Passage nach Down Under

Zehntausende Auswanderer fuhren nach dem Krieg per Schiff nach Australien. Bis die „Skaubryn“ auf halbem Weg in Brand geriet

Nach dem Zweiten Weltkrieg strömten deutsche Auswanderer zu Zehntausenden nach Australien. 1958 führte sie ihr Aufbruch in ein neues Leben beinahe in den Tod: Die „Skaubryn“ fing Feuer.

Die Luft steht in der Bar auf dem Vorderdeck der „Skaubryn“. Draußen bescheint der Mond der Tropennacht den Indischen Ozean, drinnen mischt sich der Schweiß der Tänzer mit dem Rauch der zollfreien Zigaretten, vier Mark die Stange. Harold Weiss und Renate Kreuder tanzen eng umschlungen. „Guter Mond, du gehst so stille“ spielt die Kapelle. Das passt zur Nacht, ist aber etwas hausbacken für das Rock-’n’-Roll-Jahr 1958 und auch für diese Schiffsbar. Das Mobiliar hat die norwegische Skaugen-Reederei in Ägypten gekauft, Sitzbänke und Stühle mit Rückenlehnen aus Flechtwerk. Sie geben der Bar etwas Leichtes, Modernes, gar Mondänes. So sehen es jedenfalls die Tänzer, denen die Überfahrt wie eine Kreuzfahrt vorkommt, obwohl sie etwas ganz anderes ist.

Die meisten Passagiere sind wie Harold Weiss und Renate Kreuder Auswanderer auf dem Weg nach Australien. Kennengelernt haben sich die beiden auf dem Schiff. Für beide ist es die erste große Schiffsreise. Harold Weiss hat vorher nur Landungsboote über den Rhein gesetzt, als deutscher Hilfssoldat der US-Armee. Sechs Jahre hat Weiss bei den Amerikanern gedient. Mit 13 war er 1945 vor der heranrückenden Roten Armee mit Mutter und Geschwistern aus Mähren geflohen, in der Rhön fand die Familie Unterschlupf. Dort angekommen, heiratete seine ältere Schwester einen Webereibesitzer. Harold begann als Lehrling in dessen Betrieb. Dann zerstritt sich das Paar, der Junge musste die Lehre abbrechen.

Ohne Ausbildung waren zivile Jobs für ihn schwer zu bekommen. Und die Amerikaner zahlten nicht schlecht. Harold konnte sogar stolz darauf sein, zu den ersten Deutschen zu gehören, die nach dem verlorenen Krieg wieder scharfe Waffen in die Hand bekamen. Doch das Militär sollte nicht sein Leben bestimmen. Weiss hatte genug, als in seiner in Südhessen stationierten Pioniereinheit das Gerücht umging, dass die neu gegründete Bundeswehr die Einheit übernehmen würde und die früheren Söldner dann erst einmal ihren Wehrdienst ableisten müssten. Harold Weiss hatte eine bessere Idee. Ein Freund war wenige Jahre zuvor nach Australien ausgewandert. Und schien es gut getroffen zu haben, so klangen jedenfalls seine Briefe. „Es gefällt mir gut hier – komm doch auch!“, hatte er geschrieben.

Eines Abends im Mittelmeer spricht Harold Weiss Renate Kreuder in der Bar an. Der blonde, schlanke Mann im weißen Hemd und die schwarzhaarige Frau im geblümten Kleid halten sich aneinander fest. Die Fahrt nach Australien ist für beide wie ein Traum, vermischt mit viel Unsicherheit. Das erste Mal sind sie außerhalb von Deutschland. Das Paar schaut auf den ruhigen Ozean. Dass sie in zwei Stunden dort unten um ihr Leben rudern werden, ahnen sie nicht.

Zur selben Zeit liegt im Achterschiff des Hauptdecks die achtjährige Alexandra Stojadinović in ihrer Koje in der Kabine, die sie sich mit ihrem Bruder, der Mutter und einer fremden Frau teilt. Alexandras Vater ist wie die ledigen Männer in einem Schlafsaal im Vorschiff auf dem B-Deck untergebracht. Zu den 30 Männern, die hier ihre Etagenbetten haben, gehört auch Harold Weiss. Wie der Flüchtlingsjunge aus Mähren ist auch Alexandras Vater vom Krieg entwurzelt worden. Der Serbe wurde als Kriegsgefangener nach Deutschland verschleppt. Nach 1945 wollte er nicht in die nun von Titos Kommunisten beherrschte Heimat zurück. Er blieb in Köln, heiratete eine Deutsche und versuchte sein Glück als Hilfsarbeiter. Doch obwohl er passabel Deutsch sprach, stellte ihn niemand für längere Zeit ein.

Die ersten italienischen Gastarbeiter kamen 1955 in die Bundesrepublik, aber erst in den Sechzigern ging ihre Zahl in die Millionen. Davor waren ausländische Arbeiter selten – noch gingen Deutsche zu Hunderttausenden ins Ausland. In Übersee wird es besser sein, denkt sich auch Vater Stojadinović. Die Überfahrt nach Australien oder Kanada wird von den Regierungen dieser Länder und der Bundesregierung subventioniert. Von Kanada weiß er, dass es dort kalt ist. Von Australien weiß er nichts. Es soll seine neue Heimat werden.

Auswanderung war in der Nachkriegszeit wie nie zuvor ein Gegenstand von Verträgen und internationalen Organisationen wie dem ICEM (Intergovernmental Committee for European Migration), in dem sich 1952 die wichtigsten Aus- und Einwanderungsländer zusammengeschlossen hatten. Das ICEM charterte Schiffe wie die „Skaubryn“. Die Reedereien konnten mit sicheren Einnahmen rechnen, die Auswanderer mit wenig Komfort.

Die „Skaubryn“ war unter den Migrantenschiffen der Nachkriegsjahre eines der besseren. Andere Liner, umgebaute US-amerikanische Militärschiffe, hatten ausschließlich Schlafsäle mit 50 und mehr Betten, fast wie in den Zwischendecks vergangener Zeiten. Auf der „Skaubryn“ gab es immerhin Kabinen für die Hälfte der Passagiere. Bescheidenes Kreuzfahrtflair boten zwei Speisesäle, dazu ein separater für Kinder, mehrere Lounges, zwei Bars und ein Sportdeck mit kleinem Swimmingpool, sechs mal sechs Meter.


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mare No. 90

No. 90Februar / März 2012

Von Jan Philipp Sternberg und Theodor Barth

Jan Philipp Sternberg, Jahrgang 1974, ist Historiker und Journalist. Die Geschichte der „Skaubryn“ begegnete ihm bei der Recherche für seine Dissertation „Auswanderungsland Bundesrepublik. Denkmuster und Debatten in Politik und Medien 1945–2010“. Sie erscheint 2012 bei Schöningh.

Der Fotograf Theodor Barth, Jahrgang 1964, lebt in Köln. Er arbeitet für eine Reihe großer internationaler Magazine und Zeitungen.

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Vita Jan Philipp Sternberg, Jahrgang 1974, ist Historiker und Journalist. Die Geschichte der „Skaubryn“ begegnete ihm bei der Recherche für seine Dissertation „Auswanderungsland Bundesrepublik. Denkmuster und Debatten in Politik und Medien 1945–2010“. Sie erscheint 2012 bei Schöningh.

Der Fotograf Theodor Barth, Jahrgang 1964, lebt in Köln. Er arbeitet für eine Reihe großer internationaler Magazine und Zeitungen.
Person Von Jan Philipp Sternberg und Theodor Barth
Vita Jan Philipp Sternberg, Jahrgang 1974, ist Historiker und Journalist. Die Geschichte der „Skaubryn“ begegnete ihm bei der Recherche für seine Dissertation „Auswanderungsland Bundesrepublik. Denkmuster und Debatten in Politik und Medien 1945–2010“. Sie erscheint 2012 bei Schöningh.

Der Fotograf Theodor Barth, Jahrgang 1964, lebt in Köln. Er arbeitet für eine Reihe großer internationaler Magazine und Zeitungen.
Person Von Jan Philipp Sternberg und Theodor Barth