Olek sucht sein Glück

Ein Maschinenbauingenieur aus Polen hat, seit er Rentner ist, schon dreimal den Atlantik in einem Kajak­ überquert. Jetzt ist er 73 Jahre alt und hat neue Pläne

Seien Frau drohte ihm mit Scheidung, als er es ihr sagte. Drei Jahre hatte er Pläne geschmiedet für ein Kajak, hatte einen Schiffbauer gefunden, der es herstellte, und dann erst ihr gesagt, was er damit wollte. Über den Atlantik paddeln, von Kontinent zu Kontinent, als erster Kajaker der Geschichte der Seefahrt.

Er war 65 Jahre alt und konnte nicht verstehen, warum Gabriela ihn für verrückt hielt. Aleksander Doba, so sieht er sich selbst, ist die Vernunft in Person. Er hat gewartet, bis die beiden Söhne aus den Kinderschuhen heraus sind und nicht vaterlos aufwachsen, falls etwas passiert. „Je älter, desto kleiner doch der Verlust“, sagt er.

Sechsmal ist der Atlantik von Kajakern durchfahren worden – von zwei Deutschen, einem Engländer und dreimal von Aleksander Doba, dem Polen, der ihn als Einziger überquert hat und nicht die Küsten entlang von Insel zu Insel gepaddelt ist. Olek, wie er gerufen wird, ist stämmig gebaut. Die Arme kräftig, die Hände Schaufeln, ein Mann zum Bäumeausreißen noch immer. Um Kopf und Kinn wuchern Bart und Haar, die blauen Augen unter buschigen Brauen – so muss Odysseus nach zehnjähriger Irrfahrt ausgesehen haben. Die Natur gab dem 73-Jährigen den Körper, die Strapazen zu überleben. Ein Kajak, das Stürme mit Zehn-Meter-Wellen überstehen würde, gab es nicht. Unsinkbar müsste es sein, mit einer Kajüte zum Schlafen und groß genug, Vorräte für ein halbes Jahr zu laden, überlegte sich Doba, ein Maschinenbauingenieur in Rente.

Andrzej Armi´nski, ein Segler, der die Weltmeere befahren hat, baute das Kajak in seiner Werft für Ozeanyachten in Szczecin. Robust, mit Stabilisatoren, die das Kentern verhindern, und nicht zu mühsam zum Paddeln: Sieben Meter lang, mit Volllast 700 Kilogramm schwer, ist die „Olo“ zwar nicht flink, aber hochseetauglich.

Als er zur ersten Atlantiküberquerung aufbrach und am Berliner Flughafen feststellte, dass er wichtige Papiere vergessen hatte, bat er seine Frau, sie ihm zu schicken. Gabi hatte alles versucht, sein Vorhaben zu vereiteln. Jetzt, da er sie brauchte, half sie. Dobas Abenteuer war nicht nur ein Test, was er und das Kajak aushalten würden. „Getestet wurde auch“, sagt er, „wie stark unsere Liebe ist.“

Er hatte alles gelesen, was er über Winde, Wetter und Strömungen wissen musste. Er hatte mit Seglern gesprochen, hatte sie ausgequetscht, wie Wellen bei Sturm aussehen, was ein Schiff zum Kentern bringt. Er würde Seeanker brauchen, fallschirmartige Dinger, die mit einer Leine am Heck befestigt sind und tief unter Wasser das Kajak gegen den Wind und quer zu den Wellen halten.

Die erste Überquerung war die kürzeste, und sie war einfacher als die zwei späteren. Er startete am 26. Oktober 2010 in Dakar, Senegal, und erreichte nach 98 Tagen, am 2. Februar 2011, den Strand von Acaraú in Brasilien. Einige tropische Stürme, die Wellen mehr als sieben Meter hoch, hatte er überlebt. Er war zufrieden mit sich und seinem Gefährt. „Die Kajüte war gemütlich“, sagt er. „Etwas größer als ein Sarg.“

Aleksander Doba sitzt am Esstisch der Zweieinhalbzimmerwohnung des Mietblocks in Police bei Szczecin, wo das Ehepaar lebt. Trophäen, Ehrungen und Familienfotos schmücken den Raum. Im Regal stehen Atlanten, Segelhandbücher und Reiseführer. Immer wieder redet er von der Neugier, die ihn antreibt, die Welt zu erkunden, an seine Grenzen zu gehen. Nahe dem Haus in Swarz˛edz, der Kleinstadt, wo er aufwuchs, gab es einen Weiher mit einem Wald, wo er mit seinem Vater Pilze sammelte. Dahinter war ein Segelflugplatz, und der Junge träumte den Fliegern nach und davon, einmal selbst in einem zu sitzen.

Mit 15 machte er seine erste Fahrradtour, radelte allein in 30 Tagen von Pozna´n bis Szczecin und von da die Küste entlang bis zur russischen Grenze. „Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie meine Neugier angeregt haben“, sagt er. „Sie wollten, dass ich die Welt kennenlerne.“

Er lernte Segelfliegen, sprang Fallschirm und fing mit 34 an, Kajak zu fahren. Zehn Jahre später gewann er, als ältester Teilnehmer, die Akademischen Meisterschaften. Er paddelte in den Seen der Masuren, den Wildwassern der polnischen Berge und im Baltischen Meer, wo es strengstens verboten war. Als die Grenzwache ihn erwischte, redete er sich heraus, er sei bloß den Fluss hinuntergepaddelt und wisse nicht, wie er hier gelandet sei. Kaum waren nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 die Grenzen offen, paddelte er rund um das Baltische Meer und dann von Police über den Polarkreis bis nach Narvik, 5369 Kilometer in 101 Tagen. „Wenn ich an einen Ort denke, wo ich noch nicht war“, sagt Doba, „frage ich mich: Was hindert mich, hinzugehen?“

Alles, sagt er, sei eine Frage der Vorbereitung. Die Szenarien durchspielen, sich überlegen, was passieren könnte, sei schon ein Abenteuer für sich. Jahrelang bereitete er sich jeweils vor, traf Maßnahmen, damit nichts schiefläuft. Und dann, bei der zweiten Überquerung 2013, lief einiges schief. Er hatte in Lissabon 250 Liter Frischwasser getankt, war am 5. Oktober gestartet, hatte Florida angepeilt und blieb im Bermudadreieck stecken, sechs Wochen blockiert von Wind und Strömungen, die jedes Vorankommen unmöglich machten. Dann ging das Satellitentelefon nicht mehr, und er musste via Spot-Tracker einen Hilferuf schicken. Ein griechisches Schiff kam zur Rettung, doch Doba wollte nicht gerettet werden, sondern das Telefon repariert haben, und wünschte die „Nissos Delos“ zum Teufel, als sie ein drittes Mal versuchte, ihn an Bord zu hieven. Nach 47 Tagen funktionierte das Telefon wieder. Es war vergessen worden, die Kreditkarte des Prepaid-abonnements aufzuladen.

Zwei Wochen später beschädigte ein Sturm das Steuerruder. Sein Freund in Amerika, Piotr Chmieli´nski, flog nach Bermuda, um sich mit ihm zu treffen, und organisierte die Reparatur. Angekommen auf der Insel, hatte Doba Gleichgewichtsstörungen, taumelte auf die Beamtinnen der Passkontrolle zu wie ein Betrunkener und sagte, er habe weder Waffen noch Drogen und keinen Alkohol mehr. Ende März konnte er zurück in den Atlantik. Das Wetter war so schlecht, dass er kaum einen Kapitän fand, der ihn da absetzte, wo er die Fahrt abgebrochen hatte. Er war 27 Tage von Florida entfernt, überstand drei heftige Stürme und hielt, was er sich selbst versprochen hatte: „Meinen Fuß auf den Sandstrand zu setzen, den New Smyrna Beach.“


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 138. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 138

mare No. 138Februar / März 2020

Von Peter Haffner und Joakim Eskildsen

Peter Haffner, Jahrgang 1953, freier Autor in Berlin und Zürich, hat nur an den stillen, auch von Haien geschätzten Küsten Nordkaliforniens gepaddelt.

Joakim Eskildsen, geboren 1971, lebt bei Berlin. Der vielfach ausgezeichnete dänische Fotograf wird vertreten durch die Agentur Institute.

Mehr Informationen
Vita Peter Haffner, Jahrgang 1953, freier Autor in Berlin und Zürich, hat nur an den stillen, auch von Haien geschätzten Küsten Nordkaliforniens gepaddelt.

Joakim Eskildsen, geboren 1971, lebt bei Berlin. Der vielfach ausgezeichnete dänische Fotograf wird vertreten durch die Agentur Institute.
Person Von Peter Haffner und Joakim Eskildsen
Vita Peter Haffner, Jahrgang 1953, freier Autor in Berlin und Zürich, hat nur an den stillen, auch von Haien geschätzten Küsten Nordkaliforniens gepaddelt.

Joakim Eskildsen, geboren 1971, lebt bei Berlin. Der vielfach ausgezeichnete dänische Fotograf wird vertreten durch die Agentur Institute.
Person Von Peter Haffner und Joakim Eskildsen