Panama: Vom Skandal zum Kanal

Mit dem Durchstich durch die Landenge in Zentralamerika begann der Aufstieg der USA zur Weltmacht

Hernan Cortez hatte sich die Sache noch schön ausgedacht. Als er für die Vereinigte Krone von Kastilien und Aragon das neuentdeckte Zentralamerika durchmaß und unterjochte, schrieb er in einem Brief an seinen König, Karl V.: „Ungemein erleichtert würde die Schifffahrt zwischen den Gewürzinseln und den europäischen Ländern Eurer Majestät“, sollte in Amerika erst die „Meerenge zum Südmeer aufgefunden werden“. Wohl wahr. Das war 1524. Siebzehn Jahre später saß in Toledo Philipp II. auf dem Thron, inzwischen hatte sich herausgestellt, dass Amerika vor allem eines war: eine langgestreckte Barriere, quer über dem westlichen Seeweg nach China, Japan und Indien gelegen, ohne Meerenge als Durchschlupf. Und genau diese Barriere, so befand Philipp nun, sei eben „gottgewollt“. Deshalb drohte Philipp jedem die Todesstrafe an, der einen Kanal durch den Isthmus von Panama bauen wolle, der Mensch solle eben nicht vereinigen, was Gott getrennt habe. Als ob Philipp es geahnt hätte: Gegen göttliche Gebote sowieso, aber auch andere Ordnungen aller Art verlief 300 Jahre später die Planungs- und Baugeschichte des Kanals von Panama. Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Gedankenspiele über den Durchbruch durch die engste Stelle Amerikas Hand und Fuß bekamen, begann eine Räuberpistole mit operettenreifer Dramaturgie. Böse Mächte, Schurken, Helden, Gaukler, Trickser und Voodoo-Präsidenten waren es, die zwischen den USA und einer „Bananenrepublik“ ein besonderes Stück Weltpolitik spielten.

Jetzt beginnt der finale Akt. Die zwei letzten Jahre des Spiels brechen an. Am 31.12. 2000 wird der Kanal von den USA an Panama übergeben. Nach Hongkong die nächste zwischenstaatliche Übergabe eines kleinen, globalstrategisch aber weltberühmten Hoheitsgebietes. Doch ist es wirklich noch so bedeutsam, wie der Blick auf die Weltkarte nahelegt?

Zweimal im Jahr fährt der Star unter den Luxuslinern, die Queen Elizabeth II., durch den Kanal. An den engsten Stellen der Passage hätte keine Ölsardine neben der „QE II.“ mehr Platz. Mit 293,5 Meter Länge und 32 Meter Breite ist sie passgerecht für den 81 Kilometer langen Panamakanal gebaut worden. Deshalb darf sie auch trotz ihrer 70000 Bruttoregistertonnen hindurch, obwohl grundsätzlich über 65000 Tonnen nichts mehr geht. Für ein Passagierschiff ist dies viel, für moderne Frachtschiffe aber bestenfalls Durchschnitt, so dass heute viele neue Schiffe den Isthmus gar nicht mehr ansteuern.

Die Zuwachsraten des weltweiten Schiffsverkehrs, jährlich zwischen fünf und acht Prozent, machen seit Jahren einen Bogen um den Kanal. Supertanker schicken ihre Ladung durch eine neue Ölpipeline parallel zum Wasserweg. Die Fracht riesiger Containerschiffe aus Japan wandert in San Francisco flugs auf Güterwaggons, und in Baltimore geht es wieder per Schiff weiter nach Europa. Noch 1940 lief sogar die Hälfte des Binnenhandels der USA von Küste zu Küste durch den Panamakanal. Heute sind dies ganze drei Prozent. Militärstrategisch hat der Kanal nach dem Ende der UdSSR auch nicht mehr die große Bedeutung, die Flugzeugträger der Weltpolizei passten sowieso nie hindurch.

Eine internationale Kanalkonferenz im vergangenen September ergab denn auch: Ohne Ausbau – sprich: Verbreiterung, auch der Schleusen, oder sogar einem tieferen Einschnitt ins Gebirge, der die Schleusen überflüssig macht – wird der Kanal in ein Schattendasein versinken. Obendrein muss die Wasserversorgung gesichert werden, die durch die Abholzung der Regenwälder in Gefahr gerät. Doch wer soll investieren, wenn sich die USA zurückgezogen haben? Faszination und Bedeutung des Wasserweges sind in Gefahr.

Das war einmal ganz anders. Der Panamakanal markierte den Anfang einer Entwicklung, die wie nichts anderes die Weltpolitik unseres Jahrhunderts bestimmte: den Aufstieg der USA. Doch so weit war es längst nicht, als Alexander von Humboldt es sich im Jahre 1804, sowieso gerade auf seiner weltberühmten Amerikareise, nicht nehmen ließ, einen Abstecher nach Washington zu unternehmen, um US-Präsident Thomas Jefferson zu besuchen. Zwei Wochen logierte er im Weißen Haus und präsentierte dort auch seine Überlegungen zu verschiedenen möglichen Kanaltrassen. Der Präsident hörte aufmerksam zu, hatte er doch gerade Männer losgeschickt, die im Norden des Kontinents nachsehen sollten, ob es nicht doch irgendwo eine Durchfahrt gäbe. Der deutsche Naturforscher war so begeistert von dem technischen Mammutprojekt, dass er sich nach dem Gründervater der USA auch noch an den großen Befreier Lateinamerikas wandte: Simon Bolivar. Der ließ deshalb später, 1829, sogar schon mal Vermessungen vornehmen.

Karl V., Humboldt, Jefferson, Bolivar, viele kosmopolitische Köpfe ihrer Zeit dachten nach über den großen Durchbruch. Und dann kam ein gewisser Charles Baron de Thierry, König von Nukuhiva und König der Maori. Unter diesem Namen trat der Mann auf, der es Mitte vergangenen Jahrhunderts fertigbrachte, der Regierung Kolumbiens – „Panama“ war damals Teil dieses Landes – die erste Lizenz abzuschwatzen für den Kanalbau oder, wahlweise, eine Eisenbahn über den Isthmus. Der Märchenpotentat scheiterte zwar mit dem Versuch, das Geld aufzutreiben, verursachte einen Bankenskandal und verschwand. Aber die Lizenz existierte nun, und die hatte er zuvor noch an drei New Yorker Finanzmagnaten verscherbeln können, die auf dem Kapitalmarkt anschließend eine Million Dollar für den Bau sammeln konnten.

Das Projekt nahm Formen an, man schrieb das Jahr 1849. Ein Ereignis brachte die Sache nun ins Rollen, buchstäblich. In Kalifornien hatte man jenen Nugget gefunden, der den sagenhaften Goldrausch auslöste; und in der Folge eine unvorstellbare Völkerwanderung von der Ost- an die Westküste der USA, dem Land, in dem damals schon galt: Zeit ist Geld. Deshalb war der unerschlossene lange Treck durch den Wilden Westen unattraktiv. Flugs etablierte Dampferlinien von New York nach Panama und von dort nach San Francisco brachten die Glücksritter schneller zum Gold. Beim Umsteigen mussten sie nur den dort 80 Kilometer breiten Kontinent überwinden. Zunächst noch auf Eselspfaden, 1855 aber war die „Panama Railroad“ fertiggestellt, Panama fest ins US-amerikanische Inlandsverkehrsnetz einbezogen. Und der Kanal war, weil es so schnell gehen musste, fürs erste eine Eisenbahn, aber immerhin.

Ihr Bau hatte immense Opfer gefordert. Viele Krankheiten, vor allem Malaria, auch Krokodile und Schlangen brachten schätzungsweise 10000 Bauarbeitern (und Goldsuchern unterwegs) den Tod. Insbesondere viele angeheuerte Chinesen begingen Selbstmord. Ein Vorgeschmack auf weit Schlimmeres in der ersten Kanalbauphase. Makabres Detail: Eine große Anzahl Leichen wurde, in Salzfässern konserviert, an viele Medizinische Hochschulen Europas und Amerikas versandt, um mit dem Erlös ein Eisenbahn-Krankenhaus zu bauen. Dabei ging es der Eisenbahngesellschaft alles andere als schlecht. Für eine Fahrt über die 80 Kilometer kassierte sie die damals unvorstellbare Summe von 25 Dollar.

Das Kanalprojekt war durch die Eisenbahn nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Wenige Jahre später setzte ein Wettrennen um den Zuschlag für Finanzierung und Bau ein, natürlich mit der US-Regierung an der Spitze. Gleich mit beiden Ländern, für die Trassenentwürfe existierten, Kolumbien und Nicaragua, waren die Verträge fix und fertig. Doch dies war die Zeit, da Politiker in Washington begannen, den südlichen Subkontinent als ihren Hinterhof zu betrachten und zu behandeln. Neue Forderungen wurden draufgesattelt, arroganter Verhandlungsstil setzte sich durch, die Verträge platzten – die Chance für einen ganz besonderen Mann.

Ferdinand de Lesseps. Man nannte ihn: „Le grand francais“. Nicht minder arrogant, stets mit großem Pomp und auch schon mal mit begleitendem Feuerwerk auftretend, aber mit dem besten Ruf eines Machers, der schließlich den Suezkanal fertiggestellt hatte, und der war schließlich doppelt so lang. Kein Politiker, kein Ingenieur und kein Bankier, aber ein Mensch mit hervorragenden Beziehungen und Überzeugungskraft. Die war nun besonders wichtig, war sein Vorhaben doch für damalige Verhältnisse unseriös: ein Kanal auf Meereshöhe mit streckenweiser Untertunnelung des Kontinentalrückens. Kein geringerer als Gustave Eiffel warnte und schlug einen realistischeren Schleusenkanal über die Berge vor. Aber was galt schon der Mann, der damals den höchsten Turm der Welt errichtete, gegen Ferdinand de Lesseps? Lesseps hatte kein Geld, aber kaufte erstmal die gutflorierende Panamabahn.


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mare No. 5

No. 5Dezember / Januar 1997

Von Ulli Kulke und Tina Hager

Ulli Kulke, 45, ist stellvertretender Chefredakteur von mare.

Tina Hager, Mitglied der Agentur Focus, lebt als freie Fotografin in Seattle, USA. Die letzte mare-Veröffentlichung der beiden: die Reportage in Heft No. 2 über die Perlentaucher der Südsee.

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