Notizen einer Landratte, 7.

In dieser Folge erklärt unser Kolumnist Maik Brandenburg die Sonderheiten russischen Nehmens und Gebens, singt ein Loblied auf Funktionskleidung und ermuntert zu einem unverkrampfteren Verhältnis zur werbungtreibenden Industrie

Ich fuhr nach Sibirien ans Nordmeer, im Winter. Da war es nur recht, mir die besten Sachen zu kaufen. Es war recht und gar nicht billig. „Das kommt mir nicht in die Tüte“, rief mein spesenscheuer Chef. „Aber mir“, sagte ich. Am Ende waren es sogar zwei Tüten – heimeligste Kunstpelze, wärmste Wirkwaren aus den Labors der Couturiers. Meinen Chef trieb die Rechnung zum Weinen, was ich aber logisch fand: Schließlich hatte ich mich nach dem Zwiebelprinzip eingekleidet.

Ich fürchtete weder Hard- noch Softshells, mich schreckten keine innovativen Kett- und Schussfäden, auch keine zusätzlichen Isolationsschichten, obwohl ich mich schon isoliert genug fühlte in der Redaktion. Was soll’s: Die Kälte würde gegen die Kluft anrennen wie die Hussiten gegen Bautzen, nämlich vergeblich. Die Schuhe sollten, laut Hersteller, bis minus 42 Grad Celsius warm halten. Ich glaubte das, ich bin verführbar.

Ich nehme Reklame ernst. Kurz nach der Wende, in meinem ersten Job als Redakteur, bekam unsere Zeitschrift Werbung von allen möglichen Firmen. Weil mein Name im Impressum oben stand, bekam eigentlich ich sie. Ich antwortete auf jeden Brief. Ich erinnere mich, der Firma Scout in einem längeren Brief für ihr Angebot an Schulranzen gedankt zu haben. Im Grunde bin ich heute noch nicht weiter.

So stand ich dann an der Karasee am 73. Breitengrad, und schon nach einer halben Stunde waren meine Füße taub vom Frost. Auch meine Mütze der Marke Hotspur taugte nichts. Ich weiß seitdem, dass man zuerst an den Zehen und an den Ohren erfriert. Schweigen wir von den Hightechhandschuhen.

Ich überlebte, weil mir die Fischer am Ob ihre Filzmützen und Filzstiefel gaben. Die Fischer hätten mir auch ihre Unterwäsche aus Filz überlassen, die jedoch war ihnen nach drei Monaten des Dauertragens eingewachsen. Die Filzstiefel heißen dort Walenki, sie sind so russisch wie der Wodka, die Korruption und der doppelte Zischlaut in „Borschtsch“. Dichter mit großen Bärten besingen sie. Von meiner Kleidung aus der Hochtechnologie aber war ich so enttäuscht, dass ich sie den Fischern schenkte. Seither gelte ich in Sibirien als Wohltäter, man schreibt dort meinen Namen in den Schnee.

Gegen die Mangroven Indonesiens trat ich mit „moskitoresistenter“ Wäsche an, deren „Poren“ den Schweiß „wegtransportieren“ sollten. Die Moskitos dankten für die Poren, sie hatten leichteres Durchkommen. Der Schweiß wollte dagegen absolut nicht durch die klitzekleinen Öffnungen, warum auch, es gab ja größere. Ich überlebte, weil mich mein asiatischer Führer mit einer Pampe einschmierte. Sie war aus stinkenden Kräutern gemixt und in seiner Spucke verrührt. Die Mücken machten danach tatsächlich keinen Stich mehr bei mir. Mein Führer übrigens schwitzte kaum, denn er war fast nackt und nutzte jeden Schatten.

Genauso macht es auch der Nacktmull, der im schattigen Erdreich lebt. Doch anstatt für seine Anregungen zu danken, verteufeln wir ihn. Ähnlich geht es der segensreichen Filzlaus. Der Nacktmull gilt sogar als hässlichstes Geschöpf dieser Erde.

Ich könnte jetzt zu einer fulminanten Kapitalismuskritik anheben, die den schönen Schein vor die Funktion setzt. Ich könnte über jene herziehen, die sich für den Weg ins Büro einen marsgängigen Geländewagen zulegen. Ich könnte auch auf die Außentürindustrie einprügeln, weil sie ständig blödsinnigen Kram erfindet. Im Gespräch ist ein Anzug, eine Art Häuschen mit Reißverschluss. Er wird gemacht für das Erdbeben zwischendurch und hat sich selbst aufblasende, schockabsorbierende T-Träger. Außerdem wird es bald Jacken mit Espressomaschinchen geben, weil ja jederzeit der Golfstrom versiegen kann, dann braucht man einen Kaffee auf den Schreck.

Mach ich aber nicht, ich kritisiere nicht. Manche könnten nämlich sagen: Er lästert ja nur, weil er sich all die schönen Sachen niemals leisten kann. Er würde, wenn er ehrlich ist, doch liebend gerne in den tollen Klamotten von Fjällräven, Mammut oder Columbia rumspazieren. Er würde liebend gerne Lesungen abhalten in einem Outfit, das Jack Wolfskin gesponsert hat. Für eine Schleichwerbung in, sagen wir, mare für The North Face würde der alles tun. Hauptsache, er kriegt die Klamotten umsonst.

Ihnen allen rufe ich donnernd zu: Schleichwerbung? Herrje, wie laut soll ich denn noch brüllen? Her mit dem Kram! Ich fahre sowieso nie wieder nach Sibirien.

mare No. 84

No. 84Februar / März 2011

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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