Notizen einer Landratte, 4.

In dieser Folge erklärt unser Kolumnist Maik Brandenburg sein Unverständnis über Kolumbus’ Begriffsstutzigkeit, wie China wirklich zur Weltmacht aufstieg und wie man Barmixern auf Sumatra elegant die Ehre rettet

Über Kolumbus gibt es einen schönen Vers von Erich Kästner: „Irrtümer haben ihren Wert / allerdings nur hie und da / Nicht jeder, der nach Indien fährt / entdeckt Amerika.“ Ich bin auch mal so was wie aus Versehen in Amerika gelandet. Dabei wollte ich in die Südsee. Auf dem Wege dorthin machten wir halt in Guam, das ist eine Insel im Pazifik. Auf dem Flughafen war ein Schild: „Welcome to the USA“. Ich dachte: „Sieh an, auch Piloten haben ihre Probleme mit Backbord und Steuerbord.“ Doch es stellte sich heraus, dass Guam zu den Vereinigten Staaten gehört, es ist sogenanntes „Territorium“. Alles hatte seine Richtigkeit, selbst der Orchideen-Feigen-Cocktail bei McDonald’s.

Die Frage ist doch: Wie konnte Kolumbus nie bemerken, dass er gar nicht in Indien war? Amerika war zu seiner Zeit tatsächlich noch ein No-name, der Subkontinent hingegen nicht mehr. Das Tadsch Mahal stand längst in jedem europäischen Reiseführer, aus Bombay trafen wöchentlich die neuesten Schnulzen des Daumenkinos ein, und ein Joghurtdrink aus Kalkutta hatte ein neues Lebensgefühl geboren, das Lassi-faire. Nichts davon findet sich in Kolumbus’ Logbuch, nicht mal ein klitzekleines Verkehrschaos. Wo sind die Rikschas, die ihn gleich nach seiner Landung umzingelten – „Nice price, Mista!“? Hätte Kolumbus da nicht wenigstens stutzig werden müssen? Vielleicht wollte er einfach nicht zugeben, dass er falsch gefahren war. Ist ja auch ein dummes Gefühl: Thema verfehlt und einen Haufen Spesen gemacht, ich kenne das. Vielleicht aber hat er es tatsächlich nicht mitbekommen, weil er sich zu sehr auf seinen Steuermann Giovanni Pitracci Sardinelli verließ (kurz GPS). Kolumbus jedenfalls war nicht der einzige maritime Irrläufer, der trotzdem berühmt wurde.

Der Franzose Jean-Baptiste Bouvet, noch heute gefeiert als einer der größten Seefahrer, hielt ein eisiges Eiland nahe der Antarktis für einen Teil der lange gesuchten „Terra australis incognita“. Der „unbekannte südliche Kontinent“, der Afrika und Antarktis verbinden soll, ist bis heute nicht gefunden. Bouvet durfte der Insel trotzdem seinen Namen geben und starb hochgeehrt.

Ja, und bitte: James Cook. „Ich habe keine großen Entdeckungen gemacht“, weint er in sein Logbuch. Ausgerechnet Cook, der mehr pazifisches Land auftauchen ließ, als Amerikaner und Franzosen dort jemals wieder versenken können. Cook ist wie Kolumbus nicht klar, was er vollbracht hat. Es entgeht einem wohl einiges, wenn man den ganzen Tag auf dem Klo hockt, weil das Sauerkraut durchschlägt.

Die Seefahrt ist ein Irrweg, der zu Ruhm und Renommee führt. Das gilt nicht nur für Menschen. Auch Lebensmittel bringen es jählings vom Nahrhaften zum Namhaften. Lange Zeit hielt man Beriberi für eine Krankheit der Seefahrer, denen es an Vitamin B1 mangelte.

Die Ärzte rieten zu ungeschältem Reis. Dann sollte es doch nicht das Vitamin sein, sondern ein Schimmelpilz, dann war es wieder die Vitaminnot. Das Hickhack dauert an, aber der Reis ist längst auf allen Speisekarten. Allerdings ist nicht garantiert, dass das Meer jeden Fehler honoriert. Gut, wenn man sich auf dem „Irrweg“ noch rechtzeitig besinnt. China hatte Anfang des 15. Jahrhunderts eine Flotte, deren Größe die spätere Armada Spaniens weit überstieg.

Nach kaum 50 Jahren jedoch verbrannten sie sämtliche Schiffe, verbarrikadierten ihre Häfen und verboten die beliebte Grußfloskel „A Hoi“ (so viel wie: „Frohes Erbrechen“. Wie andere schlimme Erfindungen aus dem Reich der Mitte machte der Gruß Jahrhunderte später in Europa Karriere – siehe Schwarzpulver, Finanzamt, Fisch süß-sauer). Ohne Schiffe und mit Vollkornreis stieg China zur Weltmacht auf.

Zu Kolumbus’ Konfusionen weiß ich noch was: Auf Sumatra saß ich in einer Hafenbar namens „Columbus“. Ich bestellte Campari Orange. Der Barmixer sah mich an, sah auf die Flaschen, dann schüttelte er den Kopf. „Wir haben das nicht, Sir.“ Ich hielt ihm die Karte hin. „Hier steht es aber.“ Der Mann blickte darauf, dann holte er ein Buch hervor. Er blätterte lange darin. Am Ende rief er seinen Chef, beide beugten sich über die Seiten. „No, Sir“, sagte der Chef schließlich, „wir haben das nicht.“ Kein Problem. „Geben Sie mir halt was anderes Schönes“, sagte ich. Die Miene des Barmixers hellte sich auf. „Oh, wir machen Ihnen unseren Hausdrink.“ Er hantierte eine Weile, er schüttelte und rührte. Am Ende stellte er ein Glas vor mich hin, ich kostete. Es war Campari Orange.

mare No. 81

No. 81August / September 2010

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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