Notizen einer Landratte, 9.

In dieser Folge schildert unser Kolumnist Maik Brandenburg, wie er um ein Haar einen Vortrag an einer indonesischen Universität gehalten hätte, erklärt, wann ein Boot zu teuer ist, und zeigt, wie man Asiaten korrekt um ihr Honorar prellt

Das Thema war schwierig: Es ging um minderjährige Fischer, die auf Plattformen im Meer schufteten. Das Meer heißt hier Straße von Malakka, bekannt wegen der vielen Schiffe und der vielen Überfälle durch Piraten.

Sie liegt in Indonesien. Auch dort ist Kinderarbeit verboten, es schadet dem Ansehen Indonesiens. Vor allem, wenn die Sache rauskommt. Wir hatten also die Marine und die Polizei zu beachten – sie durften nichts von unserem Vorhaben erfahren.

Unser Dolmetscher hieß Salid, doch sein Deutsch war erbärmlich. Sicher tue ich ihm unrecht, denn in Wirklichkeit war es noch viel schlimmer. Ich merkte es nicht sofort, denn ein anderer Dolmetscher verhandelte für Salid, er holte ein sattes Tageshonorar heraus. Dann gingen wir essen; der Dolmetscher sprach, Salid schwieg, konnte nicht mitreden.

Warum er trotzdem mitkommen durfte? Wie gesagt: Dies war eine schwierige Recherche. Salid hätte uns, falls wir ihn ausluden, sofort bei den Behörden gemeldet. So viel war sicher. Er hatte sich doch so auf das Dolmetschergeld gefreut. Und auf all die anderen Möglichkeiten. Noch bevor wir losfuhren, schlug er, gestisch gekonnt, vor, ich sollte einen Vortrag an der Technischen Universität halten. Er, Salid, wäre dort Dozent. Ich bräuchte dafür nichts zu bezahlen, außer den Pausenkaffee für die Studenten, es seien aber nur drei Pausen geplant. In Deutschland, sagte ich, bekommen die Vortragenden Honorar. Salid sah mich an und schwieg.

Für die Fahrt ans Meer besorgte uns Salid seinen alten Schulfreund mit dessen noch viel älterem Auto. Kurz hinter der Stadt heulte es auf und fiel tot um. Salid und sein Freund weinten, aber unser Geld für ein neues tröstete sie. Wir mieteten ein reguläres Auto, das nur die Hälfte kostete. Das Boot, das Salid besorgte, war ein Flugzeugträger. Jedenfalls vom Preis her. Von der Konstruktion war es ein Angelkahn mit einer großen Plane. Wir versteckten uns darunter, wegen der Marine. Salid jammerte wieder und verlangte einen Gefahrenzuschlag. Besser gesagt: Er ließ ihn verlangen, von dem jungen Mann einer Kinderhilfsorganisation, der Englisch sprach. Er war zum Glück mitgereist, er wurde der Dolmetscher für unseren Dolmetscher.

Wir fuhren drei Plattformen an, bei der vierten stiegen wir auf. Angeblich, weil bei der vierten der Preis nicht zu hoch war. Wir gaben Salid das Geld. Der junge Mann von der Hilfsorganisation sagte später, niemand auf den Plattformen habe Geld gewollt.

Auf der Plattform schnappte sich Salid sofort meinen Schlafsack und ging schlafen. Und zwar auf dem einzigen Bett, das es dort gab. Wenn ich ihn fragte, was die Kinder so machten, zum Beispiel an den hölzernen Kurbeln da, ließ er über den jungen Mann ausrichten: „Sie fischen.“ Dann sprach er weiter auf den Vorarbeiter der Jungs ein. Ich vermute, er wollte ihn überreden, uns über Bord zu schmeißen, um dann die Beute zu teilen. Er aß den hart arbeitenden Kindern das mitgebrachte Obst weg, er beklaute den Fotografen, und er beanspruchte den besten Klobalken. Es gab zwei: Seiner war uneinsehbar, auf dem anderen streckte man sein Hinterteil ungeschützt in Asiens Weiten. Um uns herum lagen Fischerboote, ich habe das Johlen der Crews noch im Ohr. Falls es auf Sumatra so etwas wie Ballermannkneipen gibt, dann heißt der Hit dort „So ein weißer Arsch“.

Eines Morgens redete Salid auf ein paar zwielichtige Gesellen ein, die auf die Plattform geklettert waren. Es waren Männer mit seltsamen Hüten und seltsamem Lächeln, es sollten Fischhändler sein. Wir sahen zu, dass wir Land gewannen.

Ich gestehe, ich habe Salid nicht ein Viertel des versprochenen Honorars gezahlt. Er drohte, uns bei der Polizei anzuzeigen. Egal, wir hatten alles recherchiert. Dann drohte er mit der Deutschen Botschaft, am Ende schickte er seinen Neffen. Der Neffe sagte, alles wäre gut, wenn wir ihm einen Motor für seinen Lkw besorgen, am besten Mercedes. Der Neffe sah aus, als ob er den Motor mit einem Arm anheben könnte. Am Ende drückte er mir lange und sehr fest die Hand und sagte nur: Deutschland. Ich hatte verstanden: Er wusste, wo ich wohne.

Vor einiger Zeit kam ein Fax von Salid, es war an den Chefredakteur dieses Blattes adressiert. Er verlangte darin die Zahlung von vielen tausend Euro für seine Dienste und verwies im Übrigen auf seinen Neffen mit dessen „Freunde groß Muskel viel“.

Daran musste ich denken, als ich wieder einmal von Piratenüberfällen vor Somalias Küste las. Das Horn von Afrika hat ja die Straße von Malakka als gefährlichstes Gebiet der modernen Schifffahrt abgelöst. Dabei sind die Überfälle in der Straße von Malakka auch noch nicht vorbei. Und sie sind viel raffinierter dort. 

mare No. 86

No. 86Juni / Juli 2011

Von Maik Brandenbirg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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