als sie: Stellt kleine Kerzen vor den Verschlag, denen er, Unverständliches murmelnd, Essen und Schnaps in teuren Schälchen serviert. Ein komischer Gott, den man füttern muss.

Drüben, neben dem Generator, spielen sie Karten. Mitternacht muss längst vorüber sein. Natürlich ist Bambang dabei, und Bakinda, der ihn weiter ausnehmen wird. Einen halben Monatslohn hat er dem vier Jahre Jüngeren schon abgeknöpft, er wird ihn behalten, so viel steht fest. Denn Bakinda will nach Malaysia, bald, wenn er 18 geworden ist und in der Fremde eine Arbeitserlaubnis kriegt. Angeblich hat er bereits einen Vertrag mit einer Schraubenfirma. Und das Geld für die Überfahrt, denkt Haris, holst du dir von Bambang.

„Krakenblut geht am besten“, flüstert Bakinda, „Krakenblut verwischt nicht unter der Haut. Ich setze noch mal zehn.“ Haris schüttelt den Kopf, seit Tagen reden sie nur noch davon, sich ein Bild auf den Arm zu ritzen. Seit Tagen auch schnitzen sie an der Tunfischgräte, die ihre Nadel sein soll. Jetzt haben sie sogar Misno mit ihren Kindereien angesteckt.

Bambang war erst zwei Wochen nach ihm, Haris, auf dem Jermal angekommen. Zusammen mit Misno, beide aus dem gleichen Dorf irgendwo aus der Mitte Sumatras. Zwei Schmalhänse mit großen Augen, die noch größer geworden waren, nachdem das Boot am Jermal festgemacht hatte. „Wo ist das Schiff?“, hatte Bambang gefragt.

Rund 300 Jermals stehen vor der Nordküste Sumatras, die meisten in der Straße von Malakka, 20 bis 50 Kilometer vom Ufer entfernt. Dort, wo günstige Wasser reichlich Fische in die Netze spülen. Ein Jermal ist ein doppeltes Rechteck, jegliches nicht größer als die Hälfte eines Tennisplatzes. Es sind Plattformen im Meer, auf in kaum zehn Meter Tiefe eingerammte Pfähle gestellt, an deren Unterseiten Netze hängen. Eine Hütte verbindet die Gevierte – Platz für die achtköpfige Besatzung, den Generator, die Wasserpumpe, für Netze, Kessel und den Fang. Über 3000 Menschen arbeiten auf den Plattformen, laut ILO (International Labour Organization), einer UN-Organisation, sind die Hälfte davon Kinder unter 18 Jahren. Die Zahl der Kinderarbeiter in Indonesien beträgt über zwei Millionen. Inoffiziell sollen es zehn Millionen sein.

„Wenn ich klein und arm wäre“, sagt der Gouverneur von Nordsumatra, „dann würde ich auch zum Jermal gehen. Ich kann schwimmen und klettern.“ Rizal Nurdin ist ein leiser General im Armani-Anzug, mit müdem Blick sieht er sein Gegenüber an. Die Jermals. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe derzeit. In den Ma-schinenbaufabriken seiner Hauptstadt streiken die Frauen. Und im nördlichsten Distrikt, in Aceh, der Region mit den größten Bodenschätzen, wollen die Separatisten keine Ruhe geben.

Also gut, die Plattformen mit den Kindern darauf. „Tatsächlich“, entscheidet der Gouverneur, „es ist die gesündeste Art der Kinderarbeit, meiner Meinung nach.“ Viel gesünder und vor allem besser bezahlt, als etwa Tabak zu pflanzen. Oder das Schuften auf den Plantagen der Gummibaumbesitzer, die Fron in den Palmölfabriken. Erst recht gesünder als das Schrottsammeln auf den ungezählten Müllkippen der Städte. Das ist kein Zynismus, sagt der Gouverneur. Es ist die Realität. Sein Vorgänger im Amt hat mit dieser Wirklichkeit noch sorglos leben können.


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mare No. 34

No. 34Oktober / November 2002

Von Maik Brandenburg und Francesco Zizola

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Politik und Gesellschaft. Am meisten beeindruckte ihn die Fröhlichkeit der Kinder, selbst nach zwölfstündiger Arbeit gab es kein böses Wort gegen die ständig im Weg stehenden Fremden. Und nie aßen Letztere schmackhaftere Meeresfrüchte als jene feuerscharfen Curryshrimps des 17-jährigen Kochs Sularso.

Das Thema des italienischen Fotografen Francesco Zizola, Jahrgang 1962, sind Kinder. Zizola, Mitglied der Agentur Magnum und mehrfacher Gewinner des World Press Award, fotografiert seit Jahren rund um den Globus die Ausbeutung, das Elend, aber auch die Kraft und Widerstandsfähigkeit der Jüngsten.

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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Politik und Gesellschaft. Am meisten beeindruckte ihn die Fröhlichkeit der Kinder, selbst nach zwölfstündiger Arbeit gab es kein böses Wort gegen die ständig im Weg stehenden Fremden. Und nie aßen Letztere schmackhaftere Meeresfrüchte als jene feuerscharfen Curryshrimps des 17-jährigen Kochs Sularso.

Das Thema des italienischen Fotografen Francesco Zizola, Jahrgang 1962, sind Kinder. Zizola, Mitglied der Agentur Magnum und mehrfacher Gewinner des World Press Award, fotografiert seit Jahren rund um den Globus die Ausbeutung, das Elend, aber auch die Kraft und Widerstandsfähigkeit der Jüngsten.
Person Von Maik Brandenburg und Francesco Zizola
Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Politik und Gesellschaft. Am meisten beeindruckte ihn die Fröhlichkeit der Kinder, selbst nach zwölfstündiger Arbeit gab es kein böses Wort gegen die ständig im Weg stehenden Fremden. Und nie aßen Letztere schmackhaftere Meeresfrüchte als jene feuerscharfen Curryshrimps des 17-jährigen Kochs Sularso.

Das Thema des italienischen Fotografen Francesco Zizola, Jahrgang 1962, sind Kinder. Zizola, Mitglied der Agentur Magnum und mehrfacher Gewinner des World Press Award, fotografiert seit Jahren rund um den Globus die Ausbeutung, das Elend, aber auch die Kraft und Widerstandsfähigkeit der Jüngsten.
Person Von Maik Brandenburg und Francesco Zizola