Notizen einer Landratte, 8.

In dieser Folge fordert unser Kolumnist Maik Brandenburg obligatorische Seefahrt bei mindestens Windstärke zwei für Dichter, außerdem ein Überdenken der redensartlichen Freiheit der Meere, und er zeigt, wo genau das Meer grandios ist.

Das Meer ist langweilig, wenn es nicht grad zum Kotzen ist. Dann ist es in Bewegung, was auch schon das ganze Entertainment ist. Natürlich, es gibt die Delfine und die Robben. Oder tolle Wolkenformationen über „unendlichem Blau“, wie die Dichter meinen. Aber zumeist kann man das alles gar nicht genießen, eben weil das Meer in Bewegung ist. Nur ahnungslose Berg-Leute (Schweizer), skurrile Despoten (Wilhelm II., Chefredakteure) und sich sowieso ständig irrende Wissenschaftler (Meeresbiologen) sind dem Meer bedingungslos ergeben. Dramatisch wird es, wenn all diese Personen in einer zusammenkommen. Es gibt Beispiele.

Woher kommt diese Begeisterung für das Meer? „Ich habe die See zu lange gekannt, um an ihren Respekt für Anständigkeit zu glauben“, sagt Joseph Conrad. Und Conrad ist der Admiral der Literaten. Ich behaupte, Dichter, die das Meer besingen, haben nie auf einem Schiff gestanden. Eine Butterfahrt zählt nicht. Das sollten sie aber, das Meer befahren haben, meine ich. Sagen wir mal, ab Windstärke zwei. Davor mag man noch tiefe Gedanken haben, so tief wie das Meer, von mir aus. Ab Windstärke zwei aber sieht jeder das Meer in dunklem Licht und redet Tacheles, wenn man denn wieder reden kann. Die makellosen Gedanken jedoch gingen über Bord, und zwar in hohem Bogen. Gehen die Herren Fabulierer aber doch auf ein Schiff, dann zwingen sie Geldnot oder Ruhmsucht dazu. Bei mir ist es die Geldnot, ich bin selbstständig.

Dieses Gerede von der Freiheit der Meere. Bewegen Sie sich mal frei auf dem Meer – auch der Frömmste braucht dazu mindestens ein Schiff. Ein Schiff aber ist ein Gefängnis mit Mauern aus Wasser und skandalös wenig Platz für den Hofgang. Vor den Toren patrouillieren Haie und Kraken. Die Kajüte ist enger als das Weltbild eines Taliban, und meistens torkeln diese Zellen wie im Vollrausch. Der Oberwächter nennt sich „Master next God“! Sie können ja mal einem Kapitän sagen, was Sie sich wünschen, so frei heraus. Sie werden merken: Freiheit ist immer die Freiheit der Anderslenkenden. (Zitat Rosa Luxemburg, Luxembourg: kein Meer, nirgends!) Und wenn’s hart auf hart kommt, also ab Windstärke zwei, hat man die Wahl zwischen, nein, dann hat man keine Wahl mehr, dann ist man verloren.

Das Essen muss man sich erarbeiten, trotzdem ist es rationiert: Der Smutje ist ein Mithäftling von den Philippinen, der so griechisch kocht, wie die Chinesen glauben, dass es russisch ist, wenn sie einen angolanischen Hamburger dampfgaren. Außerdem ist das Klo immer besetzt. Wer auf einem Kreuzfahrtschiff einsitzt, ist nur scheinbar besser dran. Er darf sich so lange sicher fühlen, bis ihn ein Eisberg rammt. Oder die Depression, weil man ja gar nicht alles essen kann (und Doggy Bags sind verpönt). Um nur ja nicht ans Meer denken zu müssen, lenkt man sich mit Spielchen ab, für die mich meine Kinder unter Vormundschaft stellen würden. Das Meer ist Wildnis ist Meer, Punkt. Ein Schamane der Südsee muss lange tanzen, um es zu bändigen. Dem Showmanen des Westens reicht seine Polonaise.

Dabei hatte die Natur ja alles geregelt: Bei der Verteilung allen Seins bekam das Land die Menschen, das Meer aber durfte sich ausbreiten. Doch weil die Menschheit einen Hang dazu hat, baden zu gehen, sprang sie ins Wasser, pinkelte und pullerte hinein und so weiter, und vor allem das „und so weiter“ läpperte sich über die Jahrtausende. Das Ergebnis sind 240 ungemütliche Seiten World Ocean Review.

Als Kind fand ich das Meer noch toll. Doch was bedeutet das schon? Die Kindheit ist eine Zeit der Verklärung. Von hier und heute, der 90 nahe wie nie, sieht man sich die Sache schön. Selbst an meinen Mathematikunterricht habe ich ja sonnige Erinnerungen, eine genau: Meine Mathelehrerin war wunder-, wunderschön. Ich konnte mich damals übrigens nicht zwischen ihr und der jugoslawischen Schlagersängerin Ljupka Dimitrovska entscheiden. Am Ende haben beide einen anderen geheiratet, aber es ist okay von hier und heute.

Nur an einer Stelle ist das Meer verträglich, stellenweise geradezu grandios. Dort, wo es eine Symbiose mit dem Land eingegangen ist, an den Küsten nämlich. Wo das Meer endet, beginnt die Schönheit. Dies war ein Kommentar zum sensationellen Erfolg der Zeitschrift „Landlust“.

mare No. 85

No. 85April / Mai 2011

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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