Paradies mit Schlagseite

Halb Pagode, halb Frachter: Europas größtes China-Restaurant schwimmt im Hafen von Rotterdam

Illusionen, Illusionen sind das Schönste auf der Welt. Illusionen, sie sind das, was uns am Leben hält“, sang die Knef einst, und Recht hatte sie. Das hier ist ein Ort der Illusionen, und dieser Logik folgend ist es ein schöner Ort.

Schön und traurig zugleich. Schön, weil man für ein paar Stunden Rotterdam verlässt und sich nach China begibt. Traurig, weil man am Morgen in einer Schiffskabine aufwacht, die einen die ganze Nacht lang sanft betrogen hat. Die einen glauben ließ, auf See zu sein. Draußen die Geräusche der vorbeiziehenden Schlepper, drinnen das Schaukeln, ganz leise nur, fast so, als wäre es Einbildung. Dann das Bad im Neonlicht, dieser herbe Resopalcharme einer Containerschiffstoilette.

Den Flur entlanggehend, verstärkt sich der Eindruck, der Boden sei schief, der Gleichgewichtssinn aus dem Lot geraten. Sogar um das Metallgeländer sind die Gäste dankbar; man weiß ja nie, es könnte vielleicht stärker schaukeln.

Tut es aber nicht. Denn dieses Schiff ist fest vertäut. Schief liegt es in der Tat, die Schlagseite ist keine neurotische Wahrnehmungsstörung; sie beruht vielmehr auf der Tatsache, dass der Proviant hauptsächlich auf der Landseite gestapelt wird.

Abends im „größten kantonesischen Restaurant Europas“ zu sitzen ist nicht weiter ungewöhnlich. Es sieht aus, wie man es bei einem solchen Restaurant in Europa eben erwartet: exotische Kunstblumen, Aquarien, in Glas gravierte Seerosen.

Der Frühstücksraum des Hotels allerdings ist mit all seinem Kitsch etwas Besonderes, der chinesische Fernsehsender irritiert erst einmal – und passt doch perfekt zu der Illusion. Hier ist China. Das „Ocean Paradise“, einst von der Stadtverwaltung gedacht als kulturelle Brücke zwischen den Partnerstädten Schanghai und Rotterdam und als Anlaufstelle für chinesische Matrosen, ist als Hotel und Restaurant zu einer Institution geworden. Aus den Rümpfen zweier Frachter zusammengeschweißt, liegt die merkwürdige Mischung aus Pagode und Schiff seit 18 Jahren hier an einem Arm der Maas, im Zentrum der modernsten aller holländischen Städte.

Ein chinesischer Geschäftsmann hatte einst die fixe Idee, den Gästen nebst fernöstlicher Speisekarte auch einen chinesischen Tierpark bieten zu wollen. Im Erdgeschoss servierten die Kellner das Fisch- fondue, im Obergeschoss wohnten Pandabären, allerhand Reptilien und Papageien. Die Menagerie war nicht unbedingt chinesisch, aber exotisch genug, um Publikum anzulocken. Aber Tiere kosten Geld, wollen Pflege, stinken zudem und werden krank. Pandabären fühlen sich hinter Gittern nicht eben wohl und in engen Schiffskabinen schon gar nicht. Das Konzept ging nicht auf. 1996 verließ der Zoo das Schiff, das Hotel wurde eingebaut, ein asiatischer Supermarkt im Erdgeschoss kam dazu.

Riechen tut es immer noch eigentümlich. „Das ist das thailändische Gemüse“, meint Chi Tseng Pin, seit zwei Jahren Besitzer des „Ocean Paradise“, Chef von 20 chinesischen Angestellten und wohnhaft in Kabine 21. Wegen des aromatischen Gemüses wird jetzt noch einmal umgebaut. Ein zweiter Eingang muss her. Eine Gangway soll vom Kai zum Hotel und zum Restaurant führen, die andere direkt in das Lebensmittelgeschäft.

Frühmorgens schon kaufen die Menschen hier ein, schleppen riesige Stoffsäcke mit Reis von Bord und hieven sie in ihre Autos. Asiatische Paare schieben überfrachtete Einkaufswagen über den Pier, voll gepackt mit fremdartigem, blassem Gemüse, Chips in schreiend bunten Verpackungen und Getränkedosen, bei denen man nur raten kann, ob sie süßen oder sauren Inhalts sind. Für diese Menschen kann das „Ocean Paradise“ in ganz anderem Sinn Illusion sein: als Idee von Heimat nämlich.

Freundlich sind sie nicht, die Kassiererinnen und Packer im Laden. Wer fragt, wird angeherrscht, wer zwei Mal fragt, misstrauisch beäugt. Aber dies kann man getrost unter kultureller Differenz abbuchen, es gar genießen und sich einbilden, dass es halt so zugehe, dort, drüben im fernen China.

Für einen Moment kann man teilhaben an diesem fremden Leben im schwimmenden Palast. Vielleicht sollte man irgendwann den ganzen Saal für eine Nacht mieten, sich hemmungslos der billigen Opulenz von Girlanden und Glitzerspiegeln hingeben, schlemmen, feiern, heiraten, die Familie zusammenbringen. Ganz so, wie es die Rotterdamer Chinesen tun.


Kantonesisches Fischfondue

Zutaten (für sechs Personen)

Je 300 Gramm Filet von Rotbarsch, Kabeljau, Lachs und Seezungen, Hummerkrabben; Frühlingszwiebeln, rote, gelbe und grüne Paprika, Karotten, Champignons, Austernpilze, Mangold, Chinakohl, Bambussprossen, Petersilie; kantonesische süß-saure Soße, Öl-Soja-Dip, Knoblauchsauce, Senfsauce, 1,5 Liter Fonduebrühe, 75 Milliliter Reiswein.

Zubereitung

Filets in drei mal drei Zentimeter große Stücke schneiden und mit zerkleinertem Gemüse auf Schalen dekorieren. Fonduetopf mit kochender Brühe auf den Tisch stellen. In kleinen Sieben Fisch und Gemüse in der Brühe kochen und in Saucen tunken. Zum Ende Reiswein und Petersilie in die Brühe geben und als Suppe servieren.


Ocean Paradise Hotel und Restaurant
Parkhaven 21, 3016 GM Rotterdam.
Tel. +31 10 436 17 02.
Täglich geöffnet ab 12 Uhr.

mare No. 40

No. 40Oktober / November 2003

Von Zora del Buono und Paul Schirnhofer

Zora del Buono, geboren 1962, wuchs in Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Nach ihrem Architekturstudium an der ETH Zürich arbeitete sie mehrere Jahre als Architektin und Bauleiterin, bevor sie sich zu einem Berufswechsel entschloss und mit dem Schreiben begann. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift mare und betreut das Kulturressort.

Fotos: Paul Schirnhofer

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Vita Zora del Buono, geboren 1962, wuchs in Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Nach ihrem Architekturstudium an der ETH Zürich arbeitete sie mehrere Jahre als Architektin und Bauleiterin, bevor sie sich zu einem Berufswechsel entschloss und mit dem Schreiben begann. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift mare und betreut das Kulturressort.

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Vita Zora del Buono, geboren 1962, wuchs in Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Nach ihrem Architekturstudium an der ETH Zürich arbeitete sie mehrere Jahre als Architektin und Bauleiterin, bevor sie sich zu einem Berufswechsel entschloss und mit dem Schreiben begann. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift mare und betreut das Kulturressort.

Fotos: Paul Schirnhofer
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