Notizen einer Landratte, 5.

In dieser Folge gerät unser Kolumnist Maik Brandenburg außer sich über geschenkte Reiseandenken, bekennt sich außerdem zum Neuheidentum und erklärt seine guten Gründe, sich vor Gauchos und Thaiboxern zu fürchten

Mein problematisches Verhältnis zu Souvenirs begann mit einem Lied. Meine Mutter sang es, wenn ich etwas verschlampt hatte, also täglich. Sie sang: „Sie lassen alle mal was liegen, die Großen dieser Welt.“ Es ist ein Song von Bill Ramsey, er hieß „Souvenirs, Souvenirs“, er war ein Hit in den Fünfzigern. Die nächste Zeile ging so: „Und das sind die Souvenirs, die man überall erhält.“ Irgendwas störte mich immer an dem Text. Erst später kam ich drauf: Er ist Blödsinn.

Denn die Großen lassen nicht überall was liegen, erstens. Und zweitens ist es nicht so viel, dass man es überall erhalten könnte. Ich meine, wie viele Souvenirshops gibt es, und wie viele Slips von George Clooney sind da im Angebot? Der Lippenstift von Angelina Jolie ist auch nicht bei „Moni’s Andenkensho’p“ zu kriegen, den kriegt man nirgends, obwohl Jolie von sich selbst behauptet, vergesslich zu sein. Und was Mick Jagger liegen lässt, steht danach meistens wieder auf.

Wenn man allerdings „Souvenirs“ durch „Reliquien“ ersetzt, ergibt die Sache wieder Sinn. Reliquien sind eindeutig den Großen zuzuordnen, Heiligen etwa, die ja die Angewohnheit haben, sich, speziell nach ihrem Tod, weiträumig zu verteilen. Der heilige Stefan muss 13 Arme gehabt haben, jedenfalls, wenn man seine weltweit erhältlichen Knochen zusammenflicken würde. Und von Thomas von Aquin gibt es zwei Köpfe, einen in Frankreich, einen in Italien. „Reliquien, Reliquien“ singt sich aber nicht so flockig, nicht mal im Stil gregorianischer Gesänge.

Wo war ich? Bei meiner Abneigung gegenüber Souvenirs, genau. Wer braucht die? Niemand! Wer sie bekommt, verbindet keine Erinnerung mit der Sache. Außer jener unbequemen, dass da irgend jemand anderes einen tollen Urlaub in der Karibik hatte. Das ist seine Trophäe, zum Teufel damit.

Meine Kinder zum Beispiel rächen sich, indem sie anspruchsvoller werden. Früher brachte ich ihnen Geschichten mit, in denen ich Krokodilen eins auf ihre vorlauten Schnauzen gab oder Elefanten meine Badehose lieh. Die Kinder waren zufrieden. Eines Tages aber wachten sie in einer dieser Storys auf, gähnten und fragten: „Und wann kommt die Stelle mit dem ferngelenkten Jeep in Metallic, der eine Sirene hat und sich überschlagen kann?“ Dabei lugten sie auf meinen Koffer. Die Stelle brauchte noch ein paar Reisen. Erst versuchte ich es noch mit einem Jagdset der Buschmänner oder einem Kugelfisch. Aus Thailand war es ein Tigerzahn, bei dem mir erst nach Aufgabe des Koffers am Flughafen einfiel, dass er womöglich Ärger bringen könnte. In Berlin lag mein Koffer dann auch nicht auf dem Förderband. Er war in die USA fehlgeleitet worden. Das erfuhr ich allerdings erst nach einer Woche. In dieser Zeit erwartete ich jeden Tag den Zoll oder ein Schlauchboot von Greenpeace auf meinem Teich.

Dafür war die gezackte Muschel aus der Südsee vom Artenschutzabkommen so weit weg wie der Reichstag vom Capitol. Meinen Kindern reichte ihre Schönheit nicht, also wurde daraus die Spitze einer Haiharpune. Eine andere Muschel wurde zum Ausweis eines Geheimbunds zwischen dem König von Rongelap und meinen Söhnen. Falls sie dem König irgendwann begegneten, bräuchten sie bloß die Muschel zu zeigen, und er würde ihnen sofort ein Eis spendieren. Auf seinem Südseeatoll jedoch könnten sie damit kostenlos Straßenbahn fahren.

Von Kuba brachte ich in Töpfe eingelegte Steine mit. Ich wusste, dass es Götter sind. Und dass man sie füttern muss. Sei’s drum, die Exotik schien mir ein Gummibärchen ab und an wert. Heute weiß ich mehr über den Kult. Nur so viel: Ich bin immer noch Atheist, und die Götter kriegen längst besten Biohonig.

Religiöses ist immer heikel. Eine Zeitlang verschenkte ich „Hühnergötter“, das sind Steine mit Löchern. Wenn man durch sie in Richtung Sonne guckt und sich dreimal um die eigene Achse dreht, geht ein Wunsch in Erfüllung. Es ist eine lustige Mär aus meiner Heimat. Allerdings kriege ich heute noch Mails, die fragen, ob man sich links- oder rechtsherum drehen muss. Oder ob man mit dem linken oder rechten Auge hindurchsehen sollte.

Irgendwann werde ich meinen Kindern die Wahrheit über ihre Souvenirs sagen müssen. Das wird so schlimm, als müsste ich ihnen gestehen, nicht ihr leiblicher Vater zu sein. Die Steine kann ich nicht einfach wegwerfen, denn Götter sind unsterblich und womöglich rachsüchtig. Und kriegt mich der Zoll nicht, dann sicher ein beleidigter Gaucho oder Thaiboxer.

Alles in allem: Die Jagd nach Souvenirs führt in Lügen, in die Fänge komplizierter Kulte, in den Knast oder ins Krankenhaus. Eine andere Zeile des oben erwähnten Liedes geht übrigens so: „Souvenirs, Souvenirs … sind die bunten Träume unserer Einsamkeit.“ Wacht auf, Reisende dieser Erde!

mare No. 82

No. 82Oktober / November 2010

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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