Panik im Paradies

Dem größten Korallenriff der Welt geht es so schlecht wie nie. Das ist vor allem eine ökologische, aber auch eine ökonomische Katastrophe

Im August 2019 stufte die Regierung Australiens den Bedrohungsstatus des Great Barrier Reef von „schlecht“ erstmals auf „sehr schlecht“ herab.

Es ist also Zeit, über das Ende zu reden. Darüber, dass das Great Barrier Reef schon bald mehr Friedhof als Riff sein könnte. Eine Ansammlung brüchiger Kalkreste auf einer Fläche von der Größe Deutschlands. Gestorben, weil das Meer zu warm geworden ist.

Nehmen wir also an, es kommt tatsächlich zum Exitus des Riffs. Was dann? Es wäre der Beginn einer Kettenreaktion: Der Tod des Riffs führt zum Tod von Arten. Das führt zum Bruch der Nahrungsketten. Das Ökosystem kollabiert. Die Arten, die es schaffen zu überleben, wandern in andere Meeresgebiete ab, wo sie wiederum das dortige Ökosystem durcheinanderbringen. Ökosysteme sind wie Dominosteine. Fällt eines um, fallen die anderen auch.

Das Great Barrier Reef ist ein besonders wertvoller Dominostein, ein Unesco-Weltnaturerbe.

400 der weltweit 700 Korallenarten leben hier, dazu 1500 Fischarten, Tausende Weichtierarten, seltene Wale, Delfine und Schildkröten. Es ist eine Traumwelt unter Wasser, verteilt auf 3000 Einzelriffe und 600 Koralleninseln. Das alles gäbe es nicht mehr.

Selbst die, die sagen, der Tod des Great Barrier Reef sei tragisch, aber für die Menschen an Land nicht relevant, würden eines Besseren belehrt. Ohne Riff würden die Wellen des Pazifiks ungebremst auf Queenslands Küste treffen. Überschwemmungen drohten, Erosion, Landverlust.

Betroffen wäre auch die Fischerei. Denn viele Fische verbringen ihre Kindheit im Riff. Existierte es nicht mehr, könnten sich die jungen Fische nicht mehr in den Spalten und Höhlen des Riffs vor Raubfischen verstecken. Sie würden gefressen, bevor sie sich fortpflanzen. Die Folge: ein dramatischer Rückgang der Fischbestände.

Es würde auch das Ende von 70 000 Jobs bedeuten. Und den Verlust von jährlich fünf Milliarden Australischen Dollar, umgerechnet mehr als drei Milliarden Euro, die der Rifftourismus ins Land spült.

Es gäbe genügend Gründe zu trauern.

Der renommierte US-Sachbuchautor Rowan Jacobsen hat mit der Trauerarbeit schon begonnen. Als 2016 eine starke Korallenbleiche das Riff heimsuchte, schrieb er auf dem Wissenschaftsportal „globalresearch.ca“ einen viel zitierten Nachruf: „Das Great Barrier Reef in Australien ist nach langer Krankheit 2016 verstorben. Es war 25 Millionen Jahre alt.“

Eine Polemik, natürlich. Aber wie viel Zeit bleibt noch, bis sie Realität wird?

Das ist eine der zentralen Fragen, die Umweltaktivisten, Lokalpolitiker und Forscher umtreibt. Leute wie den promovierten Meeresbiologen Dean Miller. Miller ist Chef und Gründer der Great Barrier Reef Legacy, einer Organisation, die mit Spendengeldern die Riffforschung unterstützt. Ein Mann, der schon Hunderte Mal zum Riff getaucht ist. Und dem gerade ein weiteres Naturwunder widerfahren ist. Er ist vor einigen Monaten Vater geworden. Miller sagt, er wolle seinem Kind eines Tages gern das Riff zeigen.

Nun sitzt er da, auf der Terrasse des „Little Larder“-Cafés in Port Douglas. Um ihn herum Backpackerpärchen bei Kaffee und Croissant, braun gebrannte Rentner, die in der Zeitung blättern, Loungemusik. Port Douglas ist eines der Zentren des Rifftourismus, ein kleines Städtchen am Meer mit 3000 Einwohnern, dessen Hauptstraße, die Macrossan Street, gesäumt ist von Surfläden, Reisebüros, Restaurants und Läden mit Kunsthandwerk.

Eine trügerische Entspanntheit. „Es sieht nicht gut aus“, sagt Miller. „In zehn Jahren wird es das Riff nicht mehr geben.“ Wenn die Menschheit die Erwärmung der Meere nicht stoppe, würden vielleicht 20 der 400 Korallenarten überleben. „Das, was übrig bleibt, wird mit dem heutigen Riff nichts mehr zu tun haben.“

Es sind Sätze, die man in Port Doug- las immer wieder hört, in verschiedenen Varianten. Paul O’Dowd, Ausrichter von wissenschaftlichen Riffexpeditionen, sagt sie. Glen Burns, Senior-Meeresbiologe bei Quicksilver Cruises, Australiens größtem Anbieter von Touristentouren zum Great Barrier Reef, sagt sie.

Sie eint die Angst um das größte Naturwunder Australiens. Seit jener Koral- lenbleiche von 2016 ist sie größer denn je. Damals hatte es besonders den Norden des Riffs getroffen, das Gebiet vor Port Douglas. Extrem hohe Wassertemperaturen, teils um 33 Grad, ließen unzählige Korallenbänke des Riffsystems lebensbedrohlich erblassen. Mit Luftbildern und Unterwasseraufnahmen untersuchten For- scher die Ausmaße der Katastrophe. Das Ergebnis war niederschmetternd. Laut einer Studie des Instituts für Korallenforschung an der James Cook University starben zwischen März und November 2016 rund 30 Prozent der Korallen im Great Barrier Reef.


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mare No. 138

mare No. 138Februar / März 2020

Von Jan Keith und Giacomo d’Orlando

Am Great Barrier Reef ist man nicht allein. Das musste auch mare-Redakteur Jan Keith, Jahrgang 1971, erfahren. Er teilte sich bei seiner Tagestour ein schmales Stückchen Riff mit 250 weiteren Schnorcheltouristen – vor allem aus China.

Der italienische Fotograf Giacomo d’Orlando, geboren 1990, fuhr für die Story sechsmal mit dem Boot, flog zweimal Hubschrauber und tauchte achtmal zum Riff.

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Vita Am Great Barrier Reef ist man nicht allein. Das musste auch mare-Redakteur Jan Keith, Jahrgang 1971, erfahren. Er teilte sich bei seiner Tagestour ein schmales Stückchen Riff mit 250 weiteren Schnorcheltouristen – vor allem aus China.

Der italienische Fotograf Giacomo d’Orlando, geboren 1990, fuhr für die Story sechsmal mit dem Boot, flog zweimal Hubschrauber und tauchte achtmal zum Riff.
Person Von Jan Keith und Giacomo d’Orlando
Vita Am Great Barrier Reef ist man nicht allein. Das musste auch mare-Redakteur Jan Keith, Jahrgang 1971, erfahren. Er teilte sich bei seiner Tagestour ein schmales Stückchen Riff mit 250 weiteren Schnorcheltouristen – vor allem aus China.

Der italienische Fotograf Giacomo d’Orlando, geboren 1990, fuhr für die Story sechsmal mit dem Boot, flog zweimal Hubschrauber und tauchte achtmal zum Riff.
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