Nun lasst uns handeln

Das schädliche Handeln des Menschen in den Weltmeeren ist spürba­rer als je zuvor. Es wird höchste Zeit, das Richtige zu tun

Atmosphäre und Meere bezeichnen Ökonomen als globale Kollektivgüter, Völkerrechtler als gemeinsames Erbe der Menschheit: Sie sollen allen gehören, auch künftige Generationen sollen sie nutzen und genießen können. Organisiert ist dies als ein System geteilter Souveränitätsrechte zwischen Staaten, basierend auf einem globalen, an Nachhaltigkeitszielen ausgerichteten Ordnungsrahmen – im Fall des Meeres das Seerechtsübereinkommen (SRÜ), im Fall der Atmosphäre das (unausgeführte) Kyoto-Protokoll.

Da die Meere in weiten Teilen und für viele Nutzungen offen zugänglich sind, erfahren sie die „Tragik der Allmende“, wie der Ökologe Garrett Hardin es nannte: Alle bedienen sich, bis das Gemeingut übernutzt ist. Unter allen globalen Gütern ist das Meer wegen seiner starken symbolischen Bedeutung wohl dasjenige, das am meisten im öffentlichen Bewusstsein verankert ist und für schutzwürdig erachtet wird. Die Verschmutzung, die Zerstörung der ozeanischen Umwelt, die Überfischung und die rücksichtslose Nutzung mariner Ressourcen hat das nicht stoppen können.

Machen wir uns die Bedeutung der Meere für Mensch und Umwelt noch einmal klar: Meere bedecken annähernd drei Viertel der Erde, der „blaue Kontinent“ ist von zentraler Bedeutung für das Erdsystem und die moderne Zivilisation. Er ist Quelle für Nahrung und Ressourcen, er ist Medium für weltweite Infrastrukturen und Transporte, und er ist ein Kernelement des Klimasystems. Ozeane verbinden die Welt; sie sind das Lebenselixier und die liquide Grundlage der Weltgesellschaft. Als Bundeskanzlerin Merkel jüngst gefragt wurde, welches Umweltgut ihr die größte Sorge bereite, nannte sie die Meere. Das überraschte allgemein, denn den meisten ist gar nicht bewusst, welche Rolle Deutschland als „Seemacht“ spielt, weniger im militärischen Sinn wie vor den Küsten Somalias, wohl aber, indem der Großteil unserer Ex- und Importe über die Meere abgewickelt wird, indem unsere Abwässer am Ende alle im Meer landen (und weit entfernt riesige Plastikstrudel bilden), indem schließlich Meere und Küsten gerade bei den Deutschen die attraktivsten Urlaubsorte sind.

Nachdem die Menschheit die Meere in früheren Jahrhunderten als einen Hort von Unsicherheit, Chaos und Bedrohung angesehen und gemieden hat, haben moderne Navigation und Technologie den Eindruck erweckt, man könne sie sich bis auf Restrisiken untertan machen. Die Ölpest nach der Explosion der Ölbohrplattform „Deepwater Horizon“ im Jahr 2010, der durch einen Tsunami ausgelöste Super-GAU des Kernkraftwerks Fukushima im Jahr 2011, die Flutkatastrophe an den asiatischen Küsten 2004 oder Hurrikane wie „Katrina“ (2005) und „Sandy“ (2012), die Metropolen wie New Orleans und New York fast zum Erliegen brachten, lassen die Meere wieder als Quelle und Ort von Katastrophen erscheinen, abgesehen von der schleichenden Bedrohung durch den Meeresspiegelanstieg infolge des Klimawandels.

Die Sorgen sind berechtigt. Deshalb darf nicht die ungebremste Expansion in die Meere, wie man sie bei der Überfischung erlebt hat und wie sie sich auch bei der Aquakultur fortsetzt, die Devise sein, vielmehr soll ein kluger, sozusagen „gärtnerischer“ Umgang mit der Allmende Meer auch für künftige Generationen die Gestaltungs- und Nutzungskonzepte auszeichnen. Dazu gehört wesentlich der Respekt vor den systemischen Interdependenzen der Meeres- mit der Landnutzung.

Im Vergleich zur Atmosphäre, zu großen Teilen der Biosphäre und zur Landfläche haben sich die Meere langsamer verändert, aber das scheint nicht so zu bleiben. Die Eingriffe des Menschen in kritische Funktionen des Planeten schlagen sich zunehmend in bedeutsamen Wandlungen in den Meeren nieder. An Land ist die Nutzung der natürlichen Umwelt durch den Menschen bereits an schmerzhafte Grenzen gestoßen, sodass viele nun die Meere als letzte noch verfügbare große Rohstoffquelle in den Blick nehmen. Explorations- und Bohrtätigkeit werden immer weiter in die Tiefsee verlagert, Energie- und Kommunikationsinfrastrukturen wandern immer weiter weg von den Küsten hinaus ins offene Meer. Meere bieten mit Wind, Wellen und Gezeiten auch ein großes Potenzial für Gewinnung erneuerbarer Energien. Weil die Verletzung von Leitplanken des Erdsystems an Land viel direkter wahrnehmbar ist als im Meer, wird die Expansion in die Meere begünstigt, die als „leerer Raum“ und „letzte Grenze“ (last frontier) betrachtet werden, die es nun zu erstürmen gilt.


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mare No. 98

No. 98Juni / Juli 2013

Von Claus Leggewie

Der Politikwissenschaftler Professor Claus Leggewie, Jahrgang 1950, ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI) und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Dieser Essay greift auf das demnächst erscheinende Gutachten zur „Governance der Meere“ zurück.

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Vita Der Politikwissenschaftler Professor Claus Leggewie, Jahrgang 1950, ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI) und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Dieser Essay greift auf das demnächst erscheinende Gutachten zur „Governance der Meere“ zurück.
Person Von Claus Leggewie
Vita Der Politikwissenschaftler Professor Claus Leggewie, Jahrgang 1950, ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI) und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Dieser Essay greift auf das demnächst erscheinende Gutachten zur „Governance der Meere“ zurück.
Person Von Claus Leggewie