32° 17' 173'' Nord und 117° 2' 268'' West ist ein Ort des Untergangs. Hier ging der einst größte Luxusliner der Welt unter, verwüsteten genetisch mutierte Haie eine wissenschaftliche Unterwasserstation, versank das amerikanische Kriegsschiff USS „Oklahoma“ im japanischen Bombenhagel.
„Hier, schau“, sagt Fernando Larios Zepeda, 73, und zeigt auf vergilbte Schwarzweiß-Fotos in einem alten National-Geographic-Magazin: lodernde Flammen, schwelende Rauchsäulen, brennende Leichen, Schutt und Asche – Pearl Harbor, Hawaii, nach dem japanischen Bombenhagel 1944. „So was haben die hier auch gemacht!“ Hier in Popotla Puerto, einem winzigen Fischer- und Ausflugsort auf der mexikanischen Halbinsel Baja California.
Fernando Zepeda, Chef der örtlichen Vereinigung der Fischer, hockt im „Mariscos Mike’s“, einem kleinen Fischrestaurant. Nur einen Steinwurf entfernt erhebt sich ein glasscherbenbewehrter Betonwall. Dahinter liegen die „Fox Studios Baja“: das größte Wasser-Filmstudio der Welt und eine gigantische Simulationsmaschinerie für die Dramen des Meeres.
Egal ob mythische Bedrohung (John Houstons „Moby Dick“), lauernde Gefahr unter der glitzernden Oberfläche des Meeres (Steven Spielbergs „Der weiße Hai“) oder schlicht unbändige Gewalt der Natur (Wolfgang Petersens „Der Sturm“) – das Meer taucht im Film fast immer als unbändiges Wesen auf, das der Zivilisation mit aller Macht trotzt.
Bei dem Versuch, die Gefahren der See auf Zelluloid zu bannen, schlägt die Natur allerdings gerne mit ihren urtümlichen Kräften zurück. Kevin Costner zum Beispiel erlebte bei den Dreharbeiten zu „Waterworld“ bei Hawaii sein Waterloo, als raue See immer wieder die Filmsets zerstörte und dem japanischen Eigner von Universal einen 60-Millionen-Dollar-Verlust einbrachte.
„Drehe niemals auf dem Wasser“, lautet daher eine der Grundregeln Hollywoods. Um bei der Inszenierung des „Titanic“-Untergangs nicht selber unterzugehen, ließ Regisseur James Cameron deshalb im Norden Mexikos eigens ein riesiges Wasserbecken ausheben.
Während er selbst an Bord des russischen Tiefseebootes „MIR“ im Nordatlantik zum Wrack der echten „Titanic“ vorstieß, um bereits die Einstiegsszene des Films zu drehen, drangen Hollywoods Baggerfahrzeuge Juni 1996 in die Erde der Baja California vor.
Innerhalb von nur 100 Tagen stampfte man ein komplettes Filmstudio aus dem Boden und sprengte dabei ein 180 mal 180 Meter großes Loch in die Erde, um es anschließend mit 60 Millionen Liter Salzwasser zu fluten – ein künstliches Meer sozusagen. Und eine sichere Bühne, auf der Technik die Natur kontrolliert zur Katastrophe führt.
Über Wochen ließ man vor den Kameralinsen das im Maßstab vier zu fünf nachgebaute 230 Meter lange und dabei nur 500 Tonnen schwere Modell des Luxusliners „Titanic“ hydraulisch stufenweise ins Becken sinken – und zwar vor dem Panorama des Pazifiks. Denn indem man das Becken direkt am Ozean platziert hatte, gewann man die wirkliche See geschickt als Kulisse für den Film hinzu. Das Studio ist so konstruiert, dass aus bestimmten Kamerapositionen künstliches und echtes Meer scheinbar ineinander übergehen – sich die Grenze zwischen Natur und Technik im Auge des Betrachters verliert.
Für Fernando Zepeda stellt das Studio eine Bedrohung für das Meer dar. Er kramt Fotos von Baggern am Strand oder Farbresten auf den Küstenfelsen hervor. Das abgepumpte Wasser des Tanks habe die Flora und Fauna zerstört. „Die Japaner haben unseren Fisch zurückgeschickt, weil er nach Chlor schmeckte!“, klagt Zepeda.
Eine Studie der Universität von Baja California, die die Kontamination der Küstengewässer beweisen sollte, kam zu einem anderen Schluss – allerdings wurde sie auch durch das Studio finanziert.
„Hier in Mexiko kann man eben alles kaufen“, schimpft Zepeda. „Das Ergebnis: Von den 1300 Fischern in Popotla Puerto mussten 552 das Fischen aufgeben!“ Doch vor Gericht hat die Gewerkschaft der Fischer immer verloren. Jorge Hernandez, 24, der in Popotla Puerto lebt und als Schweißer im Studio arbeitet, hält dagegen: „Jeder Frachter verdreckt das Meer mehr, wenn er sein Öl ablässt!“ „Und was ist damit?“, mischt sich Mike ein und zeigt über die Köpfe der Arbeiter, die am Ende der Bar ihre Fischsuppe löffeln, auf die Risse in der Wand: „Die waren vor der Sprengung nicht da. Zehntausend Tonnen Dynamit haben sie beim Bau in die Luft gejagt.“ Ein klarer Interessenkonflikt: Was dem einen als Bedrohung seiner Lebensgrundlage erscheint, bietet dem anderen einen gut bezahlten Job.
„Das Wasser fließt absolut sauber in den Ozean zurück“, behauptet jedenfalls Studiochef Charly Arneson, 49, der sich bei „Titanic“ um die gesammte physikalische Betriebseinrichtung kümmerte. Der Meeresbiologe in Jeans und Flanellhemd gebietet über 6500 Quadratmeter Bühnen- und 8300 Quadratmeter Werkstattfläche: Es ist das erste Studio, das einer der Hollywood-Giganten seit den dreißiger Jahren gebaut hat.
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Roland Brockmann, Jahrgang 1961, ist freier Journalist und lebt in Berlin. Zuletzt schrieb er in mare No. 24 über ein Hummerrestaurant auf Sansibar
Vita | Roland Brockmann, Jahrgang 1961, ist freier Journalist und lebt in Berlin. Zuletzt schrieb er in mare No. 24 über ein Hummerrestaurant auf Sansibar |
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Person | Von Roland Brockmann |
Vita | Roland Brockmann, Jahrgang 1961, ist freier Journalist und lebt in Berlin. Zuletzt schrieb er in mare No. 24 über ein Hummerrestaurant auf Sansibar |
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