Notizen einer Landratte, 47.

In dieser Ausgabe treiben unseren Kolumnisten Maik Brandenburg die Außerirdischen um, außerdem zeigt er, was man mit einer GoPro-Kamera in der Badewanne anrichten kann, und klärt ganz nebenbei sein Verhältnis zur Wahrheit

Ich habe lange keine neue Verschwörungstheorie mehr gehört, man hat ja stets viel Freude an so was. Ich meine aber echtes, richtig abgedrehtes Zeug.

Nicht solches wie von dem Ufo in der Ostsee, das ist ja definitiv wahr. Schließlich gibt es Filme darüber, sogar in HD. Oder die Sache mit dem Bermudadreieck. Da ist doch auch längst belegt, dass eine Störung der Raumzeit die Schiffe oder Flugzeuge verschluckt. Zuletzt die immer noch abgängige Boeing 777 des Malaysia-Airlines-Flugs MH 370, die allerdings nicht über dem Atlantik verschwand, sondern irgendwo über dem Indischen Ozean oder über dem Südchinesischen Meer oder in einem Schwarzen Loch. Vielleicht ist ja auch das Bermudadreieck selbst das Schwarze Loch, dunkel genug sieht es dort jedenfalls aus. Es müsste dann ein wanderndes Bermudadreieck sein oder ein zweites Bermudadreieck, das nun natürlich anders heißen sollte und womöglich sogar ein Sechseck ist. Kommen Sie mir auch nicht mit der Erdbebenwaffe, die den Tsunami vor Fukushima ausgelöst hat, mit der niemals gesunkenen „Titanic“ oder der außerirdischen Zivilisation im Marianengraben. Alles längst bewiesen.

Außer das mit den Außerirdischen, das habe ich mir gerade ausgedacht. Ja, warum denn nicht, Herrgott? Am Anfang war das Wort, zur Abwechslung jetzt mal meins, das nun eben eine neue Welt im Pazifik erschaffen hat. Alles, was ich brauche, sind ein paar Jünger, die mein Wort verbreiten, am besten in Internetforen. Ein paar „Zitate“ aus „geheim zensierten Studien“ von „mundtot gemachten US-amerikanischen Wissenschaftlern“, ein verschwiemeltes Foto mit der wasserdichten GoPro aus der Badewanne und fertig. Kein Ding.

Alles ist erlaubt, sogar das F-Wort des seriösen Konspirationswesens, also der Fakt. Oder ein paar Fakten. Doch, tut mir leid, so viel Langeweile muss sein. „Ein Fakt da und ein Fakt hier sind des Lügenboldes Zier“, wie Käpten Nemo sagen würde, säße er nicht immer noch in Guantanamo ein, wo die Amerikaner sein Geheimwissen über marine Technik aus ihm herausfoltern. Nein, halt, das sind die Russen, wie sonst hätte das Philadelphia-Experiment gelingen können, wo sie ein ganzes Kriegsschiff teleportierten? Ja, natürlich ist Philadelphia eine Stadt in den USA. Aber so doof, es Wladiwostok-Experiment zu nennen, sind die Russen ja auch nicht. Der Vater der militärischen Desinformation heißt übrigens Baron von Münchhausen. Und wem diente der über Jahre? Genau, dem Zaren.

Ganz umsonst kann ich neue Verschwörungen allerdings nicht offenlegen, ich habe Familie. Zum Glück bin ich Teil der gesteuerten Mainstream-Medien. Ich würde das Kartell des Verschweigens und Vertuschens durchbrechen. Ich mache den Brutus der Lügenpresse, es ist nur eine Frage des Preises.

Ich würde nicht mit Provinzblättern reden, ich steige gleich als Experte ins Fernsehen ein, die zahlen am besten. Außerdem hat jeder mal groß angefangen. Ich bin gut vorbereitet, ich kenne einen preiswerten Anzugverleih und bringe ein paar feine artistische Fertigkeiten mit.

Ich kann etwa einhändig Fakten auf den Kopf stellen und sie dann noch frisieren, ich nehme dazu die Schere aus meinem Kopf. Ich kann Tatsachen nicht einfach nur verdrehen, sondern sogar verknoten, verzwirbeln, verhäkeln und verklöppeln. Mit verbalen Spiegeltricks kann ich Halbwissen so darstellen, dass es wie ganzes Wissen aussieht. Und nur ein einziger Zungenschlag von mir reicht aus, um betonharte Gewissheiten zu pulverisieren. Ich habe diesen Schlag jahrelang trainiert, an den stärksten Brettern, die vor Köpfen wuchsen.

Als also die Außerirdischen im Marianengraben eines Morgens ins Internet sahen und merkten, dass ihnen ein genialer Geist auf die Schliche gekommen war, bestiegen sie das in der Ostsee geparkte Ufo „Titanic“ und teleportierten sich durch das Bermudadreieck zurück in ihre Heimat, was auf der Erde ein Erdbeben auslöste, gefolgt von einem verheerenden Tsunami.

Die Heimat der Außerirdischen ist übrigens ein Schwarzes Loch, nicht größer als der Punkt am Ende einer Kolumne.

mare No. 125

No. 125Dezember 2017 / Januar 2018

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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